39. Epistel an meine Schwester in Bayreuth1
(Juli 1757)
Du meines Erdenwandels holder Stern,
O Schwester, die mir Freundin nah und fern,
Du kennst mein Leid, begreifst, was mich auch quäle,
Dein Blick beschwört den Sturm in meiner Seele!
Was tut's, wenn mich das Schicksal jagt in Not,
Was tut's, wenn eine Welt von Feinden droht!
Die Erde öffne sich, mich zu verschlingen,
Die Könige mögen ihre Waffen schwingen —
Was tut's, wenn Du mir gütig bist gesinnt!
Du sprichst ein Wort, und alles Leid zerrinnt!
Ich sah die Wolken sich zusammenballen
Und sah die Blitze auf mich niederfallen, —
Du weißt, ich sah es und blieb ruhig doch,
Als die Verschwörung2 heimlich mich umkroch.
Ein bös Verhängnis! Dem Gewitterbeben
War ich urplötzlich schutzlos preisgegeben.
Die Zwietracht schnellte aus dem Höllenschlund
Und ließ erzittern rings das Erdenrund.
Des Krieges Fackel schwingt das Ungeheuer,
Das hitzige England fängt als erstes Feuer.
Und ferne Zonen trifft's: hart ringen da
Europas Mächte in Amerika. 3
Das Meer wird aufgewühlt an allen Enden,
Und England reißt Neptun die Macht aus Händen.
1 Vgl. S. 7 ff. 18 ff. und Bd. IX, S. 94 ff.
2 Der Dreibund Österreich, Rußland und Frankreich.
3 Der Streit um die Kolonien in Nordamerika führte 1755 zum Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen England und Frankreich, dem im Mai 1756 die englische Kriegserklärung folgte (vgl. Bd. III, S. 29 ff.).