<75> Tore von Rathenow. Er ließ Baron Briest1, der in der Stadt war, seine Ankunft mitteilen und verabredete mit ihm insgeheim Mittel und Wege, um die Schweden zu überrumpeln.
Briest entledigte sich seines Auftrags auf geschickte Art. Er gab den Offizieren des Regiments Wangelin, das die Besatzung von Rathenow bildete, ein großes Nachtmahl2. Die Schweden überließen sich dabei rückhaltlos den Freuden des Trunks. Während sie ihren Rausch ausschliefen, ließ der Kurfürst auf Schiffen Fußtruppen über die Havel setzen, um die Stadt von allen Seiten zu überfallen (25. Juni). General Derfflinger3 drang als erster in Rathenow ein, indem er sich für den Kommandeur eines von Brandenburgern verfolgten Schwedentrupps ausgab. Er ließ die Wachen niederhauen, und zu gleicher Zeit wurden alle Tore gestürmt. Die Reiterei säuberte die Straßen. Die schwedischen Offiziere vermochten beim Erwachen kaum zu glauben, daß sie Gefangene des Fürsten waren, den sie samt seinen Truppen noch tief in Franken wähnten. Wäre in jener Feit der Wachdienst schon ebenso eingerichtet gewesen wie heutzutage, so wäre diese Überrumpelung fast unmöglich gewesen. Aber das gehört ja zur Signatur der großen Männer, daß sie selbst aus den geringsten Vorteilen Nutzen zu ziehen wissen.
Der Kurfürst wußte, wie wertvoll im Krieg jeder Augenblick ist. Er wartete nicht in Rathenow, bis seine ganze Infanterie ihn einholte, sondern rückte mit der Reiterei geradenwegs auf Nauen vor, um das bei Brandenburg stehende schwedische Korps von dem anderen bei Havelberg zu trennen. Trotz aller Sorgfalt, die er in diesem entscheidenden Augenblick anwandte, konnte er den Schweden doch nicht zuvorkommen. Auf das Gerücht von seiner Annäherung hatten sie Brandenburg verlassen und sich eine Stunde vor seinem Einttreffen über Nauen zurückgezogen. Er verfolgte sie heftig und erfuhr durch die Aussage von Gefangenen und Deserteuren, daß das Korps auf Fehrbellin marschiere, wo es mit dem von Havelberg zusammentreffen wollte.
Das brandenburgische Heer bestand aus 5 600 Reitern. Es hatte kein Fußvolk, führte aber zwölf Kanonen mit sich. Die Schweden ihrerseits waren 10 Infanterieregimenter und 800 Dragoner stark. Trotz dem Unterschied der Zahl und der Waffengattungen bedachte sich der Kurfürst nicht, auf den Feind loszugehen, um ihn zu schlagen.
Am 28. Juni marschiert er gegen die Schweden. 1 600 Reiter, den Vortrab, vertraut er dem Landgrafen von Homburg4 an, mit dem Befehl, sich auf keinen Kampf einzulassen, sondern nur zu rekognoszieren5. Der Landgraf geht vor. Nachdem
1 Anmerkung des Königs: „Er war Landrat und dem Kurfürsten sehr ergeben.“
2 Diese Anekdote ist nicht begründet.
3 Feldmarschall Freiherr Georg von Derfflinger.
4 Landgraf Friedrlch II. von Hessen-Homburg.
5 Die Darstellung des Königs beruht auf Irrtum. Der Kurfürst plante eine Entscheidungsschlacht. Was von einer Verstimmung Friedrich Wilhelms gegen den Landgrafen von Hessen wegen seines raschen Vorbringens am Morgen bei Linum weiter unten erzählt wird, ist ebenso historische Legende wie der Opfertod des Stallmeisters Froben.