Im 14. und 15. Jahrhundert hatte die Unwissenheit ihren Gipfel erreicht. Die Geistlichen besaßen nicht einmal so viel Bildung, um Schulmeister zu sein. Die Sittenverderbnis und das liederliche Leben der Mönche ging so weit, daß in ganz Europa der Ruf nach Abstellung so vieler Mißbräuche erscholl. Die Päpste mißbrauchten ihre Macht sogar bis zu einem nicht mehr erträglichen Grade. Leo X. betrieb in der Christenheit einen Schacher mit Ablässen, um die Summen zusammenzubringen, deren er für den Bau der Peterskirche in Rom bedurfte. Man behauptet, der Papst habe seiner Schwester Eibo das Erträgnis der Ablässe, die in Sachsen verkauft wurden, geschenkt. Diese Nebeneinkünfte wurden verpachtet. Um sich zu bereichern, suchten die sonderbaren Pächter Mönche und Almosensammler aus, die sich auf das Einheimsen großer Summen verstanden, und die angestellten Ablaßhändler verschleuderten einen Teil der Einnahmen in Ärgernis erregenden Ausschweifungen. Ein Mönch mit Namen Tetzel und eine Anzahl Dominikaner entledigten sich ihres Auftrags so schlecht, daß sie den Anstoß zur Reformation gaben.
Der Generalvikar der Augustiner, Staupitz, dessen Orden im Besitz dieses Handels gewesen war, befahl einem seiner Mönche, namens Luther, gegen die Ablässe zu predigen. Luther hatte schon seit dem Jahre 1516 die Scholastiker bekämpft; nun stand er um so kraftvoller wider diese Mißbräuche auf. Er brachte neue verdächtige Sätze vor, hielt sie aufrecht und stützte sie mit neuen Beweisen. Schließlich wurde er 1520 vom Papst in den Bann getan. Er hatte nun die Freude gekostet, seine Meinungen zwanglos auszusprechen; seitdem gab er sich ihr rückhaltlos hin. Er legte die Kutte ab und heiratete im Jahre 1525 Katharina von Bora. Durch sein Beispiel ermutigte er Priester und Mönche, zu den Rechten der Natur und der Vernunft zurückzukehren.
So gab er dem Vaterland Bürger zurück, erstattete ihm aber auch sein Eigentum wieder, indem er viele Fürsten auf seine Seite brachte, denen die Einziehung der Kirchengüter eine süße Lockung war. Der Kurfürst von Sachsen1 war der erste, der sich der neuen Sekte anschloß. Die Pfalz, Hessen, Hannover, Brandenburg, Schwaben, ein Teil von Österreich, Böhmen und Ungarn, ganz Schlesien und der Norden nahmen die neue Religion an. Ihre Lehren sind so bekannt, daß ich wohl davon absehen darf, sie hier vorzutragen.
Kurz danach, im Jahre 1533, trat Calvin in Frankreich auf. Ein deutscher Lutheraner namens Wolmar war in Bourges mit Calvin bekannt geworden und hatte ihm seine Anschauungen eingeflößt. Trotz dem Schutz, den Margarete von Navarra der neuen Lehre angedeihen ließ, wurde Calvin zu wiederholten Malen genötigt, Frankreich zu verlassen. Poltiers war der Ort, wo er die meisten Anhänger gewann. Dieser Bekehrer glaubte den Geist seiner Nation zu kennen. Er dachte sich, sie werde eher durch Lieder als durch Argumente zu überzeugen sein. Er verfaßte, so erzählt
1 Friedrich III. der Weise (1486—1525).