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Zur Einführung
(1751)

Die Geschichte gilt als die Schule der Fürsten. Sie gibt ihnen ein bleibendes Bild der Regierung der Herrscher, die Väter des Vaterlandes waren, sowie der Tyrannen, die es verheerten. Sie zeigt ihnen die Ursachen für der Reiche Wachstum wie für ihren Niedergang. Sie bringt dabei eine solche Fülle von Charaktergestalten ans Licht, daß Ähnlichkeiten mit Fürsten unserer Tage sich ohne weiteres aufdrängen; und wenn sie über die Toten ihr Urteil spricht, richtet sie stillschweigend über die Lebenden mit. Ihre Vorwürfe über die Laster derer,die nicht mehr sind, geben den Lebenden eine Lehre der Tugend, als wollte sie ihnen enthüllen, welches Urteil die Nachwelt über sie fällen wird.

So sehr das Studium der Geschichte die eigenste Sache der Fürsten ist, ihren Wert hat sie nicht minder für den Bürger. Da sie die Kette der Begebenheiten aller Jahrhunderte bis auf unsere Tage darstellt, so gibt sie dem Rechtsgelehrten, dem Staatsmann und dem Krieger, der sie zu Rate zieht, Aufschluß über den Zusammenhang der Vergangenheit mit der Gegenwart. Lob und Ehre aller, die ihrem Lande treu gedient haben, finden sie in der Geschichte, ebenso den Fluch, der auf dem Namen derer lastet, die das Vertrauen ihrer Mitbürger getäuscht haben. So gewinnen sie hier eine Erfahrung, wie sie sonst das Leben erst später zur Reife bringt. Wer den Umkreis seiner Anschauungen und Begriffe nur auf seine vier Wände einschränkt, wer seine Kenntnisse nicht erweitern mag über den Bereich seiner häuslichen Pflichten, der verkümmert und verblödet in gröbster Unwissenheit. Wer aber in den Tagen der Vergangenheit sich heimisch zu machen weiß, die ganze Welt mit seinem Geiste umspannt, der trägt in Wahrheit Eroberungen über die Unwissenheit und den Irrtum davon. Das heißt in allen Zeitaltern gelebt haben, ein Bürger aller Orte und Länder werden!

Die Weltgeschichte reicht uns die Hand, damit wir uns zurechtfinden in der Fülle von Begebenheiten in aller Herren Ländern. Methodisch geleitet sie uns vom grauen Altertum her durch die Folge der Zeiten und gliedert sie in Hauptepochen, die dem Gedächtnis einen Anhalt bieten. Aber auch jede Einzeldarstellung hat ihren Wert,<8> insofern sie die Folge der Geschehnisse im Schoße eines einzelnen Reichs eingehend schildert, immer in der Beschränkung auf dies Sondergebiet. Bieten uns weltgeschichtliche Darstellungen ein gewaltiges Gemälde mit einer wunderbaren Gestaltenfülle, wobei manche Gestalt ganz im deckenden Schatten der anderen bleibt, sodaß sie fast verschwindet, so hebt die Einzeldarstellung nur eine Figur aus dem Gemälde heraus, führt sie in großen Maßen aus, bedenkt sie mit allem Reiz von Licht und Schatten, der sie erst zur Geltung bringt, und setzt die Welt in den Stand, sie mit der Gründlichkeit zu betrachten, die sie verdient.

Ein Mensch, der sich nicht vom Himmel gefallen wähnt, der die Weltgeschichte nicht von seinem Geburtstage an datiert, muß zu wissen verlangen, was sich wohl zu allen Zeiten und in allen Landen begeben hat. Gesetzt auch, seine Gleichgültigkeit früge garnichts nach dem Lose so vieler großer Völker, die das Spiel des Schicksals waren, wenigstens für die Geschichte seines eignen Landes wird er etwas übrig haben und sich an der Betrachtung der Geschehnisse erbauen, die seine Voreltern so nahe angingen. Mag ein Engländer nichts wissen vom Leben der Könige auf den persischen Thronen, mag er sich nicht auskeimen in der endlosen Schar von Päpsten, die der Kirche Gebieter waren, keiner wird es ihm verübeln. Nicht so nachsichtig wird man urteilen, hat er keine Kenntnis vom Ursprung seines Parlaments, von Brauch und Recht seines Inselreichs, von den verschiedenen Königsgeschlechtern, die in England geherrscht haben.

Alle gesitteten Völker Europas fanden ihre Geschichtsschreiber, nur die Preußen nicht. Zu solchen zähle ich nicht einen Hartknoch, einen Pufendorf8-1. Sie waren fleißige Arbeiter, die Tatsachen zusammentrugen. Doch ihre Werke sind eher geschichtlich Nachschlagebücher als eigentliche historische Darstellungen. Ebensowenig rechne ich hierher Lockelius8-2, der nur eine weitläuftige Chronik zustande gebracht hat, in der man jegliche fesselnde Einzelheit mit hundert Seiten Langerweile teuer erkaufen muß. Schreiber dieser Gattung sind eben nur Handlanger: emsig, aber wahllos schleppen sie einen Haufen von Bausteinen zusammen, die so lange unverwertet liegen bleiben, bis ein Baumeister ihnen die rechte Gestalt verleiht. Was derart zusammengestoppelt ward, ergibt nun und nimmer eine Geschichte, ebensowenig wie ein Haufen Drucklettern schon ein Buch darstellt, es komme denn Ordnung in das Ungefähr, daß es sich gliedere zu Worten, Sätzen und Satzgefügen. Die ungeduldige Jugend und Leute von Geschmack, die mit ihrer Zelt haushalten, machen sich nur mit Widerstreben an diese ungeheuren Wälzer; Leser, die sich gern mit einem Hefte abfinden, entsetzen sich vor einem Folianten. Aus diesen Gründen wurden die ge<9>nannten Schriftsteller nur wenig gelesen, blieb die Geschichte Brandenburgs und Preußens so gut wie unbekannt.

Seit der Regierung Friedrichs I. machte sich das Bedürfnis nach einem Schriftsteller fühlbar, der diese Geschichte in eine annehmbare Gestalt brächte. Aus Holland ward Teissier berufen und mit der Aufgabe betraut9-1. Leider gab der statt einer geschichtlichen Darstellung einen Panegyrikus. Er wußte wohl nicht, daß Wahrheit so zum Wesen der Geschichte gehört wie zum menschlichen Leibe die Seele.

So fand ich eine leere, wüste Stätte und versuchte, darauf einen Bau zu errichten, einmal, um ein nützlich Ding zu schaffen, sodann, um der Nation das Geschichtswerk zu geben, das ihr fehlte. Die Tatsachen schöpfte ich aus den besten Quellen, die mir zugänglich waren. Für die graue Vorzeit griff ich auf Cäsar und Tacitus zu-rück, für die späteren zog ich die Chronik des Lockelius, Pufendorf und Hartknoch zu Rate. In erster Linie gestaltete ich meine Denkwürdigkeiten an der Hand der Chroniken und der echten Urkunden in den königlichen Archiven. Was ungewiß bleibt, habe ich als ungewiß berichtet. Lücken ließ ich offen, wie ich sie vorfand. Ich machte mir zum Gesetz, die Dinge unparteiisch und mit dem Auge des Philosophen zu betrachten; denn ich bin überzeugt, daß des Geschichtsschreibers vornehmste Pflicht ist, wahr zu sein.

Sollten empfindliche Gemüter sich verletzt fühlen, wenn ich ihre Väter nicht in vorteilhafter Weise schilderte, so kann ich nur das eine erwidern: Lobpreisen lag mir fern, ich wollte Geschichte schreiben! Es tut der Geltung ihres eigenen Wertes keinen Abbruch, wenn man die Fehler ihrer Vorfahren tadelt; das eine verträgt sich sehr wohl mit dem andren. Es ist übrigens nur allzu wahr: ein Werk, das nicht frei von allem Zwang geschrieben ward, kann nur mittelmäßig oder ganz wertlos sein; man frage darum nicht nach den Menschen, die vergänglich sind, sondern nur nach der Wahrheit, die niemals stirbt.

Vielleicht findet der eine oder andere meinen Abriß zu kurz geraten. Ihnen sei zur Antwort, daß es nie in meiner Absicht lag, ein großes, eingehendes Werk zu verfassen. Mag ein Professor, der den Kleinkram liebt, es mir verübeln, daß ich nirgends angebe, aus welchem Stoffe der Rock Albrecht Achills gewesen oder welchen Schnitt der Kragen Johann Ciceros gehabt hat; mag ein Regensburger Pedant den Kopf schütteln, weil ich keine Prozesse, Verhandlungen, keine Verträge und Friedenstraktate abgeschrieben habe, wie man sie sonst wohl in dickleibigen Büchern vorfindet. All diesen Leuten sei gesagt: für sie schreibe ich nicht. Einen Folioband herzustellen, dazu habe ich keine Zeit, kam ich doch schon mit meinem Abriß ins Gedränge. Überhaupt bin und bleibe ich der Meinung, daß eine Sache nur so weit der Niederschrift lohnt, wie sie wert ist, behalten zu werden.

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Aus diesem Grunde habe ich die dunklen Anfangszeiten, sowie die Regierung der ersten Herrscher, die uns nur wenig angehen, in großen Sprüngen durchmessen. Es geht mit Geschichtswerken wie mit Gewässern, die erst da Bedeutung gewinnen, wo sie schiffbar werden. Die Geschichte des Hauses Brandenburg wird erst fesselnd mit Johann Sigismund: einmal infolge der Erwerbung des Herzogtums Preußen, sodann durch die Klevische Erbfolge, auf die er durch Heirat Rechtsansprüche hatte. Erst von dem Zeitabschnitt ab gewinnt der Stoff an Fülle, und so gewährte er auch mir die Möglichkeit, mich entsprechend auszudehnen.

Der Dreißigjährige Krieg hat ein ganz anderes Interesse als etwa die Fehden Friedrichs I. mit den Nürnbergern oder die Turniere Albrecht Achills. Dieser Krieg, der seine tiefen Spuren in allen Staaten zurückließ, ist eines jener großen Weltgeschehnisse, die jedem Deutschen, jedem Preußen vertraut sein müssen. Er führt uns auf der einen Seite den Ehrgeiz des Hauses Österreich vor Augen, wie es mit Waffengewalt sein despotisches Regiment im Reiche zu errichten strebt. Auf der anderen Seite erblicken wir den großen Sinn der deutschen Fürsten, die für ihre Freiheit streiten, wobei die Religion denn hüben und drüben den Vorwand abgeben muß. Wir sehen, wie die Politik zweier großer Könige sich der Geschicke Deutschlands annimmt und wie sie das Haus Österreich dahin bringt, im Westfälischen Frieden in die Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen dem Ehrgeiz des Kaisers und der Freiheit der Kurfürsten zu willigen. Begebenheiten von solcher Tragweite, daß sie sich bis auf den heutigen Tag in den wichtigsten Staatsfragen fühlbar machen, verlangten eine ins einzelne dringende Behandlungsweise, und so habe ich ihnen denn auch so viel Platz eingeräumt, wie sich mit der Anlage meines Werkes vertrug.

Soweit es mir andere wichtigere Obliegenheiten erlaubten, habe ich diese neue Ausgabe noch einmal durchgesehen, verbessert und erweitert. Da die erste nach einer wenig sorgfältigen Abschrift hergestellt war, so habe ich versucht, die vorliegende einwandfreier zu gestalten, wie ich es sowohl dem Gegenstand als auch dem Publikum schuldig war, das von jedem, der da schreibt, Achtung zu fordern hat.

Soeben erschien ein chronologischer Abriß der französischen Geschichte10-1, der wirklich für eine Quintessenz ihrer bemerkenswertesten Tatsachen gelten darf. Der feinsinnige Verfasser versieht sich auf die Kunst, selbst die Chronologie gefällig zu gestalten. Man braucht nur den Inhalt dieses Buches zu kennen, um die französische Geschichte vollständig zu beherrschen. Ich schmeichele mir nicht, meinem Versuch die gleichen Reize verliehen zu haben; doch halte ich meine Mühe für belohnt, wenn mein Werk vielleicht für die Jugend von Nutzen sein kann, und wenn es solchen Lesern Zeit erspart, die keine zu verlieren haben.

Wie schwierig es für einen Deutschen ist, in einer fremden Sprache zu schreiben, das sagte ich mir selbst. Gleichwohl entschied ich mich für die französische, weil sie am<11> meisten Schliff und die größte Verbreitung in Europa besitzt und dank den guten Schriftstellern des Zeitalters Ludwigs XIV. gewissermaßen eine feststehende Form erlangt hat. Schließlich ist es heute wohl kaum verwunderlicher, wenn ein Deutscher Französisch schreibt, als es in Ciceros Tagen befremden konnte, wenn ein Römer Griechisch schrieb.

Mehr mag ich über mein Buch nicht sagen, sonst wird noch die Vorrede länger als das Werk. Mag denn der Leser selbst richten, ob erreicht ist, was ich mir vorgesetzt hatte, oder ob ich Mühe und Zeit verloren habe.


10-1 Hénault, Nouvel abrégé chronologique de l'histoire de France (1744).

8-1 Christoph Hartknoch († 1687), Verfasser der Schrift „De Marchia Brandenburgica“ (1678); Samuel von Pufendorf († 1694), Verfasser des Werkes „De rebus gestis Friderici Wilhelmi magni electoris Brandenburgici commentariorum libri 19“ (1695), das in deutscher Übersetzung von Uhse 1710 erschien; diese hat König Friedrich benutzt.

8-2 Elias Lockelius, Verfasser der nur handschriftlich vorliegenden und bis 1680 reichenden Chronik „Marchia illustrata“.

9-1 Anton Teissier (1632 — 1715), aus Frankreich, siedelte 1692 nach Berlin über, Verfasser eines „Abrége de l'histoire des électeurs de Brandebourg“ (1705) und der „Vies des électeurs de Brandebourg, traduit du latin de Jean Cerntius“ (1707).