17. An Voltaire
(26. Februar 1740)
Dies anzusehn! Ein Vater in Todesnot!
Von Sterbenspein gequält erbarmungslos,
Sein Leben jeden Augenblick bedroht
Vom Scherenschnitt der Atropos!
Wie dieser Anblick doch mich übermannt,
Dagegen hält Philosophie nicht stand!
Wie einer Rieseneiche zarter Schößling
So fühl' ich mich: Nun hält der Baum, der stolze,
Im Sturm nicht mehr;
Verdorren schleicht, der Tod sitzt ihm im Holze
Vom Wipfel bis zum Grund! Der arme Sprößling,
Wo nimmt er Kraft und Saft und Nahrung her?
Nun spricht in mir die Stimme der Natur,
Beredter denn mein Ehrgeiz je gesprochen:
Mein Herz ist trüb, mein Mut gebrochen,
Nichts fühl' und weiß ich mehr, ich sehe nur
Im Geiste vor mir meines Vaters Schatten,
Die Totenfeier, da sie ihn bestatten,
Und fühl' den bangsten Augenblick voraus,
Wo alles aus!
Nun, da der Herr ich heißen soll,
Erleb' ich's tief in Herz und Sinn,
Wie so gebrechlich doch ich bin;
Mein Los, so stolz und hoheitsvoll,
Mit zager Hand nur nehm' ich's an:
Ein Scheinglück ist's, es ist ein Wahn!
O selig, dürft' ich weiterleben,
Wo mir so mild der Himmel schien,
<57>Wo ich in Freiheitsglück gediehn!
Aus diesem Erdreich mich zu heben!
Mich zu verpflanzen in dies Feld,
Die rauhe, die unholde Welt,
Ungangbar und verseucht zumeist
Von Machiavellis Frevelgeist!
Fern all den leeren Herrlichkeiten
Am Hof wie in der Königsstadt,
Fern all dem Schimmer, all dem Staat,
Den Thron und Hoheit rings verbreiten
Wie liebend gern,
In meinem friedlichen Asyle,
All diesem flücht'gen Glanze fern,
Tauscht' ich die holde Arbeitssiille,
Wie gern für all den stolzen Schein
Tauscht' ich mein ruhmlos Dunkel ein!