II
Bekehrung der Völker zum Christentum. Zustand der katholischen Religion in Brandenburg
Es ist ein törichter Brauch bei allen Völkern, den Wert ihrer Gesetze, ihrer Sitten und ihrer Religion durch deren Alter erhöhen zu wollen. Die Deutschen waren nicht zufrieden damit, ihre Götter den Griechen entlehnt zu haben; sie wünschten auch als ebenso alte Christen zu gelten wie die übrigen Völker Europas. Sie fanden, wie Stapletonus192-1 und Schmidtius192-2 behaupten, irgendwo in den Schriften des heiligen Hieronymus eine Stelle, der zufolge der Apostel Thomas in Norddeutschland das Evangelium gepredigt hätte. Erreicht hat er dort jedenfalls nichts; denn das Volk blieb noch lange Zeit danach dem Heidentum ergeben.
Was man auch sagen mag, in Brandenburg findet sich keine Spur des Christentums bis zur Zeit Karls des Großen. Nachdem dieser Kaiser mehrere Siege über die Sachsen und Brandenburger davongetragen hatte, schlug er bei Wolmirstedt in der Nähe von Magdeburg sein Lager auf und bewilligte jenen Ländern nur unter der Bedingung den Frieden, daß sie zum Christentum überträten192-3. Die Unmöglichkeit, einem so mächtigen Feinde Widerstand zu leisten, und die Furcht vor seinen Drohungen zwangen jene Völker zur Taufe, die ihnen im Lager des Kaisers zuteil wurde. Aber sobald er mit seinem Heer ihr Gebiet verlassen hatte und sie sich sicher fühlten, kehrten sie zum Götzendienst zurück.
Später (927) besiegte Kaiser Heinrich der Vogler die Bewohner der Elb- und Oderufer, ähnlich wie vor ihm Karl der Große, und nach vielem Blutvergießen wurden die Völkerschaften unterworfen und bekehrt. Aus Fanatismus zerstörten die Christen alle Götzenbilder des Heidentums, sodaß uns davon kaum sine Spur übrig geblieben ist. Die leeren Nischen der Götzenbilder wurden mit Heiligen aller Art gefüllt, und neue Irrtümer lösten die alten ab.
Um 946 gründete Otto I. das Bistum Havelberg und kurz danach (948) das Bistum Brandenburg (Angelus). Offenbar glaubte er dadurch den Götzendienst einzudämmen, dem die Bevölkerung huldigte, wie die Fürsten in neueroberten Städten Zitadellen errichten, um den Starrsinn und die Aufsässigkeit der Bewohner zu brechen.
Nachdem Brandenburg zum Christentum bekehrt war, verfiel es bald in die Übertreibungen des falschen Eifers. Es machte sich gleichzeitig dem Papst, dem Kaiser und <193>dem dort herrschenden Markgrafen gegenüber tributpflichtig. Aber bald begann das Volk, seine Dummheit zu bereuen. Es sehnte sich nach seinen Götzen zurück, die wenigstens greifbare Gegenstände der Verehrung und weit weniger drückend gewesen waren als der Tribut, den es nun alljährlich an den Papst entrichtete, den es niemals zu sehen bekam. Die Freiheitsliebe, die Macht alter Vorurteile und das eigene Interesse, alles führte sie wieder ihren falschen Göttern zu. Mistivoi, König der Wenden, trat an die Spitze des neuauflebenden Heidentums und stellte den alten Kult wieder her, nachdem er den Markgrafen Dietrich von Brandenburg vertrieben hatte193-1.
Zum drittenmal wurde dann mit Waffengewalt das Christentum in Brandenburg eingeführt. Fortan herrschte der siegreiche Katholizismus unumschränkt und zog das größte Ärgernis nach sich. Die Bischöfe waren unwissend, grausam, ehrgeizig und vor allem kriegerisch. Plündernd, raubend und brennend, kämpften sie selbst gegen die Markgrafen und gegen andere Nachbarn und maßten sich trotz ihres mit Verbrechen besteckten Lebens unbeschränkte Macht über die Gewissen an.
Diese Mißstände waren zu jener Zeit so allgemein, daß die Geschichte von Beispielen geradezu strotzt. Ich will mich mit zweien begnügen193-2. Im Jahre 1278 bekriegte Erzbischof Günther von Magdeburg den Kurfürsten Otto mit dem Pfeil, nahm ihn gefangen und zwang ihn, sich mit 7 000 Mark Silbers loszukaufen. Im Jahre 1391 nahm Erzbischof Albert, der stets bewaffnet war, den Staathalter der Mark, Bredow, gefangen, eroberte Rathenow und drang, alles verheerend, längs der Havel vor, die Fackel in der einen und das Schwert in der anderen Hand.
Auf bem Boden der krassen Unwissenheit, in der die Völker im 13. Jahrhundert lebten, mußte der Aberglaube üppig emporschießen. Es fehlte auch nicht an Wundern und an aller Art Betrug, der die Autorität der Priester stützen konnte. Lockelius erzählt allen Ernstes, Markgraf Otto, der vom Erzbischof von Magdeburg aus nichtigen Gründen in den Bann getan worden war, hätte über diese Kirchenstrafe gespottet, sei aber vom Anblick hungriger Hunde, die von seinem Tische kein Fleisch nehmen wollten, tief ergriffen worden und in sich gegangen. Diese Hunde waren augenscheinlich rechtgläubig; leider ist ihre Art ausgestorben.
Wundertätige Jungfrauen, Gnadenbilder und Heiligenreliquien besaßen damals ganz eigene Kraft. Sehr berühmt war unter anderem das heilige Blut von Belitz. Damit hatte es folgende Bewandnis: eine Schankwirtin von Belitz stahl eine geweihte Hostie und vergrub sie unter einem Faß in ihrem Keller, um einen besseren Absatz ihres Bieres zu erzielen. Bald verspürte sie Gewissensbisse (denn Schankwirtinnen haben ein sehr zartes Gewissen) und beichtete ihr Vergehen dem Pfarrer, der darauf in großer Prozession mit seinem ganzen priesterlichen Aufgebot kam, um die Hostie auszugraben. Als man die Schaufel in die Erde stieß, sah man Blut<194> hervorquellen, und alles schrie laut über das Wunder194-1. Dieser Betrug war zu grob. Man wußte, daß es Rinderblut war, das die Wirtin dort ausgegossen hatte. Solche Wunder verfehlten ihren Eindruck auf die Volksseele nicht. Aber damit nicht genug; die römische Kurie, die stets bestrebt war, im Schatten der Altäre ihre Herrschaft auszudehnen, ließ kein Mittel unbenutzt, das sie zu ihrem Ziele führen konnte.
Im dreizehnten Jahrhundert entstanden die meisten religiösen Orden. Der Papst gründete in Deutschland und in Brandenburg, so viele er konnte, angeblich, um die Geister im Christentum zu befestigen. Kopfhänger, Faulenzer, Müßiggänger und alle Arten von Leuten, die in der Welt ehrlos geworden waren, flüchteten in die geweihten Zufluchtsstätten. Sie raubten dem Staat Untertanen, indem sie sich von der Gesellschaft absonderten und auf die Verheißung verzichteten, die Gott unseren Stammeltern gegeben hat. Dafür fielen sie den Mitbürgern zur Last, da sie von Almosen lebten oder ungerechtes Gut erwarben. Obgleich diese Einrichtung den Interessen der Gesellschaft wie des Staates gleich zuwiderlief, führte der Papst sie in ganz Europa ein. Damit schuf er sich ohne jeden Widerstand ein mächtiges Priesterheer auf Kosten aller weltlichen Fürsten und unterhielt große Besatzungen in Ländern, über die er keinerlei Oberhoheit besaß. Aber zu jener Zeit waren die Völker verdummt, die Fürsten schwach, und so triumphierte die Religion.
Nachdem nunmehr das Christentum tiefe Wurzeln geschlagen hatte, brachte es Fanatiker jeder Art hervor. Im Jahre 1351 wütete die Pest in Brandenburg. Das war Anlaß genug, daß der Aberglaube alle Grenzen überstieg. Um den Zorn des Himmels zu besänftigen, taufte man Juden mit Gewalt und verbrannte andere, veranstaltete Prozessionen, tat Gelübde vor wundertätigen Bildern. Schließlich brachte die durch so viel tolle und bizarre Einfälle erhitzte Einbildungskraft den Flagellantenorden hervor194-2. Das waren trübsinnige, gallige Christen, die sich in öffentlichen Aufzügen mit drahtdurchflochtenen Ruten geißelten. Vor solch fanatischen Greueln entsetzte sich selbst der Papst und verbot den Orden und seine Verirrungen.
Man lenkte das Verehrungsbedürfnis der Menge auf mildere Dinge. Papst Johann XXII. errichtete in Brandenburg Ablaßkanzleien. Die Augustiner verkauften Ablässe und schickten den Erlös nach Rom.
Die Wunder wurden schließlich so häufig, daß, wie die Geschichtsschreiber berichten, im Jahre 1501 ein Regen von roten und weißen Kreuzen auf alle Vorübergehenden herabfiel. Man fand solche Kreuze selbst im Brot, was als Vorzeichen eines großen Unglücks angesehen wurde194-3.
<195>Das Zeitalter, dem Leo X. in Italien soviel Glanz verlieh, indem er die Künste und Wissenschaften wieder erwecke, die solange unter Unwissenheit und Ungeschmack begraben waren — dies Zeitalter war für den Norden weniger ruhmreich. Deutschland lebte noch in tiefster Unwissenheit und schmachtete unter einer barbarischen Regierung ohne Sitten und Kenntnisse. Die menschliche Vernunft, des Lichtes der Philosophie beraubt, war ganz in Stumpfsinn verkommen. Klerus und Volk standen auf der gleichen Stufe und hatten einander keinen Vorwurf zu machen.
Zu dieser Zeit, da die Priester mit der menschlichen Leichtgläubigkeit so groben Mißbrauch trieben, da sie die Religion ausnutzten, um sich zu bereichern, da die Pfaffen das zügelloseste Leben führten; unternahm es ein einfacher Mönch, alle diese Mißstände zu reformieren. Durch sein Beispiel gab er den Menschen den Gebrauch der Vernunft wieder, der ihnen jahrhundertelang verboten gewesen war, und der menschliche Geist, durch die wiedererlangte Freiheit mit neuem Mut erfüllt, begann den Bereich seines Wissens nach allen Richtungen zu erweitern.
192-1 Thomas Stapletonus, „Tres Thomae“, Köln 1612.
192-2 Vgl. S. 191, Anm. 6.
192-3 Anmerkung des Königs: „Heinrich Meibomius.“ Dieser († 1625) war der Verfasser der Schriften „Rerum germanicarum tomi tres“ (1702) und „Ad Saxoniae interioris inprimis historiam introductio“ (1687).
193-1 Vgl. S. 14.
193-2 Anmerkung des Königs: „Lockelius“ (vgl. S. 8, Anm. 2).
194-1 Anmerkung des Königs: „1249. Brandenburger Annalen.“ Doch liegt eine Verwechslung mit dem heiligen Blut von Zehdenick vor. Ein ähnlicher Vorgang spielte sich nach Angelus 1247 in Belitz ab.
194-2 Anmerkung des Königs: „Cramer, Baronius, Lockelius.“ Daniel Cramer († 1637), Pastor in Stettin, verfaßte eine pommersche Kirchenchronik, Cäsar Baronius († 1607) die „Annales eclesiastici“.
194-3 Anmerkung des Königs: „Lockelius; Brandenburger Annalen.“