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57. Epistel an d'Argens1
(8. November 1761)

In Euer Herz ergießt sich meine Seele!
Nie hat Gewinnsucht oder Ehrgeiz nur
Macht über mich gehabt, und frei von Fehle
Fühl' ich mich hier! Auf einer höhern Spur
Behüt' und schüre ich Zeit meines Lebens
Die edle Flamme meines reinen Strebens.
Ihr kennt mich, wißt es, wie zu leerem Schimmer
Des äußern Prunks mein Sinn so garnicht neigt!
Fern ist mir Eitelkeit. Hab' ich nicht immer
Mich mehr als Bürger denn als Fürst gezeigt?
Philosophie indes und Gleichmut kann
Mich gegen Unbill nicht gefühllos machen,
Die meiner Feinde Ränkespiel ersann,
Um mich zu stürzen in den Höllenrachen.
Wer keinen Stolz zeigt, erntet Schmach und Hohn,
Wer Kränkung duldet, gilt als ehrlos allen.
Ich will, bin ich besiegt, von meinem Thron
Freiwillig steigen, doch nicht kampflos fallen.

Einst hab' ich wohl, vom Spiegel der Geschichte
Geblendet, allzu stark nach Ruhm begehrt.
Wie jene großen Helden, allverehrt,
hätt' ich mich gern gezeigt in vollem Lichte.
Philosophie hat anders mich belehrt.
Mein Leben formte ich nach ihrem Rat:
Den Irrtum meiden, und die Wahrheit suchen!

Mein Aug' erkannte den verfehlten Pfad,
Denn, was ich auch begonnen, jede Tat


1 Der Anfang ist fortgelassen.