II
Sitten und Gebräuche von Heinrich I. bis zu Friedrich I.
Karl der Große eroberte schließlich Brandenburg (789). Und Heinrich der Vogler setzte die Markgrafen oder Grenzstatthalter ein, nachdem er die in jener Gegend wohnenden Sachsen völlig unterworfen hatte (927).
Unter den Markgrafen milderten sich die Sitten. Aber das Land war sehr arm. Es brachte nur die notwendigsten Lebensmittel hervor. Es war auf die Industrie seiner Nachbarn angewiesen; und da niemand selber Industrie betrieb, floß viel mehr Geld heraus, als einkam. Dies Mißverhältnis führte immer mehr zur Abnahme des Geldes und drückte daher den Preis aller Waren. Die Lebensmittel waren so billig, daß man zur Feit des Kurfürsten Johann II. von Askanien den Scheffel Weizen für 28 Pfennig, den Scheffel Roggen für 8 Pfennig verkaufte, und sechs Hühner kosteten auf dem Markt einen Groschen.
Die Berliner galten zu jener Zeit für ebenso treue wie eifersüchtige Ehegatten. Die Chroniken berichten davon ein bemerkenswertes Beispiel (Lockelius, 1364). Unter der Regierung des Markgrafen Otto von Bayern traf ein Schreiber des Erzbischofs von Magdeburg auf dem Wege zu den öffentlichen Bädern in Berlin eine junge Bürgersfrau und schlug ihr im Scherze vor, mit ihm zu baden. Die Frau fühlte sich durch dies Ansinnen beleidigt. Ein Volksauflauf entstand. Und die Berliner Bürger, die keinen Spaß verstanden, schleppten den armen Schreiber auf einen öffentlichen Platz und schlugen ihm ohne weitere Umstände den Kopf ab. Wenn sie heutzutage auch noch eifersüchtig sind, so befriedigen sie ihre Rachgelüste doch in milderer Form.
Während der Regierung der Fürsten aus den ersten vier Dynastien war das Land in tiefes Elend versunken. Es konnte sich nicht daraus emporarbeiten, da es unauf<207>hörlich von einer Hand in die andere überging. Otto von Bayern mußte die Kurmark an Kaiser Karl IV. verkaufen (1373)207-1. Karl IV. residierte in Tangermünde, wo er einen glänzenden Hof hielt und ein recht weitläufiges Schloß erbaute, dessen Ruinen noch zu sehen sind. Während Jobst in Brandenburg regierte207-2 flüchteten die in Frankreich verfolgten Waldenser nach Angermünde, das davon den Beinamen „Ketzerstadt“ erhielt. Es ist nicht ersichtlich, warum die Waldenser in dem damals katholischen Brandenburg ihre Zuflucht suchten und warum man sie dort aufnahm, obschon man ihre Ketzerei verabscheute.
Die Herrscher aus dem Hause Luxemburg bedrückten das Volk in unerträglicher Weise. In ihren Geldverlegenheiten verpfändeten sie die Kurmark an den Meistbietenden. Diese Gläubiger behandelten das unglückliche Land wie eine Hypothek und preßten es auf jede Weise aus, um sich zu bereichern. Sie lebten auf Unkosten des Landes, wie in einer feindlichen Provinz. Räuber machten die Landstraßen unsicher. Polizei gab es nicht, und die Rechtspflege lag völlig danieder. Empört über das schmähliche Joch, das ihr Vaterland trug, führten die Quitzows und Holtzendorffs einen offenen Krieg gegen die kleinen Tyrannen, die es bedrückten. Während dieser allgemeinen Verwirrung und Anarchie seufzte das Volk im Elend. Der Adel war bald Werkzeug, bald der Rächer der Tyrannei. Und der Geist des Volkes, durch grausame Sklaverei und die Härte einer barbarischen Regierung erschöpft, blieb stumpf und gelähmt.
207-1 Vgl. S. 15.
207-2 Jobst von Mähren (vgl. S. 15).