5. Epistel an Grumbkow10-1
(5. Februar 1732)
Des Landes und des Königs treuer Diener,
Anwalt der Schwachen, des Gesetzes Hort,
Ihr wißt, ich ziehe mehr wie ein verschriener
Landstreicher, denn als Prinz von Ort zu Ort.
Und meine jungen Tage rinnen hin
Auf Pfaden, deren Endziel mir verborgen.
Als ich hinauszog vor dem neuen Morgen,
War frostiges Erstarren mein Gewinn,
Und kaum lag hinter uns das alte Nest,
Da steckten wir in einem Sumpfe fest.
Der grobe Kutscher flucht wie'n Gottesstreiter,
Er fährt ins Haar sich, doch er fahrt nicht weiter,
Bis dann zuletzt mit Hilfe der Begleiter
Der Karren aus dem Loch sich schieben läßt,
Um uns recht unsanft auf den Weg zu bringen,
Wo Steine wieder zum Verzug uns zwingen.
Von neuem gilt's, mit Griff und Schulterkraft
Derb nachzuhelfen, und nun geht es fiott
So zwanzig Schritt, da plötzlich stürzt, 0 Gott!
Der Wagen um! Ich liege, schauderhaft
Durchrüttelt, unter Sack und Pack und Kisten.
Und wie ich mich erst wieder aufgerafft,
Seh' ich, wie jetzt mit rasenden Gelüsten
Die Pferde durchgehn, die durchrißnen Zügel
Nachschleppend. Und das Mannsvolk, arg zerbeult,
<11>Kriecht aus den Trümmern vor, beschimpft sich, heult,
Schreit durcheinander, schließlich setzt es Prügel —
Ein Bild, das wohl verdient hätt', festgebannt
Zu werden durch geschickte Künstlerhand.
Allmählich wird auf Zank und Streit verzichtet;
Man hat den Wagen wieder aufgerichtet
Und bastelt an zerbrochnen Deichselstangen.
Dann harrt man, bis die Pferde eingefangen;
Man knüpft die Stränge, schirrt die Gäule an,
Ich setze mich zurecht, so gut ich kann.
Beim Weiterfahren murrt noch jedermann,
Warum es grade ihm so schlecht ergangen.
Vorwärts! Der Weg verengt sich, und wir haben
Zur Seite einen tiefen Wassergraben.
Da taucht ein Leiterwagen vor uns auf
Und sperrt den Weg. Wir können nicht vorbei!
Doch jeder gibt dem andern etwas frei,
Die Gäule ziehn mit kräftigem Geschnauf,
Und wir sind durch! Da — bricht ein Rad entzwei,
Der Wagen kippt — ein neuer Aufenthalt!
Wir müssen nach Ersatz zum Dorfe schicken.
Nun aber meldet sich der Hunger bald.
Man möchte sich an Speis' und Trank erquicken
Und lugt hinaus mit sehnsuchtsvollen Blicken.
Drei Stunden und darüber hielt ich aus.
Das neue Rad kam endlich, und wir fuhren
Und hielten nun erst vor dem Einkehrhaus
Im nächsten Städtchen, ledig der Torturen.
Man sorgte rasch für einen bessern Wagen.
Inzwischen kam der Gastwirt und erklärte:
Das Essen sei bereit! Für unsern Magen
Ein Freudenrausch, der nur nicht lange währte,
Denn arg enttäuschte uns der Mittagstisch.
Drei Eier, die im Salz verborgen lagen,
Ein altes Huhn, dazu ein Krautgemisch
Verdarben uns sogleich den Appetit,
Und unberührt an uns vorüberzieht
<12>Der erste Gang, mit dem die Küchenweiber
Ihr Bestes für uns aufgeboten hatten.
Geringe Hoffnung blieb für unsre Leiber!
Was folgte, kam noch weniger zustatten:
Der Puter schwamm in einer ranz'gen Tunke,
Das Rindfleisch hart, mit Meerrettich, der roch!
Wenn ich dran denke, wird mir übel noch!
Wir flüchteten geschwind aus der Spelunke
Und hofften auf das nächste Nachtquartier.
Das nicht verzehrte Mahl bezahlten wir
Und machten dann drei Kreuze vor dem Hause.
Unser Gespann fuhr vor. Nach kurzer Pause
Setzten die Rosse langsam sich in Trott,
So langsam, als bestände ein Komplott,
Uns in die tiefste Finsternis zu jagen,
Denn immer dunkler ward es um uns her.
Längst schon in seiner Höhle lag der Bär,
In seinem Bau das Füchslein mit Behagen,
Der Hase schlief, so gut es ging, voll Zagen,
Und auch die Lämmer weideten nicht mehr,
Ihr Hirt zog's Laken über beide Ohren.
Wir aber hatten unser Ziel verloren
Und irrten durch das Dunkel kreuz und quer.
Schwer war's, durchs Heideland sich durchzuwinden,
Da man die Hand nicht vor den Augen sah.
Wir wendeten und tappten hier und da,
Bis es gelang, den rechten Weg zu finden,
Und übermüdet kommen wir ans Ziel.
Doch alles liegt hier nun im tiefsten Schlummer.
Wir klopfen, bis am Tor der Balken fiel,
Und jemand öffnet — ach, zu neuem Kummer.
Denn wie wir gleich nach einem Mahl begehrten,
Erhebt der gute Gastwirt ein Geschrei.
Er habe nichts für uns als trocknes Brot
Und dann von einem Truthahn noch zur Not,
Der grade gestern frisch geschlachtet sei,
Den Rest, den seine Leute übrig ließen.
<13>Die besten Stücke freilich gingen drauf!
Wir konnten zu dem Mahl uns nicht entschließen
Und suchten traurig unser Lager auf,
Um Müdigkeit und Hunger zu verschlafen.
Die Nacht nimmt, dacht' ich, ruhigen Verlauf:
Mein Unstern sollt' auch den Wunsch Lügen strafen!
Ein rücksichtsloser Lärm drang an mein Ohr,
Er kam aus einem nahen Holzverschlag,
In dem ein Köter an der Kette lag,
Ein Vieh, das nur ein Gastwirt gerne mag.
Er zog's sogar der Eheliebsten vor,
Die ihn in Sommerglut und Winterkälte
Durch vierzig Jahr an sich gefesselt hatte,
Und die nunmehr der liebenswürdige Gatte
Als rostige Flinte in die Ecke stellte.
Der dumme Hund nun knurrte, heulte, bellte,
Daß ich erschrocken aus dem Schlafe fuhr.
Ein neuer Lärm entstand im Treppenflur,
Ein Türenschlagen, Rufen und Gescheite;
Dann hörte ich, wie eine Glocke gellte,
Das grobe Schlagwerk einer Wirtshausuhr:
Sie kündete des neuen Tages Spur
So kräftig, daß ich aus dem Bette schnellte.
Vorbei war's mit der Ruhe! Macht Euch klar,
Mein lieber General, wie matt ich war!
Ihr werdet Ruh' in Ruhstädt auch nicht finden,
Doch suchet sie in Euch — dem besten Hort!
Dort such' ich selber sie — an welchem Ort
Mich sonst auch mögen andre Pflichten binden.
So läßt sich äußre Unruh überwinden!
Ihr, den das Schicksal an den Hof berief,
Dürft dort in ungestörter Ruhe leben.
Und Eure Feinde — sollt' es welche geben —
Sind's aus dem Grund nur, weil ihr Urteil schief.
Zeigt ihnen Euer Herz, ich möchte schwören,
Es muß Euch bald dann aller Gunst gehören.
Grumblows Rittergut in der Priegnitz.
<14>Befolgt denn, was mein Lied von Euch ersteht,
Wenn je mein Wort bei Euch in Achtung sieht:
Laßt Euch durch nichts in Euren Pflichten stören,
Daß das Gesetz den Gang des Rechtes geht.
Straft den Betrüger, helft den Witwen zart,
Seid treu in allen Dingen und besonnen
Und bleibt auf jener Bahn, die Ihr begonnen,
Und nie verleugnet, Grumbkow, Eure Art!
10-1 Friedrich Wilhelm von Grumblow (1678—1738), Minister und General. der Vertrauens-, mann des Königs, bekleidete seit November 1730 gewissermaßen die Stellung eines Mentors bei Kronprinz Friedrich.