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Verse des Kaisers von China1
(4. Dezember 1770)

Europas Dichter, seid auf eurer Hut!

Mein Ruhm sieht fest und mein Gedicht ist gut. Ohne zu gähnen, müssen die Chinesen Die Verse hoher Obrigkeiten lesen. Der Westen mag, was selbst er ausgeheckt. Bekritteln; meiner Kunst gebührt Respekt.


Die Schönheit meiner Stadt ist ohnegleichen,

Es muß vor ihr Paris wie Rom verbleichen.

Sie führen dann noch einen Friedrich an,

Doch spricht in Peking niemand von dem Mann;

Ich seh' vom Thron, den Chang-Ti2 mir beschieden,

Dieses Insekt des Nordens Reime schmieden

Und Verse drechseln, abgeschmackt und platt,

Und höre, daß ein Nordlandkönig, satt

Des Nebels, der ihm Land und Thron verleidet,

Sich in Paris an Tanz und Schauspiel weidet.3

Nun gut. Doch was soll dies dem Kaiser, mir?

Peking gewährt mir jegliches Pläsir.

Ich bin in meinem Reich der erste Dichter,

Zäsur, Sinn, Reim bemängelt mir kein Richter.


1 Als die Übersetzung eines Gedichtes des Kaisers Kien-Lung von China: „Loblied auf Mulden und seine Umgebung“ 1770 in Paris erschienen war, hatte Voltaire eine „Epistel an den Kaiser von China“ verfaßt und an Friedrich gesandt. Darauf antwortete dieser mit den „Versen“, die er scherzhaft als Übertragung einer aus China ihm zugegangenen Dichtung des Kaisers bezeichnete. Und wie Voltaire dem Preußentönig in seiner „Epistel“ gehuldigt hatte, so brachte Friedrich in der obigen Entgegnung der Kaiserin Katharina II. von Rußland, seiner Alliierten, eine Huldigung dar.

2 Höchster Herr, d.h. Gott.

3 König Christian VII. von Dänemark hatte 1768 Holland, England und Frankreich bereist (vgl. Bd. V, S. 38).