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Sitten, Gebräuche und Industrie

Der Fortschritt des Menschengeistes in den Künsten und Wissenschaften

Wir bieten dem Leser dieser Schrift nur eine Auswahl der hervorstechendsten und charakteristischsten Züge brandenburgischen Geisteslebens in jedem Jahrhundert. Aber welch ein Unterschied zwischen den Jahrhunderten! Völker, die ein Weltmeer trennt, Antipoden unterscheiden sich in ihren Bräuchen nicht mehr als die Brandenburger zur Zeit des Tacitus von denen zur Zeit Heinrich des Voglers, oder diese von denen unter Johann Cicero, oder diese endlich von den Bewohnern der Kurmark unter König Friedrich I. von Preußen.

Die große Masse der Menschen, deren Blicke durch die unendliche Mannigfaltigkeit der Erscheinungen abgelenkt werden, betrachtet die Laterna magica dieser Welt ohne tieferes Nachdenken. Sie bemerkt die allmählichen Änderungen der Sitten und Gewohnheiten so wenig, wie man in einer großen Stadt leicht über die Lücken hinwegsieht, die der Tod dort täglich reißt, wenn er nur den kleinen Kreis derer verschont, die uns am nächsten stehen. Ist man aber kurze Zeit fortgewesen, so findet man bei seiner Rückkehr andere Menschen und neue Sitten.

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Wie schön und lehrreich ist es, die vergangenen Jahrhunderte an sich vorüberziehen zu lassen und die Bande zu sehen, durch die sie mit unserer Zeit zusammenhängen! Die Betrachtung eines Volkes vom rohen Urzustand durch alle Phasen des Fortschritts bis zur Blüte der Kultur ist wie das Studium der Metamorphosen der Seidenraupe, die zur Puppe und schließlich zum Schmetterling wird. Aber wie demütigend ist dies Studium! Nur zu deutlich erkennt man das unumstößliche Naturgesetz, das die Menschen zwingt, vielerlei Ungereimtheiten zu überwinden, ehe sie zu etwas Vernünftigem gelangen. Wenn wir auf den Ursprung der Völker zurückgehen, finden wir sie ausnahmslos im Zustande der Barbarei. Die einen haben in langsamem Trott und auf vielen Umwegen einen gewissen Grad von Vollkommenheit erreicht; die anderen sind in plötzlichem Aufschwung dahin gelangt. Alle sind verschiedene Wege gegangen. Und Bildung, Künste und Industrie haben in den verschiedenen Ländern, wo sie Eingang fanden, von der unzerstörbaren Eigenart des Volkes einen gewissen Erdgeruch angenommen. Das wird uns noch deutlicher, wenn wir Bücher lesen, die in Padua, London oder Paris geschrieben sind. Wir unterscheiden sie ohne Mühe, selbst wenn die Verfasser den gleichen Stoff behandeln. Nur die Mathematik bildet eine Ausnahme.

Die unerschöpfliche Mannigfaltigkeit, mit der die Natur die Charaktere der Völker und der Einzelnen ausstattet, ist ein Zeichen ihres Reichtums, aber zugleich ihrer Sparsamkeit. Denn obgleich von den unzähligen Möllern, die die Erde bedecken, jedes seine besondere Eigenart besitzt, scheinen doch gewisse große Züge, in denen sich das eine vom anderen unterscheidet, unaustilgbar zu sein. Jedes Volk hat seinen Charakter. Er kann durch das größere oder geringere Maß der Erziehung, das ihm zuteil wird, wohl verändert werden, aber niemals verschwinden seine Grundzüge. Es wäre leicht, diese Auffassung durch Belege aus der Natur zu stützen, doch wir wollen uns nicht von unserem Gegenstand entfernen. Es folgt also, daß die Fürsten die Denkart ihrer Völker nie ganz geändert haben, daß sie niemals die Natur zwingen konnten, große Männer hervorzubringen, wenn sie es verweigerte. Es ist wie bei den Bergwerken. Die Fürsten können in ihnen arbeiten lassen, aber die erzhaltigen Adern richten sich nicht nach ihrem Willen. Sie öffnen sich plötzlich und spenden unermeßliche Schätze, und sie versiegen zu Zeiten, wo man am habgierigsten nach ihnen schürft.

Wer Tacitus oder Cäsar gelesen hat, wird noch heute die Deutschen, die Franzosen und Engländer an den Farben wiedererkennen, mit denen jene sie malen. Achtzehn Jahrhunderte konnten sie nicht auslöschen. Wie könnte da eine Regierung das erreichen, was so viele Jahrhunderte nicht vermochten? Ein Bildhauer kann einem Stück Holz die Form geben, die ihm beliebt; er kann daraus einen Äsop203-1 oder einen Antinous gestalten203-2, aber nie wird er die Natur des Holzes ändern. Gewisse<204> vorherrschende Laster und Tugenden wird jedes Volk stets behalten. Wenn also die Römer unter den Antoninen tugendhafter erscheinen als unter Tiberius, so liegt das daran, daß die Verbrechen sirenger bestraft wurden. Das Lasier wagte sein schnödes Haupt nicht zu erheben; aber die Lasterhaften existierten deshalb nicht minder. Der Herrscher kann seinem Volke einen gewissen Bildungsfirnis geben. Er kann die Beobachtung der Gesetze erzwingen und die Wissenschaften auf eine bescheidene Höhe bringen. Aber nie wird er das Wesen der Dinge ändern. Er kann nur der dominierenden Farbe des Gemäldes eine flüchtige Schattierung hinzufügen. Daß es sich so verhält, haben wir in unseren Tagen an Rußland gesehen. Peter I. schnitt seinen Moskowitern ihre Barte ab, befahl ihnen an die Ausgießung des Heiligen Geistes zu glauben, veranlaßte manche, sich nach französischer Mode zu kleiden; ja sie lernten sogar fremde Sprachen. Dennoch wird man die Russen noch lange von den Franzosen, Italienern und anderen Völkern Europas unterscheiden. Einzig die vollständige Zerstörung eines Staatswesens und seine Neubevölkerung mit fremden Ansiedlern könnten nach meinem Dafürhalten den Geist eines Volkes von Grund aus verändern. Aber man sehe sich vor: das wäre dann nicht mehr das gleiche Volk! Und es bliebe noch die Frage offen, ob nicht Klima und Ernährungsweise mit der Zeit die neuen Einwohner den alten ähnlich machen würden.

Wir haben es für nötig gehalten, das Kapitel, das die Sitten der Brandenburger behandelt, von der übrigen Geschichte zu trennen. Denn diese befaßt sich vorwiegend mit Politik und Krieg, und die auf Sitten, Industrie und Künste bezüglichen Einzelheiten würden innerhalb eines ganzen Werkes so verstreut sein, daß sie dem Leser wohl entgangen wären, während er sie hier unter einem einzigen Gesichtspunkt vereinigt findet, wo sie ein Stück Geschichte für sich bilden. Für den Anfang dieser Abhandlung haben mir bei dem gänzlichen Mangel an einheimischen Geschichtsschreibern die lateinischen als Quellen gedient. Lockelius204-1, den ich oft zu zitieren haben werde, hat mich über die in Dunkel gehüllte Regierungszeit der Markgrafen der ersten vier Dynastien aufgeklärt. Und die Archive haben mir das Material geliefert für das Bemerkenswerteste aus der Geschichte der Kurmark unter den Hohenzollern,die uns bis auf die Gegenwart führt.

I
Sitten und Gebräuche der alten Germanen bis zu Heinrich I.

Bei der langen Aufzählung der Völkerschaften Deutschlands, die Tacitus gibt, irrte er sich hinsichtlich des Wortes Ingevonen, das „Einwohner“ bedeutet. Ebenso über das Wort Germanen, das nichts anderes heißt als „Kriegsmänner“, das er aber in seiner Unkenntnis der Sprache für die Bezeichnung einzelner Stämme nimmt.<205> Die Gesamtheit dieser Krieger, die Deutschland bewohnten, gab ihm den Namen Germanien.

Die ersten Bewohner der Mark waren die Teutonen. Nach ihnen kamen die Semnonen, von denen Tacitus sagt, daß sie die vornehmsten unter den Sueben waren.

Zu jenen entlegenen Zeiten befand sich Deutschland in völlig barbarischem Zustande. Halbwilde und rohe Völker bewohnten die Wälder. Armselige Hütten dienten ihnen als Wohnungen. Sie heirateten früh und vermehrten sich stark, zumal die Frauen selten unfruchtbar waren. Die Volkszahl wuchs ständig, und da die Söhne sich darauf beschränkten, die Äcker ihrer Väter zu bebauen, statt neues Land urbar zu machen, konnte bald ein so kleines Erbteil selbst in den besten Jahren nicht genug zum Unterhalt so vieler Köpfe liefern. So waren sie gezwungen, auszuwandern und anderswo ihr Auskommen zu suchen. Daher die großen Einfälle der Barbaren in Gallien, in Afrika und selbst ins Römische Reich205-1.

Die Germanen waren Jäger, weil sie die Not dazu zwang, und Krieger aus Instinkt. Ihre Armut nötigte sie zur schnellen Beendigung ihrer inneren Kriege, zumal die Selbstsucht niemals mitsprach. Ihre Feldherren, die später ihre Herrscher wurden, nannten sich „Fürsten“, was eine Ableitung von dem Wort Führer ist. Sie waren berühmt durch ihren hohen Wuchs und ihre kraftvollen und in den schwersten Arbeiten abgehärteten Körper. Ihre Haupttugenden waren der Mut und die Treue, mit der sie ihre Verpflichtungen erfüllten. Sie feierten diese Tugenden in Liedern, die sie ihren Kindern lehrten, um sie der Nachwelt zu überliefern.

Die lateinischen Geschichtsschreiber selber stellen der Tapferkeit der Germanen ein glänzendes Zeugnis aus, indem sie uns von den Niederlagen des Varus und anderer römischer Feldherren berichten. Wenn man schon dem Mut eines Volkes Beifall zollt, das bei ganz gleichen Vorbedingungen ein anderes besiegt, wieviel mehr muß man die Tapferkeit der Germanen bewundern! Allein das Vertrauen auf ihre eigene Kraft und ihr unbeugsamer Trotz, der den Sieg nicht lassen will, triumphierten über die römische Disziplin und über jene Legionen, die fast die Hälfte der bekannten Welt unterworfen hatten.

Was auch die meisten Geschichtsschreiber sagen, es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Römer trotz den Sueben die Elbe überschritten haben.205-2 Denn man hat bei Zossen205-3 in einem viereckigen Feld von achthundert Schritt Länge eine Menge von Urnen gefunden, in denen Münzen des Kaisers Antoninus und der Kaiserin Faustina enthalten waren, nebst einigem Flitterstaat, wie ihn die römischen Damen trugen. Das ist keinesfalls ein Schlachtfeld; denn die Sueben hätten die Schätze ihrer Feinde nicht in die Erde gegraben, um ihr Begräbnis zu ehren. Vielmehr kann man, wie mir scheint, mit Sicherheit annehmen, daß es sich um ein Lager einiger vorgeschobener Kohorten<206> handelt, die die Römer über die Elbe geschickt hatten, um von den Bewegungen und der Annäherung der Barbaren Kenntnis zu erhalten.

Brandenburg ist die älteste Stadt der Mark. Die Annalen206-1 verlegen die Gründung in das Weltjahr 3588, was dem 416. Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung entspricht. Es soll von Brennus, der Rom geplündert hat, erbaut und nach ihm benannt worden sein. Sagenhafte Berichte melden die Namen einiger Vandalenkönige (Hoterus und Witislas), die anscheinend ehrgeiziger und unternehmender waren als die anderen. Und in den Annalen lesen wir, daß Wittekind, König der Sachsen, Hermanfried, König der Thüringer, und Richimir, König der Franken, sich verbündeten, die Semnonen unterwarfen und zuerst die eroberten Städte mit Mauern umgaben, um das Land im Gehorsam zu halten.

II
Sitten und Gebräuche von Heinrich I. bis zu Friedrich I.

Karl der Große eroberte schließlich Brandenburg (789). Und Heinrich der Vogler setzte die Markgrafen oder Grenzstatthalter ein, nachdem er die in jener Gegend wohnenden Sachsen völlig unterworfen hatte (927).

Unter den Markgrafen milderten sich die Sitten. Aber das Land war sehr arm. Es brachte nur die notwendigsten Lebensmittel hervor. Es war auf die Industrie seiner Nachbarn angewiesen; und da niemand selber Industrie betrieb, floß viel mehr Geld heraus, als einkam. Dies Mißverhältnis führte immer mehr zur Abnahme des Geldes und drückte daher den Preis aller Waren. Die Lebensmittel waren so billig, daß man zur Feit des Kurfürsten Johann II. von Askanien den Scheffel Weizen für 28 Pfennig, den Scheffel Roggen für 8 Pfennig verkaufte, und sechs Hühner kosteten auf dem Markt einen Groschen.

Die Berliner galten zu jener Zeit für ebenso treue wie eifersüchtige Ehegatten. Die Chroniken berichten davon ein bemerkenswertes Beispiel (Lockelius, 1364). Unter der Regierung des Markgrafen Otto von Bayern traf ein Schreiber des Erzbischofs von Magdeburg auf dem Wege zu den öffentlichen Bädern in Berlin eine junge Bürgersfrau und schlug ihr im Scherze vor, mit ihm zu baden. Die Frau fühlte sich durch dies Ansinnen beleidigt. Ein Volksauflauf entstand. Und die Berliner Bürger, die keinen Spaß verstanden, schleppten den armen Schreiber auf einen öffentlichen Platz und schlugen ihm ohne weitere Umstände den Kopf ab. Wenn sie heutzutage auch noch eifersüchtig sind, so befriedigen sie ihre Rachgelüste doch in milderer Form.

Während der Regierung der Fürsten aus den ersten vier Dynastien war das Land in tiefes Elend versunken. Es konnte sich nicht daraus emporarbeiten, da es unauf<207>hörlich von einer Hand in die andere überging. Otto von Bayern mußte die Kurmark an Kaiser Karl IV. verkaufen (1373)207-1. Karl IV. residierte in Tangermünde, wo er einen glänzenden Hof hielt und ein recht weitläufiges Schloß erbaute, dessen Ruinen noch zu sehen sind. Während Jobst in Brandenburg regierte207-2 flüchteten die in Frankreich verfolgten Waldenser nach Angermünde, das davon den Beinamen „Ketzerstadt“ erhielt. Es ist nicht ersichtlich, warum die Waldenser in dem damals katholischen Brandenburg ihre Zuflucht suchten und warum man sie dort aufnahm, obschon man ihre Ketzerei verabscheute.

Die Herrscher aus dem Hause Luxemburg bedrückten das Volk in unerträglicher Weise. In ihren Geldverlegenheiten verpfändeten sie die Kurmark an den Meistbietenden. Diese Gläubiger behandelten das unglückliche Land wie eine Hypothek und preßten es auf jede Weise aus, um sich zu bereichern. Sie lebten auf Unkosten des Landes, wie in einer feindlichen Provinz. Räuber machten die Landstraßen unsicher. Polizei gab es nicht, und die Rechtspflege lag völlig danieder. Empört über das schmähliche Joch, das ihr Vaterland trug, führten die Quitzows und Holtzendorffs einen offenen Krieg gegen die kleinen Tyrannen, die es bedrückten. Während dieser allgemeinen Verwirrung und Anarchie seufzte das Volk im Elend. Der Adel war bald Werkzeug, bald der Rächer der Tyrannei. Und der Geist des Volkes, durch grausame Sklaverei und die Härte einer barbarischen Regierung erschöpft, blieb stumpf und gelähmt.

III
Sitten und Gebräuche unter dem Hause Hohenzollern

Kaiser Sigismund brachte Ordnung in das Chaos, indem er Brandenburg und die Kurwürde an Friedrich von Hohenzollern, Burggrafen von Nürnberg, übertrug (1412). Der verlangte die Huldigung von seinen neuen Untertanen. Aber das Volk, das bloß grausame Herren kannte, unterwarf sich nur zögernd seiner milden und rechtmäßigen Herrschaft. Friedrich I. machte die Edelleute botmäßig durch die Furcht vor der großen Kanone, mit der er die Burgen der Rebellen brach. Diese Kanone, aus der seine ganze Artillerie bestand, war ein 24-Pfünder. Der Geist des Aufruhrs erlosch nicht so bald. Die Bürger von Berlin empörten sich zu wiederholten Malen gegen ihre Obrigkeit. Aber Friedrich II. unterdrückte die Aufstände mit Weisheit und Milde.

Die Not zwang den Kurfürsten zur Verpfändung der Zölle von Schivelbein und Dramburg an Dionys von der Osten für die Summe von 1 500 Gulden, die er brauchte, um sich zum Reichstag nach Nürnberg begeben zu können.

Die Verhältnisse änderten sich erst unter dem Kurfürsten Johann Cicero, der die ersten Versuche machte, das Volk aus seinem Stumpfsinn und seiner Unwissenheit<208> emporzureißen. Es hieß schon viel in jenen finsteren Zeiten, wenn man seine Unwissenheit einsah. Zwar war dies erste Aufleuchten eines neuen Geistes nur ein schwaches Dämmerlicht, doch führte es immerhin zur Gründung der Universität in Frankfurt an der Oder (1506). Der Leipziger Professor Conrad Wimpina wurde der erste Rektor der neuen Hochschule und verfaßte deren Statuten. Tausend Studierende ließen sich im ersten Jahre in die Matrikeln einschreiben.

Es kam den Wissenschaften sehr zustatten, daß Joachim Nestor sie ebenso wie sein Vater schützte. Er war der Leo X. von Brandenburg. Er beherrschte die Mathematik, Astronomie und Geschichte, sprach fließend Französisch, Italienisch und Lateinisch. Er liebte die schönen Künste und wandte beträchtliche Kosten zur Förderung ihrer Jünger auf.

Es konnte nicht das Werk eines Tages sein, eine Nation zu zivilisieren, die so viele Jahrhunderte lang in Roheit gelebt hatte. Es bedarf erheblicher Zeit, die Segnungen der Kultur einem ganzen Volke zu vermitteln. Freilich studierte die Jugend. Aber die in reiferem Alter Stehenden blieben ihren alten, rauhen Gewohnheiten treu. Die Adligen trieben noch immer Straßenraub. Die Sittenverderbnis in Deutschland war so allgemein, daß der Reichstag zu Trier, um ihr ein Ende zu machen, das Fluchen und all jene Ausschweifungen verbieten mußte, die die Menschheit unter das Tier erniedrigen.

Damals wurden Weinberge in der Mark angelegt. Das Faß Wein kostete 30 Groschen, der Scheffel Roggen 21 Pfennig. Der Geldumlauf begann größer zu werden. Joachim Nestor ließ auch einige Bauten ausführen, unter anderen das Schloß in Potsdam. Jedermann war nach deutscher Mode gekleidet, die ungefähr der alten spanischen Tracht gleichkommt. Die Männer trugen Wämser und weite Halskrausen. Die Fürsten, Grafen und Edelleute trugen goldene Ketten um den Hals (Lockelius). Es war den Edelleuten nicht gestattet, mehr als drei goldene Spangen an der Halsbinde zu tragen. Die Kleidung der Frauen glich der der Augsburgerinnen oder der Töchter Straßburgs.

Endlich bürgerte sich, den Verhältnissen entsprechend, auch ein gewisser Luxus ein. Da aber die Fortschritte Brandenburgs in Handel und Industrie nie im rechten Verhältnis zu den Ausgaben standen, so bleibt es eine schwer zu lösende Frage, wie die Zunahme des Reichtums zustande kam.

Seit 1560 macht sich ein großer Unterschied in den Ausgaben der Kurfürsten bemerkbar. Als Joachim II. sich zum Reichstag nach Frankfurt begab208-1, hatte er 68 Edelleute in seinem Gefolge und 452 Pferde in seinem Troß (Lockelius). Nach der Rückkehr von dieser Reise fing man in Berlin an, hoch zu spielen. Die Mode drang vom Hof in die Stadt, wo man sie zu verbieten gezwungen war, nachdem einige Bürger mehr als tausend Taler an einem Abend verloren hatten.

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Die Annalen berichten, Kurfürst Joachim II. habe bei seiner Heirat mit Hedwig, Tochter König Sigismunds von Polen, die Hochzeitsnacht in voller Rüstung bei seiner jungen Gattin verbracht. Als ob die zärtlichen Kämpfe der Liebe derart ansehnliche Zurichtungen erforderten! Eine Mischung von Wildheit und Pracht beherrschte alle Gebräuche jener Zelt. Diese sonderbare Erscheinung erklärt sich aus dem Bestreben des Jahrhunderts, die Barbarei zu überwinden. Es suchte den rechten Weg dazu und verfehlte ihn. In seiner Roheit verwechselte es Zeremonien mit Höflichkeit, Pracht mit Würde, Ausschweifungen mit Vergnügen, Pedanterie mit Gelehrsamkeit und grobe Possenreißerei mit geistreichem Witz.

Unter Joachim II. ist noch die Gründung der Universität Königsberg durch Albrecht von Preußen zu erwähnen (1544).

Der Aufwand nahm immer mehr zu. Johann Georg veranstaltete eine prächtige Totenfeier für seinen Vater, das erste prunkvolle Leichenbegängnis, von dem die Geschichte Brandenburgs meldet. Die Neigung zu Festlichkeiten war die Leidenschaft dieses Kurfürsten; er liebte es, seine Würde zur Schau zu stellen. Die Geburt seines ältesten Sohnes feierte er vier Tage lang mit Turnieren, Schifferstechen, Feuerwerk und Ringelrennen (Lockelius). Die Ritter, die die vier Quadrillen209-1 bildeten, trugen<210> reich mit Gold und Silber bestickte Samtwämser. Aber der Geist der Zeit verleugnete sich bei all der Pracht nicht. An der Spitze jeder Quadrille befand sich ein Possenreißer, der in lächerlicher Weise das Horn blies und hunderterlei Späße vollführte. Und der ganze Hof stieg auf den Schloßturm, um sich das Feuerwerk anzusehen210-1. Bei der Durchreise König Christians IV. von Dänemark durch Berlin bereitete der Kurfürst ihm einen großartigen Empfang. Er ritt dem König entgegen, gefolgt von zahlreichen Prinzen, Grafen und Herren und einer Leibwache von 300 Reitern. Der König hielt seinen Einzug in einem mit schwarzem Samt ausgeschlagenen, mit Gold besetzten Wagen. Er wurde von acht Schimmeln gezogen, deren Geschirr und Zaumzeug aus Silber war. Man überhäufte ihn mit Festlichkeiten im Geschmack der oben geschilderten.

Man hatte den Aufwand wohl zu weit getrieben; denn Joachim Friedrich erließ Gesetze gegen den Luxus. Er selbst verwandte seine Einkünfte zu nützlichen Zwecken. Er gründete das Gymnasium zu Joachimstal, das später vom Großen Kurfürsten nach Berlin verlegt wurde, wo es noch heutigentags die blühendste und bestverwaltete Schule des preußischen Staates ist.

Unter der Regierung Johann Georgs fehlten noch viele Erfindungen, die der Bequemlichkeit des Lebens dienten. Der allgemeine Gebrauch der Kutschen datiert erst seit Johann Sigismund. Anläßlich seiner Huldigung in Warschau ist davon die Rede. In seinem Gefolge hatte er 36 Wagen zu je 6 Pferden, außerdem einen Zug von 80 Handpferden. Die Gesandtschaft, die sich für die Wahl des Kaisers Mathias zum Reichstag begab (1612), führte drei Wagen mit sich; das waren elende, aus vier Brettern roh zusammengefügte Fuhrwerke. Wer hätte damals gedacht, daß die Wagenbaukunst sich im 18. Jahrhundert derart vervollkommnen würde, daß man Wagen für 20 000 Taler baute, die sogar Käufer fanden?

Die Bildungsbestrebungen in Brandenburg und Deutschland waren nicht ganz vergeblich. Die Zahl der Hochschulen nahm zu. Die Universität Halle wurde damals gegründet210-2. Zugleich entstand in Weimar eine Akademie für die deutsche Sprache unter dem Namen „Fruchtbringende Gesellschaft“ (1617), die sehr nützlich hätte werden können. Denn der deutschen Sprache, die in zahllose Dialekte zerfällt, fehlt es an zuverlässigen Regeln, die ihren richtigen Gebrauch festlegen. Wir besitzen kein einziges klassisches Buch. Und wenn uns noch etwas von unserer alten republikanischen Freiheit geblieben ist, so ist es der unfruchtbare Vorteil, eine rauhe und fast noch barbarische Sprache nach Belieben verstümmeln zu können210-3.

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Jene schönen Einrichtungen, die uns vielleicht um hundert Jahre vorwärts gebracht hätten, standen eben im ersten Anfang ihrer Entwicklung, als der Dreißigjährige Krieg ausbrach, der ganz Deutschland umwälzte und verwüstete.

Unter der Regierung Johann Sigismunds genossen die Stände großes Ansehen.

Unter Georg Wilhelm verringerte Graf Schwarzenberg die Macht der Stände, obschon sie niemals Mißbrauch damit getrieben hatten211-1.

Das Jahr 1636 war für die Kurmark das unglücklichste im Verlauf des blutigen Krieges211-2. Die Schweden standen in Werben, die Kaiserlichen in Magdeburg und Rathenow, Wrangel in Stettin und Morosini in der Neumark, als 36 000 Kaiserliche das Land durchzogen und alles auf ihrem Wege plünderten und verheerten. Das war zuviel auf einmal. Brandenburg war von den Truppen, die auf seine Kosten gelebt und es in den vorhergehenden Jahren ausgeraubt hatten, noch zu sehr geschwächt und brach endlich zusammen. Eine furchtbare Teuerung entstand. Zwei Ochsen kosteten 100 Taler, ein Scheffel Korn 5, ein Scheffel Gerste 3. Der Wert des Geldes stieg mit seiner Seltenheit. Der Zahlwert des Dukatens wurde auf zehn Taler, geschätzt.

Einige Edelleute, die ihre Vorräte vor der Gier des Feindes geschützt hatten, wollten aus der Teuerung Vorteil schlagen. Aber die Bauern, die kein Geld hatten, das Getreide zu bezahlen, und die der Hunger zur Verzweiflung trieb, erschlugen ihre hartherzigen Herren und plünderten ihre Speicher.

Die Hungersnot wütete mit gleicher Heftigkeit fort, die Pest kam hinzu, und das Elend erreichte seinen Höhepunkt. Die wenigen armen Einwohner, die der Seuche und dem Feinde entronnen waren, vermochten so vielem Mißgeschick nicht standzuhalten. Sie verließen ihr unglückliches Vaterland und suchten in den Nachbarländern Zuflucht. Die ganze Mark war nur noch eine schreckliche Wüste. Sie bot ein jammervolles Bild von Trümmern, Brandstätten und all den Plagen, wie sie ein langer und erbitterter Krieg mit sich bringt. Unter all den Schrecken der Zerstörung fand man in diesen ganz verwüsteten Gegenden kaum noch Spuren der alten Bewohner.

Brandenburg wäre zugrunde gegangen, hätte nicht Friedrich Wilhelm es mit eiserner Energie wiederaufgerichtet. Seine Klugheit, seine Ausdauer und die Zeit besiegten alle Schwierigkeiten. Er stellte den Frieden her, traf geeignete Maßnahmen und rettete den Staat vor dem Untergang. Brandenburg wurde in der Tat ein ganz neues Land. Es bildete sich aus dem Zusammenschluß der Kolonisten der verschiedenen Völker mit den alten Bewohnern, die die Verheerung überstanden hatten. In guten wie in schlechten Jahren waren seitdem die Lebensmittelpreise so niedrig, daß der Scheffel Korn 12 Groschen kostete.

Neben allem anderen Unheil, das der Dreißigjährige Krieg anrichtete, zerstörte er auch das bißchen Handel, das in Norddeutschland bestanden hatte. Wir bezogen<212> unser Salz von altersher aus Holland und Frankreich. Die Vorräte, die während der Kriegsunruhen nicht erneuert werden konnten, erschöpften sich, und um ein so notwendiges Nahrungsmittel nicht entbehren zu müssen, nahm man seine Zuflucht zur eigenen Herstellung. Man fand Salzquellen in Halle, und diese lieferten genug, um Brandenburg und auch die Nachbarländer zu versorgen.

Die ersten Ansiedler in der Mark waren Holländer. Sie erweckten das zünftige Handwerk zu neuem Leben und betrieben den Verkauf hochstämmigen Holzes, das in großer Menge vorhanden war. Hatte doch der Dreißigjährige Krieg das ganze Land zu einem weiten Walde gemacht. Der Verkauf dieses Holzes bildete seitdem einen der Hauptzweige unseres Handels. Der Kurfürst gestattete sogar einigen jüdischen Familien, sich in seinem Staate niederzulassen. Die Nachbarschaft Polens machte ihre Dienste wertvoll, um unsere Ausschußwaren dort abzusetzen.

Zu jener Zeit trat ein Ereignis ein, das die Pläne des Großen Kurfürsten beträchtlich förderte. Ludwig XIV. hob (1685) das Edikt von Nantes auf, und mindestens 400 000 Franzosen verließen ihr Land. Die Reichsten wanderten nach England und Holland aus; die Ärmsten, aber Fleißigsten kamen nach Brandenburg, etwa 20 000 an der Zahl. Sie halfen unsere verödeten Städte neu bevölkern und brachten uns alle die Manufakturen, die uns fehlten.

Um beurteilen zu können, welche Vorteile dem Staat aus ihrer Ansiedlung erwuchsen, müssen wir im einzelnen betrachten, was unsere Manufakturen vor dem Dreißigjährigen Kriege waren, und was sie nach der Aufhebung des Ediktes von Nantes wurden. Unser Handel beruhte seit alter Zeit auf dem Verkauf von Getreide, Wein und Wolle. Es bestanden zwar noch einige Tuchfabriken, aber sie waren wenig bedeutend. Zur Zeit Johann Ciceros gab es im ganzen Lande nur 700 Tuchwalker. Während der Regierung Joachims II. unterdrückte Alba tyrannisch die Freiheit der Niederlande. Die kluge Königin Elisabeth von England machte sich die Torheit ihrer Nachbarn zunutze, indem sie die Fabrikanten aus Gent und Brügge in ihr Land zog. Dort verarbeiteten sie die englische Wolle und erreichten es, daß deren Ausfuhr verboten wurde. Unsere Fabriken hatten bisher nur durch die Mischung englischer Wolle mit der einheimischen gutes Tuch erzielt, und als jene in Wegfall kam, ging unser Tuch zurück. Die Kurfürsten August und Christian von Sachsen212-1 folgten dem Beispiel der Königin Elisabeth, indem sie flämische Handwerker in ihr Land zogen, wo sie die Manufakturen zum Aufblühen brachten. Der Mangel an ausländischer Wolle, der Rückgang unserer Fabriken und das Wachstum derer unserer Nachbarn veranlaßten den brandenburgischen Adel, seine Wolle ans Ausland zu verkaufen, wodurch unsere Manufakturen fast vollständig zugrunde gingen. Um ihnen wiederaufzuhelfen, verbot Johann Sigismund die Einfuhr fremder Tuche in seinen Staaten. Aber das Verbot erwies sich als ungünstig; denn die brandenbur<213>gischen Fabriken konnten nicht so viel Tuch liefern, wie im Lande gebraucht wurde, und man mußte wieder zur Industrie der Nachbarn seine Zuflucht nehmen. Höchstwahrscheinlich hätte man sich noch besser zu helfen gewußt, aber der Dreißigjährige Krieg kam dazwischen und warf die Projekte, die Manufakturen und den ganzen Staat um.

Als Friedrich Wilhelm die Regierung antrat, wurden in seinem Lande weder Hüte, Strümpfe, Leinen, noch irgend welche Wollstoffe hergestellt. Alle diese Produkte brachte uns erst die Industrie der Franzosen. Sie errichteten Manufakturen für Tuch, Serge, Etamin, für kleine Zeuge, Drogett, Grisett, Krepon, für Mützen und Strümpfe, die auf Webstühlen verfertigt wurden, für Mützen aus Biber-, Hasenund Kaninchenfell, sowie für Färberei aller Art. Einige der Refugiés wurden Kaufleute und sorgten für den Absatz der Erzeugnisse der anderen. Berlin bekam Juweliere, Uhrmacher und Holzschnitzer. Die Franzosen, die sich auf dem platten Lande ansiedelten, zogen dort Tabak, Obst und vortreffliche Gemüse und machten durch ihre Sorgfalt die sandigen Gegenden zu bewunderswerten Gemüsegärten. Um eine so wertvolle Kolonie zu unterstützen, setzte der Große Kurfürst ihr eine jährliche Rente von 40 000 Talern aus, die sie heute noch erhält.

So stand die Kurmark gegen Ende der Regierung Friedrich Wilhelms in einer Blüte, wie unter keinem seiner Vorfahren. Der große Aufschwung der Manufakturen vermehrte auch die Zweige des Handels, der sich in der folgenden Zeit auf Getreide, Holz, Stoffe, Tuche und Salz erstreckte. Die Post, bis dahin in Deutschland unbekannt, wurde vom Großen Kurfürsten in allen seinen Staaten, von Emmerich bis Memel, eingeführt. Die Städte hatten willkürliche Abgaben gezahlt, die nun abgeschafft und durch die Akzise213-1 ersetzt wurden. Ihre Verwaltung besserte sich: man pflasterte die Straßen und hängte in Zwischenräumen Laternen auf, um sie zu erleuchten. Diese Verbesserung war dringend notwendig; denn früher hatten die Höflinge wegen des Schmutzes in den Straßen auf Stelzen zum Schloß in Potsdam gehen müssen, wenn der Hof sich dort aufhielt.

Obwohl selbst freigebig und prachtliebend, erließ der Große Kurfürst Gesetze gegen den Luxus. Sein Hofhalt war groß und sein Aufwand würdig. Bei den Festlichkeiten, die er zur Hochzeit seiner Nichte, der Herzogin von Kurland213-2, gab, waren zu jeder Mahlzeit 56 Tafeln zu je 40 Gedecken aufgestellt.

Durch seine unermüdliche Tätigkeit schenkte der Große Kurfürst seinem Land alle nützlichen Künste. Ihnen die angenehmen hinzuzufügen, fehlte ihm die Zeit.

Die fortwährenden Kriege und der Zuzug der neuen Einwohner hatten die alten Sitten schon bedeutend geändert. Viele Bräuche der Holländer und Franzosen waren bei uns heimisch geworden. Die Hauptlaster waren Trunksucht und Eigennutz. Ausschweifungen mit Weibern waren damals der Jugend ebenso unbekannt wie die Krankheiten, die deren Folgen sind. Der Hof liebte den Witz, Zweideutigkeiten und<214> Spaßmacher. Die Söhne des Adels widmeten sich dem Studium, und die Jugenderziehung kam unmerklich in die Hände der Franzosen. Ihnen verdanken wir eine Anmut des Verkehrs und gewandtere Umgangsformen, als sie sonst unter Deutschen üblich sind214-1.

Alle die neuen Ansiedlungen des Großen Kurfürsten erreichten ihre eigentliche Blüte erst unter Friedrich I. Dieser genoß die Früchte der Arbeit seines Vaters. Wir besaßen damals eine Gobelinweberei, die der in Brüssel nichts nachgab. Unsere Borten kamen den französischen gleich. Unsere Neustädter Spiegel übertrafen die venezianischen an Klarheit. Die Armee war mit unserem eigenen Tuch bekleidet.

Der Hofhalt war groß und glanzvoll. Ausländische Subsidien erhöhten den Geldumlauf. In Livreen, Kleidern, Tafelgerät, Pferden und Bauwerken wurde großer Luxus entfaltet. Der König hatte zwei der geschicktesten Architekten Europas214-2 in seinen Diensten und als Bildhauer Schlüter214-3, der in seiner Kunst ebenso tüchtig war wie jene in der ihren. Bodt erbaute das schöne Tor in Wesel und entwarf die Pläne zum Berliner Schloß und zum Zeughaus. Er baute das Posthaus an der Ecke der Langen Brücke und den schönen Portikus des Potsdamer Schlosses, der bei Liebhabern viel zuwenig bekannt ist. Eosander führte den neuen Flügel des Charlottenburger Schlosses und den später niedergerissenen Münzturm auf. Schlüter schmückte das Zeughaus mit jenen Trophäen und schönen Masken, die das Entzücken aller Kenner bilden, und schuf die Reiterstatue des Großen Kurfürsten, die als ein Meisterwerk gilt. Der König verschönerte Berlin durch die Parochialkirche in der Klosterstraße214-4, die Stechbahn (1702) und noch einige andere Gebäude. Er schmückte die Lustschlösser Oranienburg, Potsdam und Charlottenburg durch Erweiterungen und Verschönerungen aller Art aus.

Die schönen Künste, die Kinder des Reichtums, begannen zu blühen. Die Kunstakademie wurde begründet. Ihre ersten Lehrer waren Pesne, Werner, Weidemann und Leygebe214-5. Aber es ging kein Maler von Bedeutung aus ihrer Schule hervor.

Das bemerkenswerteste und für den Fortschritt des menschlichen Geistes bedeutsamste Ereignis war die Gründung der Königlichen Akademie der Wissenschaften im Jahre 1700. Die Königin Sophie Charlotte hatte das Hauptverdienst daran.<215> Sie besaß den Geist eines großen Mannes und die Kenntnisse eines Gelehrten. Sie hielt es einer Königin nicht für unwürdig, einen Philosophen hochzuschätzen. Wie man schon errät, war der Philosoph, den wir meinen, Leibniz. Da diejenigen, denen der Himmel große Talente beschert, sich zur Höhe der Fürsten erheben, so zog sie Leibniz in ihren engeren Verkehr. Ja, sie tat noch mehr: sie schlug ihn als den einzigen vor, der fähig sei, die neue Akademie zu gründen. Leibniz, der mehr als eine Seele hatte, wenn ich so sagen darf, war wohl würdig, den Vorsitz in einer Akademie zuführen, die er im Notfall allein hätte darstellen können. Er richtete vier Klassen ein, eine für Physik und Medizin, eine für Mathematik, eine für deutsche Sprache und Altertumsforschung und eine für die Sprachen und Altertümer des Orients. Unsere berühmtesten Akademiker waren Basnage215-1, Bernoulli215-2, La Croze215-3, Guilielmini215-4, Hartsoeker215-5, Hermann215-6, Kirch215-7, Römer215-8, Sturm215-9 Varignon215-10, des Vignoles215-11, Werenfels215-12 und Wolff215-13. Später kamen noch Beausobre215-14 und Lenfant215-15 hinzu, Gelehrte, deren Federn dem Zeitalter eines Augustus oder Ludwig XIV. zur Ehre gereicht hätten.

In Magdeburg lebte noch Otto von Guericke, dem wir die Erfindung der Luftpumpe verdanken und dem es beschieden war, seinen philosophischen und erfinderischen Geist auf seine Nachkommen zu vererben.

Auch die Universitäten blühten in jener Zeit. Halle und Frankfurt waren mit hochgelehrten Professoren besetzt. Thomasius215-16, Gundling215-17, Ludewig215-18, Wolff und Stryk215-19 genossen das größte Ansehen und hatten zahlreiche Schüler. Wolff erläuterte Leibnizens geistvolles Monadensystem und ertränkte in einem Schwall von Worten, Argumenten, Lehrsätzen und Zitaten einige Probleme, die Leibniz den Metaphysikern vielleicht nur als Köder hingeworfen hatte215-20. Der Hallenser Professor schrieb mit Riesenfleiß eine Menge Bücher zusammen, die höchstens Kindern als Katechismus der Logik dienen, aber nicht erwachsenen Menschen irgend welche Aufschlüsse geben können. Die Monadenlehre hat die deutschen Metaphysiker und Mathematiker aufeinandergehetzt; sie streiten sich heute noch über die Teilbarkeit der Materie.

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Der König gründete in Berlin eine Akademie für junge Edelleute nach dem Muster der zu Luneville, aber leider hatte sie keinen langen Bestand.

Das Zeitalter brachte keinen einzigen guten Historiker hervor. Teissier wurde beauftragt, die Geschichte Brandenburgs zu schreiben, verfaßte aber statt dessen einen Panegyrikus216-1. Pufendorf beschrieb das Leben Friedrich Wilhelms216-2, und um ja nichts zu übergehen, vergaß er selbst die Kanzleischreiber und Kammerdiener nicht, so weit er ihrer Namen habhaft werden konnte. Unsere deutschen Autoren haben, so scheint mir, stets darin gesündigt, daß sie Wesentliches und Nebensächliches nicht schieden. Sie unterließen es, die Tatsachen aufzuklären, und anstatt ihreProsa kurz zu fassen, ergingen sie sich in langatmigen Sätzen mit äußerst verschränkter Wortstellung und zahllosen Beiwörtern. Kurz, sie schrieben mehr als Pedanten denn als Männer von Geist.

Bei diesem gänzlichen Mangel an guten Prosaschriften besaß Brandenburg einen bedeutenden Dichter in Canitz216-3. Er schuf eine glückliche Übersetzung einiger Episteln von Boileau, schrieb Verse in der Art des Horaz und einige völlig selbständige Werke. Er ist Deutschlands Pope, der eleganteste, korrekteste und wenigst verschwommene Verskünstler in unserer Sprache. Im allgemeinen sind in Deutschland auch die Poeten von der Pedanterie angesteckt. Die Sprache der Götter wird durch den Mund irgend eines obskuren Schulmeisters oder eines liederlichen Studenten geschändet. Und die sogenannten anständigen Leute sind entweder zu faul oder zu stolz, die Leier des Horaz oder die Posaune Virgils zu handhaben. Obgleich aus vornehmem Hause, hielt Canitz Geist und dichterische Begabung nicht für unstandesgemäß und pflegte sie, wie schon gesagt, mit Erfolg. Er hatte ein Amt bei Hofe und schöpfte aus den Sitten der guten Gesellschaft jene Feinheit und Anmut, die uns für seinen Stil einnimmt.

Die deutsche Schauspielkunst war recht minderwertig. Die sogenannte Tragödie ist ein aus Schwulst und niedrigen Späßen zusammengesetztes Monstrum. Die Dramatiker kennen nicht einmal die einfachsten Bühnenregeln. Die Komödie ist noch erbärmlicher, ein rohes, Geschmack, Sitte und Anstand verletzendes Possenspiel. Die Königin unterhielt eine italienische Oper, deren Komponist der berühmte Buononcini216-4 war. Seitdem hatten wir gute Musiker. Am Hof bestand eine französische Lustspieltruppe, die die Meisterwerke von Moliere, Corneille und Racine aufführte.

Der Geschmack am französischen Theater kam mit der französischen Mode nach Deutschland. Europa war entzückt von dem Stempel der Größe, den Ludwig XIV. all seinem Tun aufprägte, von den feinen Sitten, die an seinem Hofe herrschten, von den großen Männern, die ihn zierten, und suchte das bewunderte Frankreich nachzuahmen. Ganz Deutschland reiste nach Paris. Ein junger Mann von Stand, der sich nicht eine Zeitlang am Hofe von Versailles aufgehalten hatte, galt als Einfaltspinsel. Französischer Geschmack beherrschte unsere Küche, unsere Einrichtung, unsere <217>Kleidung und alle die Kleinigkeiten, auf die sich der Einfluß der Mode erstreckt. Diese Leidenschaft wurde aufs äußerste getrieben und artete aus. Die Frauen, die zu übertreiben pflegen, gingen darin bis zur Narrheit217-1.

Die ausländischen Moden kamen in der Stadt mehr in Aufnahme als bei Hofe. Hier mußten Prunk und Etikette die Langeweile vertreiben; man berauschte sich geradezu an Zeremoniell.

Der König stiftete den Orden vom Schwarzen Adler, teils um einen Orden zu haben wie alle anderen Könige, teils um Gelegenheit zu einem Feste zu schaffen, das einer Maskerade recht ähnlich sah. Derselbe König, der seiner Gemahlin zu Gefallen eine Akademie gegründet hatte, unterhielt zu seinem eigenen Vergnügen Possenreißer. Der Hof der Königin Sophie Charlotte war ganz von dem ihres Gatten getrennt. Er war ein Tempel, wo das heilige Feuer der Vestalinnen gehütet wurde, die Wohnstätte der Weisen und der Sitz der Bildung. Die Tugenden dieser Fürstin strahlen um so Heller, als ihre Nachfolgerin217-2 sich den Muckern in die Arme warf und ihr Leben in Gesellschaft jener bösartigen Sorte von Heuchlern verbrachte, die die Tugend der anderen mit Gift bespritzen, um ihre eigene Lasterhaftigkeit zu beschönigen.

Schließlich erschienen auch Alchimisten am Hofe. Ein Italiener namens Caetano217-3 versicherte dem König, daß er das Geheimnis des Goldmachens besäße. Er gab viel Gold aus, machte aber keines; der König rächte seine Leichtgläubigkeit an dem Unglücksmenschen, und Caetano wurde gehängt.

Unter Friedrich Wilhelm (1713) änderte der Staat sein Gepräge fast vollständig. Der Hofstaat wurde entlassen, die hohen Gehälter herabgesetzt. Viele, die sich einen Wagen gehalten hatten, mußten nun zu Fuß laufen. Das Volk sagte, der König habe die Lahmen wieder gehen gemacht. Unter Friedrich I. war Berlin das Athen des Nordens gewesen; unter Friedrich Wilhelm wurde es dessen Sparta. Die ganze Regierung war militärisch. Die Armee wurde verstärkt, und in der Hitze der ersten Aushebungen wurden einige Handwerker unter die Soldaten gesteckt. Das erschreckte die anderen, und viele entflohen. Dieser unerwartete Zwischenfall tat unseren Manufakturen beträchtlichen Abbruch.

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Dem half der König in wirksamer Weise ab, indem er sich mit besonderer Sorgfalt der Wiederaufrichtung und Förderung der Industrie widmete. Er erließ ein strenges Ausfuhrverbot für unsere Wolle und errichtete das Lagerhaus (1714), wo den armen Gewerbetreibenden Wolle auf Vorschuß geliefert wird, den sie dann mit ihrer Arbeit bezahlen. Unser Tuch fand einen gesicherten Absatz in dem Bedarf der Armee, die jedes Jahr neu gekleidet wurde. Der Absatz erstreckte sich auch auf das Ausland. Im Jahre 1725 wurde die Russische Kompagnie gegründet. Unsere Kaufleute lieferten das Tuch für alle russischen Truppen. Aber die englischen Guineen wanderten zu den Moskowitern, und bald folgte ihnen das englische Tuch nach und unser Handel hörte auf. Anfänglich litten unsere Manufakturen darunter, doch es fanden sich neue Absatzgebiete. Die Arbeiter hatten bald nicht mehr genug an unserer eigenen Wolle, und es wurde den Mecklenburgern gestattet, uns die ihre zu verkaufen. Seit 1733 standen unsere Manufakturen so in Blüte, daß sie 44 000 Stück Tuch zu je 24 Ellen im Ausland absetzten.

Berlin glich einem Zeughaus. Alle Handwerker, die für eine Armee gebraucht werden konnten, gediehen dort, und ihre Arbeiten wurden in ganz Deutschland begehrt. In Berlin entstanden Pulvermühlen, in Spandau Säbelfabriken, in Potsdam Waffenfabriken und in Neustadt Werkstätten für Eisen-und Lederarbeiten.

Der König gewährte allen, die sich in den Städten seines Landes niederließen, Steuerfreiheiten und Belohnungen. Er baute in seiner Residenz die ganze Friedrichstadt und besetzte die alten Festungswälle mit Häusern. Er gründete und bevölkerte die Stadt Potsdam218-1. Nicht das kleinste Bauwerk errichtete er für sich, sondern alle für seine Untertanen. Die Architektur unter seiner Regierung ist durchweg vom holländischen Geschmack verdorben. Es wäre zu wünschen gewesen, daß die großen Summen, die der König auf Bauten verwandt hat, in die Hände von geschickteren Architekten gelangt wären. Er teilte das Schicksal aller Städtegründer, die nur auf die Solidität ihrer Schöpfungen bedacht waren und darüber meist die Schönheit, die mit denselben Mitteln erzielt werden könnte, außer acht ließen.

Berlin erhielt nach seiner Erweiterung218-2 eine neue Polizei (1735), ungefähr nach dem Muster der Pariser. Jedes Stadtviertel erhielt Polizeibeamte. Zugleich wurden die Droschken eingeführt. Die Stadt wurde von den Müßiggängern gesäubert, die ihr Leben durch aufdringliches Betteln fristen. Diese Unglücklichen, die unseren Abscheu erregen, aber unser Mitleid verdienen, da die Natur sie stiefmütterlich behandelt hat, fanden in öffentlichen Armenhäusern Unterkunft.

Während all dieser Veränderungen verschwanden Luxus, Üppigkeit und Vergnügungssucht. Der Geist der Sparsamkeit zog bei allen Ständen, bei reich und arm ein. Unter den früheren Herrschern hatten viele Adlige ihre Güter verkauft, um sich Brokat und Tressen zu erstehen. Dieser Mißbrauch hörte nun auf. In den<219> meisten preußischen Provinzen ist der Adel gezwungen, gut zu wirtschaften, um sich zu erhalten. Denn das Erstgeburtsrecht besteht nicht, und die Väter kinderreicher Familien können ihren Söhnen, die zu Stiftern neuer Seitenlinien werden, nur dann ein standesgemäßes Einkommen hinterlassen, wenn sie selber sparsam sind.

Die Verminderung der Ausgaben des Publikums verhinderte nicht, daß das Handwerk sich vervollkommnete. Unsere Wagen, Tressen, Sammetstoffe und Goldschmiedearbeiten verbreiteten sich durch ganz Deutschland.

Sehr bedauerlich aber war es, daß man während all dieser wertvollen Neuerungen die Akademie der Wissenschaften, die Universitäten, die freien Künste und den Handel ganz in Verfall geraten ließ. Die frei werdenden Stellen an der Akademie wurden schlecht und wahllos besetzt. Das Zeitalter war so verblendet, Mißachtung gegen eine Einrichtung zur Schau zu tragen, die so erlauchten Ursprungs war und deren Leistungen ebensosehr den Ruhm der Nation wie den Fortschritt des menschlichen Geistes förderten.

Während die ganze übrige Akademie in Lethargie versank, blieben Medizin und Chemie auf der Höhe. Pott219-1, Marggraf219-2 und Eller219-3 setzten Stoffe zusammen und lösten sie auf und trugen durch ihre Entdeckungen zur Aufklärung der Menschheit bei. Die Anatomen erhielten für ihre öffentlichen Sezierkurse ein anatomisches Theater, und so entwickelte sich eine blühende Schule der Chirurgie.

Günstlingswirtschaft und Kabalen besetzten die Lehrstühle der Universitäten. Die Frömmler, die sich in alles mischen, erlangten Teil an der Leitung der Hochschulen. Sie verfolgten dort den gesunden Menschenverstand und insbesondere die Philosophen. Wolff wurde ausgewiesen219-4, weil er die Beweise für das Dasein Gottes mit bewundernswerter Klarheit entwickelt hatte.

Die adlige Jugend, die den Offiziersberuf ergriff, glaubte, durch das Studium sich herabzuwürdigen, und wie der Menschengeist stets in Extreme verfällt, betrachtete sie die Unwissenheit als ein Verdienst und das Wissen als lächerliche Pedanterie.

Aus den gleichen Gründen kamen die freien Künste in Verfall. Die Kunstakademie ging ein. Pesne, ihr Direktor, ging von den Gemälden ganz zum Porträt über. Steinmetze traten als Bildhauer auf und Maurer als Architekten. Ein Chemiker, namens Böttger219-5, ging von Berlin nach Dresden und verriet dem König von Polen das Geheimnis der Herstellung des Porzellans, das an Eleganz der Formen und an Feinheit des Farbenspiels das chinesische übertrifft.

Unser Handel war noch nicht geboren. Die Regierung erstickte ihn, indem sie Grundsätze vertrat, die seiner Entwicklung stracks zuwiderliefen. Man darf daraus nicht den Schluß ziehen, daß der Nation eigene Geschäftsbegabung fehlt. Die<220> Venezianer und die Genuesen waren die ersten, die sich dem Handel zuwandten. Nach der Erfindung des Kompasses ging er zu den Portugiesen und Spaniern über und verbreitete sich dann in England und Holland. Die Franzosen widmeten sich ihm zuletzt und holten durch Schnelligkeit ein, was sie durch Unkenntnis versäumt hatten. Wenn die Bewohner von Danzig, Hamburg und Lübeck, die Dänen und Schweden sich durch ihre Schiffahrt täglich bereichern, warum sollten es die Preußen nicht ebenso machen? Die Menschen werden alle zu Adlern, wenn man ihnen die Wege zu ihrem Glücke bahnt. Sie müssen nur durch Beispiele ermuntert, durch Wetteifer angeregt und vom Herrscher unterstützt werden. Die Franzosen sind spät gekommen, wir zaudern noch. Vielleicht, daß unsere Stunde noch nicht geschlagen hat.

Man war damals weniger auf die Ausdehnung des Handels als auf Einschränkung der unnötigen Ausgaben bedacht. Todesfälle waren früher etwas sehr Kostspieliges. Man gab Feste bei Beerdigungen, und das Leichenbegängnis selbst war teuer. Alle diese Gebräuche wurden abgeschafft. Man hörte auf, Häuser und Kutschen mit Flor zu behängen, und verzichtete auf schwarze Livreen. Nun konnte man billig sterben.

Das rein militärische Regiment des Königs beeinflußte die Sitten und sogar die Moden. Man gefiel sich darin, sauertöpfische Mienen aufzusetzen. Jedermann in Preußen trug höchstens drei Ellen Tuch am Leibe und einen Degen an der Seite, der nicht weniger als zwei Ellen lang war. Die Frauen flohen die Gesellschaft der Männer, und diese entschädigten sich dafür durch Wein, Tabak und Hanswürste. Kurz, unsere Sitten waren denen unserer Vorfahren ebenso unähnlich wie denen unserer Nachbarn; wir waren ganz original und genossen die Ehre, von einigen kleinen deutschen Fürsten schlecht kopiert zu werden.

In den letzten Jahren der Regierung des Königs führte der Zufall eine dunkle Persönlichkeit nach Berlin, einen Mann von verschlagenem und bösartigem Charakter, namens Eckhar220-1, eine Art Alchimisten, der für den Herrscher Geld machte — auf Kosten des Beutels der Untertanen. Seine Kniffe glückten ihm eine Zeitlang. Aber wie alle Bosheit früher oder später offenbar wird, so schwand sein Ansehen, und seine unglückselige Wissenschaft versank in der Finsternis, aus der sie hervorgegangen war.

Solcher Art waren die Sitten Brandenburgs unter all den verschiedenen Regierungen. Der Genius des Volkes ward in jahrhundertelanger Barbarei erstickt, erhob sich von Zeit zu Zeit, verfiel aber bald wieder in Unwissenheit und Ungeschmack. Und als glücklichere Umstände seinen Aufschwung zu begünstigen schienen, brach ein Krieg aus, dessen verderbliche Folgen die Kräfte des Staates von Grund auf zerstörten. Wir sahen den Staat aus seiner Asche wieder auferstehen, sahen, mit wel<221>chen Anstrengungen die Nation sich höhere Gesittung errang. Wenn dies schöne Feuer bisher auch nur schwache Funken erzeugt hat, so bedarf es doch bloß einer Kleinigkeit, um sie eines Tages zur großen Flamme emporlodern zu lassen. Wie der Same ein günstiges Erdreich zu seinem Wachstum braucht, so bedürfen auch die Völker des Zusammentreffens günstiger Umstände, um aus ihrer Erstarrung sozusagen zu neuem Leben zu erwachen.

Alle Staaten mußten einen gewissen Kreis von Ereignissen durchlaufen, bevor sie ihre höchste Blüte erreichten. Die Monarchien sind langsameren Schrittes dorthin gelangt und haben sich kürzer auf der Höhe behauptet als die Republiken. Und wenn es zutrifft, daß die vollkommenste Regierungsform ein gut verwaltetes König, reich ist, so ist es nicht minder gewiß, daß die Republiken ihre Aufgabe am raschesten erfüllt und sich am besten erhalten haben; denn die guten Könige sterben, weise Gesetze aber sind unsterblich.

Sparta und Rom waren zum Kriegführen gegründet. Jenes brachte ein unüberwindliches Heer, dies die Legionen hervor, die die Hälfte des bekannten Erdkreises unterwarfen. Sparta erzeugte die hervorragendsten Feldherren; Rom war eine Pflanzschule von Helden. Athen, dem Solon friedlichere Gesetze gegeben hatte, wurde die Wiege der Künste. Zu welcher Vollendung brachten es seine Dichter, Redner und Geschichtsschreiber! Diese Heimstätte der Wissenschaften bestand bis zum vollständigen Untergang Attikas. Karthago, Venedig und selbst Holland waren durch ihre Verfassung auf den Handel verwiesen. Sie erweiterten und unterstützten ihn beständig, wohl wissend, daß er die Stütze ihres Staatswesens und die Grundlage ihrer Größe war.

Setzen wir diese Betrachtung noch einen Augenblick fort. An den Grundgesetzen von Republiken rütteln, heißt sie vollständig umstürzen. Denn die Weisheit der Gesetzgeber hat ein Ganzes geschaffen, mit dem alle Teile des Maatsgebäudes unlöslich zusammenhängen. Wer die einen umstößt, zerstört die anderen, eben weil sie alle verkettet und verbunden sind und ein vollständiges und einheitliches System bilden.

In den Königreichen ist die einzige Grundlage der Regierungsform die souveräne Macht des Herrschers. Gesetze, Heerwesen, Industrie, Handel und alle anderen Bestandteile des Staates sind der Willkür eines Einzigen unterworfen, unter dessen Nachfolgern keiner dem anderen gleicht. Daraus folgt, daß gewöhnlich beim Regierungsantritt eines neuen Fürsten der Staat nach neuen Grundsätzen verwaltet wird. Und das ist es, was gegen diese Regierungsform spricht.

Einheitlichkeit besteht in den Zielen, die Republiken sich setzen, und in den Mitteln, die sie zu ihrer Erreichung anwenden. Daher kommt es, daß sie ihre Zwecke fast niemals verfehlen. In Monarchien dagegen folgt auf einen ehrgeizigen Fürsten ein Müßiggänger, auf ihn ein Frömmler, auf ihn ein Krieger, auf den ein Gelehrter, auf den ein Genußsüchtiger. Und während Fortunas wechselnde Bühne stets neue Bilder darbietet, nimmt der Geist des Volkes, durch die Mannigfaltigkeit des Schau<222>spiels abgelenkt, keinerlei feste Form an. Darum müssen in Monarchien die Ein_ richtungen, die den Wechselfällen der Jahrhunderte standhalten sollen, so tiefe Wurzeln haben, daß man sie nicht ausreißen kann, ohne zugleich die festesten Grundlagen des Thrones zu erschüttern.

Aber alles Menschenwerk ist unbeständig und vergänglich. Die Umwälzungen, die die Monarchien und Republiken heimsuchen, haben ihre Ursache in unumstößlichen Naturgesetzen. Die menschlichen Leidenschaften müssen als Triebfedern dienen, um immer neue Dekorationen auf die große Lebensbühne zu bringen. Der Wagemut der einen reißt an sich, was die Schwäche der anderen nicht verteidigen kann. Ehrsucht stürzt Republiken, und die List triumphiert bisweilen über die Einfalt. Ohne jene großen Umwälzungen bliebe die Welt stets die gleiche. Es gäbe keine neuen Ereignisse, keine Gleichartigkeit im Schicksal der Nationen. Einige Völker würden immer auf der Höhe der Kultur und glücklich sein und andere immer in tiefer Barbarei und unglücklich.

Wir sehen Monarchien entstehen und vergehen, wilde Völker Gesittung annehmen und zu Vorbildern anderer Nationen werden. Könnten wir daraus nicht den Schluß ziehen, daß das Leben der Völker, wenn man so sagen darf, ähnlich verläuft wie die Bahn der Gestirne, die, nachdem sie in zehntausend Jahren den ganzen Himmelsräum durchmessen haben, sich wieder an dem Punkte befinden, von dem sie ausgegangen sind? Unsere guten Tage werden kommen, wie die der anderen. Unsere Hoffnungen sind um so berechtigter, da wir einige Jahrhunderte länger der Barbarei unseren Tribut entrichtet haben als die Südländer. Diese köstlichen Zeiten künden sich an durch die Zahl der großen Männer auf allen Gebieten, die auf einmal geboren werden. Glücklich die Fürsten, die unter so günstigen Verhältnissen zur Welt kommen! Tugenden, Talent und Genie tragen sie gemeinsam empor zu großen und erhabenen Taten.


203-1 Der griechische Fabeldichter Äsop war häßlich und bucklig.

203-2 Erste Fassung: „Er kann daraus ein Krutzifix, eine Venus oder einen Antinous gestalten.“

204-1 Vgl. S. 8, Anm. 2.

205-1 Vgl. Bd. VII, S. 89 f.

205-2 Vgl. dazu S. 13.

205-3 Anmerkung des Königs: „Sechs Meilen von Berlin.“

206-1 Anmerkung des Königs: „Im Jahre 1595 gedruckt.“ Gemeint sind die „Annales marchiae brandenburgicae“ von Angelus (vgl. S. 191, Anm. 1).

207-1 Vgl. S. 15.

207-2 Jobst von Mähren (vgl. S. 15).

208-1 Anmerkung des Königs: „Von Kaiser Ferdinand 1562 zur Wahl eines römischen Königs berufen.“

209-1 Quadrillen heißen die Abteilungen im Karusselreiten.

210-1 Anmerkung des Königs: „Der Kurfürst, so erzählen die Annalen, stecke den Kopf aus einer Luke und rief dem Feuerwerker zu: »Meister Johann, brenne los, wenn ich pfeife.« “ Nach Angelus fand das Feuerwerk vielmehr 1592 zur Feier der Taufe des Markgrafen Sigismund, des einundzwanzigsten Sohnes des Kurfürsten, statt.

210-2 Die Gründung erfolgt erst 1694.

210-3 Vgl. dazu die Abhandlung „Über die deutsche Literatur“ (Bd. VIII, S. 74 ff.).

211-1 Vgl. S. 165.

211-2 Vgl. S. 49 f.

212-1 August (1553 — 1586); Christian I. (1586 — 1591).

213-1 Vgl. S. 136.

213-2 Es war vielmehr die Schwester des Großen Kurfürsten, Luise Charlotte, die 1645 Herzog Jakob von Kurland heiratete.

214-1 Erste Fassung: „Gewandte Umgangsformen wie die Berliner sie nach dem Zeugnis der Fremden in höherem Grade besitzen als irgend eine andere Stadt in Deutschland.“ Es folgt der in der Ausgabe von 1751 hier eingeschobene Abschnitt über das Münzwesen (vgl. S. 172), der mit den Worten eingeleitet wird: „Der Wandel, der nach dem Dreißigjährigen Krieg in unserem Staate eintrat, war allgemein; das Münzwesen spürte ihn ebenso, wie alles übrige.“

214-2 Jean de Bodt (vgl. S. 182) und Johann Friedrich Eosander, Freiherr von Goethe (1670 — 1729).

214-3 Andreas Schlüter (1664 bis 1714) war zugleich Architekt. Er war es, der das Berliner Schloß umbaute, das Gebäude der „Alten Post“ an der Langen Brücke (heute Kurfürstenbrücke) entwarf und den Münzturm aufführte, der dann wieder abgerissen wurde.

214-4 Erbaut 1694 — 1703.

214-5 Antoine Pesne (1683 — 1757): Joseph Werner (1637 — 1710), der erste Direktor der Kunstakademie; Friedrich Wilhelm Weidemann (1668 — 1750); Paul Karl Leygebe (1664 bis nach 1730).

215-1 Jacques Basnage (1653 — 1723), Kirchenhistoriker, im Haag.

215-10 Pierre Barignon(1654 — 1722), Mathematiker, in Paris.

215-11 Alphonse des Vignoles (1649 — 1744), Prediger, in Berlin.

215-12 Samuel Werenfels (1657 — 1740), Theologe, in Basel.

215-13 Christian Wolff (1679 — 1754), Philosoph, in Halle.

215-14 Isaac Beausobre (1659 — 1738), Prediger, in Berlin.

215-15 Jacques Lenfant (1661 — 1728), Prediger, i n Berlin.

215-16 Vgl. S. 200.

215-17 Nikolaus Hieronymus Gundling (1671 — 1729), Professor der Philosophie in Halle.

215-18 Johann Peter von Ludewig (1668 — 1743), Professor der Philosophie und Geschichte, Kanzler der Universität Halle.

215-19 Samuel Stryk (1640 — 1710), Professor der Rechte in Halle.

215-2 Jakob Bernoulli (1654 — 1705), Mathematiker, in Basel.

215-20 Vgl. Bd. II, S. 46; VIII, S. 40f. 90. 96 .236. 260.

215-3 Mathurin Veissière La Croze (1661 — 1739), Polyhistor und Sprachgenie.

215-4 Dominico Guillelmini (1655 — 1710), Mathematiker und Mediziner in Padua.

215-5 Nikolaus Hartsoeker (1656 — 1725), Physiker, in Düsseldorf.

215-6 Jakob Hermann (1678 — 1733), Mathematiker,in Frankfurt a.O.

215-7 Gottfried Kirch (1639 — 1710), Astronom, in Berlin.

215-8 Olaus Römer (1644 — 1710), Astronom, ln Kopenhagen.

215-9 Leonhard Christian Sturm (1669 — 1719), Mathematiker und Architekt, in Frankfurt a.O.

216-1 Vgl. S. 9.

216-2 Vgl. S. 8.

216-3 Freiherr Friedrich Rudolf von Canitz (1654 — 1699). Seine Poesien erschienen 1700 unter dem Titel „Nebenstunden unterschiedener Gedichte“. Vgl. Bd. VIII, S. 76.

216-4 Giovanni Battista Buononcini (geb. 1672, † um 1750).

217-1 Anmerkung des Königs: „Die Mutter des Dichters Canitz, die Frankreich in Modeartikeln arm gekauft hatte, um die übrigen Damen Berlins auszustechen, gab einem Kaufmann den Auftrag, ihr aus Paris einen schönen, jungen, kräftigen, feingebildeten, geistreichen, adligen Gatten zu besorgen. Sie meinte wohl, diese Ware sei dort ebenso leicht zu bekommen wie Bänder und Rüschen. Der Kaufmann, in diesem Gewerbszweige ein völliger Neuling, entledigte sich seines Auftrages, so gut er vermochte. Schließlich fanden seine Geschäftsfreunde einen Freiersmann. Er war fünfzig Jahre alt, hieß Herr von Brunbosc, war schwächlich und hinfällig. Er trifft ein (1676), Frau von Canitz sieht ihn, erschrickt und — heiratet ihn. Zum Glück für Preußen fiel die Ehe der Dame schlecht aus. Sonst hätte ihr Beispiel Nachahmung gefunden. Unsere Schönheiten wären in die Hände von Franzosen gekommen, und die Berliner hätten, wie einst die Römer, die Sabinerinnen ihrer Nachbarschaft rauben müssen.“

217-2 Anmerkung des Königs: „Eine mecklenburgische Prinzessin, die später in Wahnsinn verfiel,“ Vgl. S. 111.

217-3 Dominico Emanuel Caetano, Conte de Ruggiero.

218-1 Anmerkung des Königs: „Sie hatte damals kaum 400 Einwohner, jetzt über 20 000.“

218-2 Durch die Friedrichstadt.

219-1 Johann Heinrich Pott (1692—1777).

219-2 Andreas Sigismund Marggraf (1709 — 1782).

219-3 Johann Theodor Eller (1689 — 1760).

219-4 Christian Wolff wurde 1723 ausgewiesen und 1740 von König Friedrich zurückberufen.

219-5 Johann Friedrich Böttger (1682 — 1719), der Erfinder des Meißener Porzellans.

220-1 Der Geheime Finanzrat Johann Gottlob von Eckhart, ein zugewanderter Projektenmacher, von König Friedrich nach seinem Regierungsantritt abgesetzt und ausgewiesen.