Die historischen Werke
Die Werke Friedrichs des Großen, die wir in deutscher Übersetzung vorlegen, ergänzen das Bild der umfassenden Tätigkeit, die er als Feldherr, als Staatsmann und Volkswirt entfaltet hat.
Wenn seine schriftstellerischen Leistungen trotz ihrer Bedeutung bisher kaum über den Kreis der Fachgelehrten hinausgedrungen sind, so liegt diese Tatsache vor allem in der Geschichte seiner Werke begründet. Nur ein verhältnismäßig kleiner Teil von ihnen gelangte zu seinen Lebzeiten an das Licht der Öffentlichkeit. Neben den Schriftten publizistischen Charakters, den Staats- und Flugschriften und den Abhandlungen vornehmlich pädagogischer Natur, die auf die Wirkung in die Weite berechnet waren, kommen nur der „Antimachiavell“ und die „Œuvres du philosophe de Sanssouci“ in Betracht: jener die Bekenntnisschrift aus der Kronprinzenzeit, in der der junge Friedrich das Idealbild des Fürsten zeichnet, das ihm vorschwebt und das er dann selber zu verwirklichen trachtet; diese das Werk, das der König auf der Höhe seines Lebens verfaßt, in dem er, um mit Koser zu sprechen, die Summe seiner „praktischen Lebensweisheit und seiner philosophischen Weltanschauung“ niederlegt. Die „Œuvres“V-1 umfassen eine Sammlung seiner Poesien, sowie die „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg“. Aber nur diese kamen damals (1751) in die Hände des Publikums, wenngleich mit Ausschluß des Kapitels über Friedrich<VI> Wilhelm I. und der Abhandlungen über die Erwerbungen, die Finanzen und das Heerwesen Brandenburgs. Die ursprünglich nur für die Freunde bestimmten Gedichte folgten erst 1760, unter dem Titel „Poésies diverses“, nachdem sie durch böswilligen Nachdruck in Frankreich bekannt geworden waren.
Erst nach dem Tode des Königs wurden seine übrigen Werke der Öffentlichkeit übergeben. Um zwei Ausgaben handelt es sich. Die erste sind die ,„Œuvres posthumes“,VI-1 die seinen Nachlaß brachten, Korrespondenzen und Schriften, die bisher noch nicht gedruckt waren. Die zweite ist die große dreißigbändige Ausgabe der „Œuvres de Frédéric le Grand“, die J. D. E. Preuß im Auftrag der Berliner Akademie der Wissenschaften während der Jahre 1846 bis 1856 besorgte. Schwerwiegende Mängel hafteten der ersten Sammlung an: einige Schriften waren mit Absicht unterdrückt, andere von apokrypher Natur, denen Friedrich vollkommen fernstand, dagegen aufgenommen. Der Text hatte vielfach eine stilistische Überarbeitung erfahren. Noch schlimmer waren die großen Streichungen, die vor allem in den historischen Schriften aus politischen Rücksichten vorgenommen waren. Demgegenüber bedeutet die akademische Ausgabe einen außerordentlichen Fortschritt, obwohl auch sie keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann und andere bedenkliche Mängel aufweist, die durch spätere Neuausgaben einzelner Teile und anderweit erschienene Ergänzungen zum Teil ausgeglichen sind.
Die „Œuvres posthumes“ hatten durch zahllose Nachdrucke und durch deutsche Übersetzungen die weiteste Verbreitung gefunden. Mit der Katastrophe von 1806 und dem Zusammenbruch des preußischen Staates kam dann aber die Zeit, da Friedrichs Andenken immer stärker verblich. Erst allmählich trat der Wandel ein. Man fing an, seine weltgeschichtliche Größe und seine hohe nationale Bedeutung wieder zu würdigen. Ihren sichtbaren Ausdruck fand dieser Wandel der Auffassung in dem Erscheinen der akademischen Ausgabe seiner Werke. Doch infolge des großen Umfangs war ihre Verbreitung nur auf einen kleinen Kreis beschränkt. Lediglich eine Auswahl aus seinen Schriften wurde bisher ins Deutsche übersetzt, und so blieben sie im großen und ganzen der Allgemeinheit fremd.
Die Werke Friedrichs umfassen historische, militärische, politische, literarische Schriften, zu denen noch die Poesien hinzukommen. Für diese Gruppen dürfen wir auf die Einleitungen zu den einzelnen Bänden verweisen, deren Aufgabe es ist, kurz die Entstehungsgeschichte der Schriften zu schildern und einige besondere Gesichtspunkte hervorzuheben, die zur Erleichterung ihres Verständnisses beitragen.
Nur die historischen Werke erfordern eine besondere Betrachtung. Dabei handelt es sich zunächst um einen orientierenden Überblick über die Gesamtleistung Friedrichs, sodann aber darum, einen tieferen Einblick in sein Schaffen zu gewinnen.VI-2
<VII>Außer den schon erwähnten „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg“, die mit den ältesten Zeiten einsetzen und bis zum Jahre 1740 führen, enthalten die historischen Schriften die Schilderung seiner eigenen Regierungszeit, seiner Kriege. Alle diese Einzeldarstellungen sollten nur Teile eines zusammenhängenden großen Werkes bilden, der „Brandenburgischen Geschichte“ (histoire de Brandebourg), wie Friedrich sie nannte.
Keineswegs stand mit dem Augenblick, da der König die historischen Arbeiten aufnahm, dieser Plan in ihm fest; erst allmählich gewann er seine Ausgestaltung. Das erste, was Friedrich schrieb, war die Geschichte des Ersten Schlesischen Krieges, an die er im November 1742 ging.
Von entscheidendem Einfluß dafür waren seine Beziehungen zu Voltaire. Seit dem Herbst 1736 stand Friedrich mit ihm in schriftlichem Gedankenaustausch. Im September 1740 hatte er die Gelegenheit wahrgenommen, seine persönliche Bekanntschaft zu machen. Noch in demselben Jahre erfolgte der erste Besuch des Dichters der „Henriade“ in Berlin. Alle seine Werke sandte dieser dem König zu, und sie fanden begeisterte Aufnahme.
Als nach dem Breslauer Friedensschluß sich in Friedrich der Wunsch nach einer Darstellung des soeben beendeten Krieges regte, dachte er sofort an Voltaire, den Geschichtsschreiber Karls XII. und Ludwigs XIV. Und so richtete er am 13. Oktober 1742 an ihn die Aufforderung, die Geschichte des „gegenwärtigen“, des Österreichischen Erbfolgekrieges zu verfassen. Niemals, so schrieb er, hätten seit der Schlacht bei Pharsalus größere Interessen auf dem Spiel gestanden, und erläuternd fügte er hinzu: „Es handelt sich um die Frage der Vorherrschaft der beiden mächtigsten Häuser des christlichen Europa.“ Dann aber entschloß sich der König selber zur Ausführung dieser Aufgabe, und zwar ist es nach seinem eigenen Bekenntnis Voltaire gewesen, der den Anstoß dazu gab. Dieser hatte ihm eben damals den esten Abschnitt seines „Essai sur les mœurs et l'esprit des nations“, eines Abrisses der Weltgeschichte, zugestellt. Friedrich schrieb ihm darauf am 15. November: „Sie haben mir so großen Geschmack an der Arbeit eingeflößt, daß ich eine Epistel, eine Komödie und Memoiren schreibe.“
Mit den „Memoiren“ war die Geschichte des Ersten Schlesischen Krieges gemeint. Nur das Vorwort und einige Bruchstücke dieser ersten Niederschrift sind uns überliefert. Ihr folgte sofort nach dem Dresdener Friedensschluß die Geschichte des Zweiten Schlesischen Krieges. Zugleich arbeitete er die des Ersten Krieges um und schickte sie jener voraus (1746).
Diese beiden Darstellungen bezeichnete er als zweiten und dritten Teil der „Brandenburgischen Geschichte“.VII-1 Der erste Teil waren die „Denkwürdigkeiten zur Ge<VIII>schichte des Hauses Brandenburg“, deren Abfassung er nun erst in Angriff nahm. Sie zerfallen in zwei Abschnitte. Der erste bringt, nach Regenten geordnet, die chronologische Darstellung der Ereignisse bis 1740, während öer zweite einer kultuhistorischen Übersicht gewidmet ist. Friedrich gibt in ihr einen kurzen Abriß der Vewfassungs-, Wirtschaft-, Heeres- und Kirchengeschichte, und gleichzeitig entwirft er ein Bild des geistigen Lebens und der kulturellen Entwicklung Brandenburgs. Damit folgt er den Bahnen Voltaires, der in dem bereits erwähnten „Essai“ danach strebte, die gesamte Geschichte der Menschheit zu umfassen, Kultur- und politische Geschichte in einem Bilde zu vereinen.
Im Mai 1746 war der Plan zu den „Denkwürdigkeiten“ gefaßt; im November begann die Ausarbeitung, am 24. August 1747 war der historische Teil vollendet, am 11. Februar 1748 das ganze Werk. Einzelne Abschnitte wurden in den Sitzungen der Akademie der Wissenschaften verlesen und in ihren Berichten abgedruckt. Doch dabei blieb es nicht. Als der König zur Herausgabe der „Œuvres du philosophe de Sanssouci“ schritt, beschloß er, ihnen die „Denkwürdigkeiten“ einzuverleiben. Er arbeitete sie um und unterbrach die bereits begonnene Drucklegung, als auf seine dringende Einladung Voltaire am 10. Juli 1750 in Potsdam eintraf. Unter dessen Anleitung und Mitwirkung erfolgte die neue kritische Durchsicht. Sie bezog sich sowohl auf die Poesien wie auf die „Denkwürdigkeiten“. Von großem Interesse ist das Urteil, das der Franzose wenige Wochen nach seiner Ankunft in einem Briefe an seinen Pariser Freund Graf d'Argental über Friedrich und seine Arbeiten fällt. Der König, so erklärt er, mache ausgezeichnete Verse, sobald er sich die Mühe gebe, sie zu korrigieren; einige seien sogar bewundernswert. Dann fährt er fort: „Seine Prosa gilt seinen Versen mindestens gleich; aber er ging in alledem zu schnell. Er hatte gute Höflinge, die ihm sagten, alles wäre vortrefflich; aber was vortrefflich ist, das ist, daß er mir mehr glaubt als allen seinen Schmeichlern, daß er die Wahrheit liebt, die Wahrheit fühlt.“ Endlich kommt er nochmals auf die Prosa zurück mit den Worten: „Seine Brandenburgische Geschichte wird ein Meisterstück sein, wenn er sie sorgfältig durchgesehen haben wird.“ Wie in diesem Schreiben sparte Voltaire bei seinen Korrekturen nicht Lob noch Tadel. Grammatikalische Verbesserungen wechselten mit stilistischen Noten und sachlichen Anmerkungen. Bald verhielt sich Friedrich ablehnend, bald nahm er die Vorschläge wörtlich, bald nur dem Sinne nach an. Im wesentlichen jedoch blieb die Fassung der „Denkwürdigkeiten“ unverändert; nur einzelne Achter wurden ihr nachträglich aufgesetzt. Im Juni 1751 war die Drucklegung beendet.
Damit war die Darstellung von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1745 geführt. Die späteren großen Ereignisse seiner Regierung bestimmten den König, den Faden weiterzuspinnen. So schrick er 1763 die „Geschichte des Siebenjährigen Krieges“, 1775 bie Geschichte der Ersten Polnischen Teilung, die er nochmals umarbeitete, als er 1779 die Geschichte des Bayerischen Erbfolgekrieges hinzufügte.
<IX>Bemerkenswert ist, daß Friedrich 1775 im Anschluß an die Darstellung der Polnischen Teilung daran ging, sein gesamtes Werk von 1740 ab einer neuen Durchsicht zu unterziehen. Er nahm die Redaktion von 1746 vor, um sie neu zu gestalten: so entstand die „Geschichte meiner Zeit“, wie er die neue Fassung nannte. Eine Bearbeitung der „Geschichte des Siebenjährigen Krieges“ sollte folgen, doch seine schwere Erkrankung vereitelte diesen Plan.
Das letzte Zeugnis der historiographischen Tätigkeit Friedrichs bildet endlich ein kurzer Aufsatz von 1784, der einen Rückblick auf die letzten fünf Jahre wirft, aber nicht mehr ausgearbeitet worden ist.
Nach diesem Überblick über die äußere Entstehung seiner historischen Schriften wenden wir uns der Arbeitsmethode des Königs zu. In allen Vorreden zu seinen Geschichtswerken betont er, daß Wahrheit das erste Gesetz für den Historiker sei. Er beruft sich darauf, daß die Originale der Briefe und Verträge in den Archiven seine Darstellungen beglaubigen würden. Und in der Tat sind sie auf urkundlicher Grundlage aufgebaut.
Friedrich selbst hat eine Reihe von Akten eingesehen. So ließ er sich 1742 für die „Memoiren“ eine Reihe von Archivalien nach Potsdam kommen. Gleiches geschah, obwohl in beschränkterem Umfange, für die Abfassung der Geschichte des Zweiten Schlesischen und des Siebenjährigen Krieges. Er forderte die aus seinem Kabinett hervorgegangenen Manifeste, die aus seiner Feder stammenden Kriegsberichte ein. In der Hauptsache aber hat er seine Beamten herangezogen. Eine Fülle von Erlassen liegt darüber vor. Er wendet sich, wie Posner ausführlich schildert, an seine Minister, an die Beamten des Archivs mit bestimmten Fragen, verlangt über die Punkte, auf die es ihm ankommt, bald schnelle einfache Auskunft, bald Berichte in Gestalt bereits verarbeiteter Aktenauszüge, die sich zu förmlichen Denkschriften auswachsen. Dafür ein Beispiel. Im März 1746 läßt er sich die Korrespondenz kommen, die er mit König Ludwig XV. seit Juni 1744 geführt hat, und fordert gleichzeitig von dem Kabinettsminister Graf Podewils einen „kurzen französischen Extrait oder Précis“ der Verhandlungen seines damaligen Vertreters in Paris. Mit dem Oktober 1744 sollte der Bericht beginnen, „so kurz und summarisch als möglich“ gefaßt sein und endlich auch über den Erfolg der Unterhandlung aufklären.
Stets richtet der König seine Fragen an die sachkundigste Stelle. Der Präsident der Akademie, Maupertuis, muß Auskunft erteilen über Daten zur Geistesgeschichte, die Kabinettsminisier Podewils, Finckenstein und Hertzberg über politische Vorgänge, Fürst Leopold von Dessau über das alte brandenburgische Heerwesen. Das Münzdepartement beim Generaldirektorium wird angewiesen, einen Überblick über das Münzwesen von 1640 bis 1740 zu liefern. Die Kurmärkische Kammer hat eine Übersicht über die Bevölkerung und Besiedlung der Kurmark anzufertigen. Scharf sind die Fragen formuliert, genau ist angegeben, worauf es ankommt. Vergleichende<X> Gegenüberstellungen alter und neuer Zeiten werden verlangt, sobald es sich darum handelt, den Fortschritt der Entwicklung zu kennzeichnen.
Zu den fremden treten die eigenen Vorarbeiten Friedrichs, eigenhändige Aufzeichnungen, in denen mit knappen Stichworten der Gang der künftigen Darstellung skizziert wird. So liegt uns ein eigenhändiger Entwurf für die Geschichte des Großen Kurfürsten vor.
Bei der Ausarbeitung verfuhr der König in der Weise, daß er sich an seine Vorlage — sei es ein von seinen Ministern verfaßter Auszug aus den Akten, die Schilderung einer politischen Verhandlung oder ein Schlachtbericht — eng anschloß. Nicht nur einzelne Wendungen, sondern oft auch ganze Sätze wurden fast Wort für Wort oder doch dem Sinne nach übernommen.
Trotz aller Abhängigkeit Friedrichs von seinen Vorlagen ist dennoch ein großer Unterschied zwischen diesen und seiner Darstellung zu konstatieren. Jene Auszüge der Minister schildern in chronologischer Folge, Schritt für Schritt den Gang der Dinge, der Unterhandlungen; sie exzerpieren die einzelnen Erlasse und Berichte. Dem König hingegen kommt es nur auf den hauptsächlichen Inhalt an; der Verlauf der Ereignisse im einzelnen ist ihm gleichgültig. Er verweilt nur bei den Höhepunkten der Entwicklung. Damit erhebt er die ihm vorliegenden aktenmäßigen Auszüge auf das Niveau künstlerischer Darstellung. Doch nicht genug damit: er begleitet sie mit Betrachtungen politischer oder militärischer Art. Ein schlagendes Beispiel bilden die Wischen Erörterungen, die er in der „Geschichte meiner Zeit“ an die Schlachtschiliderungen knüpft. Ferner werden eigene Erinnerungen und Erlebnisse in die Erzählung verwoben. Endlich sind die Charakteristiken zu nennen, die er von den bedeutendsten Persönlichkeiten entwirft, die sich, wie in dem biographischen Abriß des Großen Kurfürsten, zu einem breit ausgeführten Charaktergemälde, zu einer Parallele zwischen Friedrich Wilhelm und Ludwig XIV. erweitern X-1. Das alles ist Friedrichs geistiges Eigentum. Um es kurz zu sagen: jene Aktenauszüge und fremden Vorarbeiten, die er zugrunde legt, sie sind nur das Rohmaterial, aus dem er als „Architekt“, wie er sich selber einmal nennt, den kunstvollen „großen Bau“ aufführte.
Das Bild wäre unvollständig, gedächten wir nicht auch der Mängel seiner Darstellung. Sie liegen in seiner Sorglosigkeit gegenüber dem Detail. Dies ist in seinen Augen nebensächliches Beiwerk, das er mit souveräner Verachtung behandelt. So finden sich denn zahlreiche falsche Namen und Daten. Zwar hat er einige Irrtümer nachgeprüft, auf die Voltaire ihn hinwies. Aber ihnen stehen andere Fälle gegenüber, wo er jede Korrekur schlechthin ablehnte.
Ebensowenig stimmen seine Zitate genau, sind die Briefe und Urkunden, die er in den Text einschiebt, ganz wortgetreu. Nur um den Sinn ist es ihm zu tun; auf den Wortlaut legt er keinerlei Gewicht. Denn, um es noch einmal zu wieder<XI>holen, von hoher Warte betrachtet er die Dinge. Nur das Große und Bedeutende fesselt seinen Blick; über das Kleine und das Detail schreitet er mit Verachtung hinweg.
Ein Wort endlich über die Beweggründe, die ihm die Feder in die Hand drückten. Er selbst bezeugt, daß ihn die Lektüre Voltairescher Schriften dazu angeregt habe. Dann war es Schaffensfreude und Schaffenstrieb; schriftstellerische Tätigkeit bedeutete ihm Erholung von der schweren Königsarbeit. Aber damit sind die Gründe keineswegs erschöpft. „Geschwister“ seines Politischen Testaments von 1752 hat Friedrich seine Aufzeichnungen von 1746 einmal genannt; denn ihrer Natur nach seien sie zu dem gleichen Schicksal verurteilt, das Licht der Öffentlichkeit nicht zu sehen. Damit steht freilich im Widerspruch, daß er eben sie für die Nachwelt bestimmt! „Dir, künftiges Geschlecht, widme ich dieses Werk!“ so ruft er in der Vorrede aus. Gleichzeitig weiht er es als „Denkmal seiner Dankbarkeit“ den gefallenen Offizieren XI-1.
„Geschwister“ des Testaments waren seine historischen Werke in anderem Sinne. Wie er dort Organisation und Struktur der preußischen Monarchie schildert, wie er dort dem Nachfolger die Wege für die Zukunft weist, so zeigt er in seinen historischen. Schriften das Werden und Wachsen des brandenburgisch-preußischen Staates; er zeigt, wie Preußen in hartem Kampfe mit den Nachbarn groß geworden, wie es alle seine Kräfte in den Dienst der äußeren Politik gestellt, wie infolgedessen Finanzen, Politik und Heerwesen untrennbar miteinander zusammenhängen. Denn auch ihm gilt der Satz: Staat ist Macht! So soll die Nachwelt aus seinen historischen Schriften lernen, daß sie auf diesem Wege weiterwandeln muß, will sie des Vaterlandes Größe wahren und mehren. Man sieht: die Grundgedanken des Politischen Testaments kehren in seinen Geschichtswerken wieder.
Wenn er selbst nur die „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg“, und auch diese mit Ausschluß des Kapitels über seinen Vater der Öffentlichkeit übergeben hat, so liegt der Grund nahe. Auf die Politik, auf die Persönlichkeiten, die an den von ihm geschilderten Ereignissen mitgewirkt hatten und die zum Teil noch lebten, mußte Rücksicht genommen werden. Traf er auch keine Bestimmungen über die Veröffentlichung seiner historischen Schriften, so ließ er doch die Frage ihrer späte-ren Herausgabe offen, wie aus den Worten hervorgeht, die er am 24. August 1743 an Voltaire richtete: „Meine Memoiren sind wahrheitsgetreu. Sie können also ihrer Natur entsprechend erst nach Ablauf des Jahrhunderts erscheinen.“
Was die leitenden Grundsätze für. unsere Edition betrifft, so ist zu bemerken, daß die Übertragung der Werke Friedrichs nach dem Text der akademischen Ausgabe der „Œuvres de Frédéric le Grand“ erfolgt Zugleich ist, dem gegenwärtigen Stande der Forschung entsprechend, alles einschlägige Material herangezogen, das als Berichtigung wie als Ergänzung in Frage kommt.
<XII>Bei der Textgestaltung sind alle offenbaren Versehen und Schreibfehler in Namen und Daten siillschweigends verbessert worden, da sie durch Entstellung des Sinnes nur störend wirken und der König, wie erwähnt, dieses Detail vollständig vernachlässigt hat. Andrerseits sind die Korrekturen der Irrtümer, denen sachliche Bedeutung zukommt, in Fußnoten gegeben. Doch konnte es nicht unsere Aufgabe sein, jegliches zu berichtigen und jegliches zu erläutern. Auch in den Einleitungen zu den einzelnen Bänden haben wir uns auf das Notwendige beschränk Für das weitere Studium verweisen wir auf die bekannten Werke über König Friedrich von Leopold von Ranke, Johann Gustav Droysen, Reinhold Koser und Wilhelm Wiegand und, soweit es die Kriegsgeschichte angeht, auf die Darstellung der „Kriege Friedrichs des Großen“ vom Großen Generalstab, die bei der Herausgabe der historischen Schriften, als maßgebendes Werk zugrunde gelegt worden ist.
Zum vorliegenden Bande, der die „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg“ umfaßt, ist zu bemerken, daß der Text der Darstellung bis zum Tode Friedrich Wilhelms I. von Willy Rath übersetzt worden ist, die kulturgeschichtlichen Abhandlungen mit Ausnahme des Abschnittes über die Erwerbungen und Finanzen Brandenburgs von Carl Werner von Jordans, der eben genannte Abschnitt nebst dem Anhang von Friedrich von Oppeln-Bronikowski.
Der französische Text, der den Übersetzungen zugrunde liegt, ist abgedruckt in den „Œuvres de Frédéric le Grand“ (Bd. 1: Die „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg“; Bd. 8: Die „Betrachtungen über den gegenwärtigen politischen Zustand Europas“). Der Abschnitt über die Erwerbungen und Finanzen Brandenburgs nebst dem im Anhang mitgeteilten Beitrag „Zur Charakteristik König Friedrich Wilhelms I.“ ist veröffentlicht von M. Posner in den „Miscellaneen zur Geschichte König Friedrichs des Großen“ (hrsg. auf Veranlassung und mit Unterstützung der Königlich Preußischen Archivverwaltung; Berlin 1878). Die kulturhistorischen Abhandlungen des Bandes sind nach der ursprünglichen Reihenfolge angeordnet.
Gustav Berthold Volz.
V-1 Zwei Ausgaben der „Œuvres du philosophe de Sanssouci“ sind zu unterscheiden, eine dreibändige, deren Drucklegung 1750 vor Voltaires Ankunft in Potsdam beinahe vollendet war, und die zweibändige, unter seiner Teilnahme revidierte von 1751/52.
VI-1 Sie erschienen 1788 in 15 Bänden, zu denen noch 6 Ergänzungsbände kamen.
VI-2 Vgl. Volz, Friedrich der Große am Schreibtisch (Hohenzollern-Jahrbuch 1909).
VII-1 Zum Unterschied von der noch im folgenden zu erwähnenden Neubearbeitung von 1775 werden sie allgemein als erste Redaktion der „Geschichte meiner Zeit“ bezeichnet.
X-1 Vgl. S. 89 ff.
XI-1 Vgl. Bd. II, S.272.