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Sitten und Gebräuche der alten Germanen bis zu Heinrich I.
Bei der langen Aufzählung der Völkerschaften Deutschlands, die Tacitus gibt, irrte er sich hinsichtlich des Wortes Ingevonen, das „Einwohner“ bedeutet. Ebenso über das Wort Germanen, das nichts anderes heißt als „Kriegsmänner“, das er aber in seiner Unkenntnis der Sprache für die Bezeichnung einzelner Stämme nimmt.<205> Die Gesamtheit dieser Krieger, die Deutschland bewohnten, gab ihm den Namen Germanien.
Die ersten Bewohner der Mark waren die Teutonen. Nach ihnen kamen die Semnonen, von denen Tacitus sagt, daß sie die vornehmsten unter den Sueben waren.
Zu jenen entlegenen Zeiten befand sich Deutschland in völlig barbarischem Zustande. Halbwilde und rohe Völker bewohnten die Wälder. Armselige Hütten dienten ihnen als Wohnungen. Sie heirateten früh und vermehrten sich stark, zumal die Frauen selten unfruchtbar waren. Die Volkszahl wuchs ständig, und da die Söhne sich darauf beschränkten, die Äcker ihrer Väter zu bebauen, statt neues Land urbar zu machen, konnte bald ein so kleines Erbteil selbst in den besten Jahren nicht genug zum Unterhalt so vieler Köpfe liefern. So waren sie gezwungen, auszuwandern und anderswo ihr Auskommen zu suchen. Daher die großen Einfälle der Barbaren in Gallien, in Afrika und selbst ins Römische Reich205-1.
Die Germanen waren Jäger, weil sie die Not dazu zwang, und Krieger aus Instinkt. Ihre Armut nötigte sie zur schnellen Beendigung ihrer inneren Kriege, zumal die Selbstsucht niemals mitsprach. Ihre Feldherren, die später ihre Herrscher wurden, nannten sich „Fürsten“, was eine Ableitung von dem Wort Führer ist. Sie waren berühmt durch ihren hohen Wuchs und ihre kraftvollen und in den schwersten Arbeiten abgehärteten Körper. Ihre Haupttugenden waren der Mut und die Treue, mit der sie ihre Verpflichtungen erfüllten. Sie feierten diese Tugenden in Liedern, die sie ihren Kindern lehrten, um sie der Nachwelt zu überliefern.
Die lateinischen Geschichtsschreiber selber stellen der Tapferkeit der Germanen ein glänzendes Zeugnis aus, indem sie uns von den Niederlagen des Varus und anderer römischer Feldherren berichten. Wenn man schon dem Mut eines Volkes Beifall zollt, das bei ganz gleichen Vorbedingungen ein anderes besiegt, wieviel mehr muß man die Tapferkeit der Germanen bewundern! Allein das Vertrauen auf ihre eigene Kraft und ihr unbeugsamer Trotz, der den Sieg nicht lassen will, triumphierten über die römische Disziplin und über jene Legionen, die fast die Hälfte der bekannten Welt unterworfen hatten.
Was auch die meisten Geschichtsschreiber sagen, es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Römer trotz den Sueben die Elbe überschritten haben.205-2 Denn man hat bei Zossen205-3 in einem viereckigen Feld von achthundert Schritt Länge eine Menge von Urnen gefunden, in denen Münzen des Kaisers Antoninus und der Kaiserin Faustina enthalten waren, nebst einigem Flitterstaat, wie ihn die römischen Damen trugen. Das ist keinesfalls ein Schlachtfeld; denn die Sueben hätten die Schätze ihrer Feinde nicht in die Erde gegraben, um ihr Begräbnis zu ehren. Vielmehr kann man, wie mir scheint, mit Sicherheit annehmen, daß es sich um ein Lager einiger vorgeschobener Kohorten<206> handelt, die die Römer über die Elbe geschickt hatten, um von den Bewegungen und der Annäherung der Barbaren Kenntnis zu erhalten.
Brandenburg ist die älteste Stadt der Mark. Die Annalen206-1 verlegen die Gründung in das Weltjahr 3588, was dem 416. Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung entspricht. Es soll von Brennus, der Rom geplündert hat, erbaut und nach ihm benannt worden sein. Sagenhafte Berichte melden die Namen einiger Vandalenkönige (Hoterus und Witislas), die anscheinend ehrgeiziger und unternehmender waren als die anderen. Und in den Annalen lesen wir, daß Wittekind, König der Sachsen, Hermanfried, König der Thüringer, und Richimir, König der Franken, sich verbündeten, die Semnonen unterwarfen und zuerst die eroberten Städte mit Mauern umgaben, um das Land im Gehorsam zu halten.
205-1 Vgl. Bd. VII, S. 89 f.
205-2 Vgl. dazu S. 13.
205-3 Anmerkung des Königs: „Sechs Meilen von Berlin.“
206-1 Anmerkung des Königs: „Im Jahre 1595 gedruckt.“ Gemeint sind die „Annales marchiae brandenburgicae“ von Angelus (vgl. S. 191, Anm. 1).