Vorrede von 1748
Nichts sollte einem das Schreiben so verleiden wie die Flut der Bücher, die Europa überschwemmt. Der Mißbrauch, den man mit der geistvollen Erfindung der Buchdruckerei treibt, verleiht nur unseren Dummheiten ewiges Leben, und der Nachwelt wird er bitterböse Urteile an die Hand geben: was unsere Werke doch für eine leichte Ware seien! In der Tat, es hat den Anschein, als seien wir zu Ende mit allen denkbaren Stoffen von der Zeder bis zum Ysop5-1; dreihundert Schriftsteller — wer weiß, vielleicht tausend, haben Erinnerungen und Beiträge zur Geschichte Frankreichs verfaßt. So winzig kein Freistaat, er hat eine umfangreiche Darstellung seiner Geschichte gefunden; hat man doch selbst die Insekten mit einem Werke von acht gewichtigen Bänden in Quarto beehrt5-2 deren Einbände zum mindesten in den Büchereien der Liebhaber sich recht stattlich ausnehmen. Sogar von Beleidigungen, die neidisches Gelehrtengezänk zutage gefördert hat, gibt es umfangreiche Sammlungen, angefangen bei feinen Nadelstichen bis zu plumpen Beschimpfungen. Und so muß man zugeben und anerkennen: unser Jahrhundert läßt es sich sauer werden, das Menschengeschlecht zu unterrichten.
Sollte man nun nicht meinen, wer derartige Betrachtungen anstellt, werde selber nie eine Feder anrühren? Und doch vermochte die allgemeine Schreibwut, diese herrschende Landseuche, auch mich, unter die Schriftsteller zu gehen! Ja, man darf nie sich selber über den Weg trauen; wir sind Sophisten, sobald unsere Leidenschaften in Frage kommen. Genug, ein böser Geist oder dergleichen gibt mir den Gedanken ein, die Geschichte des Hauses Brandenburg sei noch nicht geschrieben! Und alsbald ist meine Einbildungskraft entzündet. Ich erbitte und erwirke die Vergünstigung, mich in den königlichen Archiven zu unterrichten, meine Forschungen führen mich zu neuen Quellen, und siehe da, auf einmal bin ich, ich mag wollen oder nicht, Geschichtsschreiber. Da die beschauliche Tätigkeit im Arbeitszimmer mich ins Haus bannte, so fragte mich ein Freund nach dem Grunde solcher Zurückgezogenheit und setzte mir so arg zu, daß ich in meiner Not alles bekannte. Er las meinen Versuch<6> und wußte mich dahin zu bringen, daß ich ihn der Königlichen Akademie der Wissenschaften vorlegte.
Für die urkundliche Richtigkeit der Tatsachen, die mein kleines Werk anführt, kann ich mich verbürgen. Archive, Chroniken, auch Schriftsteller, die ihrerseits schon über mein Gebiet gearbeitet haben, das sind meine Quellen gewesen. Not getan hätte freilich ein geschickterer Baumeister, um aus dem Stoffe etwas zu machen, und dann auch ein Kritiker, der nicht mit der gleichen Wärme wie Herr von Maupertuis jegliche wissenschaftliche Arbeit ermuntert6-1. Nun ist es am Leser, über mein Werk zu richten. So blind macht mich meine Eigenliebe nicht, daß ich überzeugt wäre: was ich ihm gebe, sei gut.
5-1 I. Könige, Kap. IV, Vers 33
5-2 Anspielung auf Réaumurs „Mémoires pour servir à l'histoire des insectes“ (1734/42).
6-1 Nach Verlesung des bis 1640 reichenden Anfangs der „Denkwürdigkeiten“ in der Akademie am 1. Juni 1747 hatte ihr Präsident Maupertuis darauf geantwortet und seine Antwort in dem 1748 erschienenen Jahresbericht der Akademie abgedruckt.