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22. An Voltaire73-1
Über die unbilligen Urteile der Welt über die Staatslenker
(25. Juli 1742)

Wie lange noch, sag' an, wird sich die Leier dein,
Der Ewigkeit geweiht, für Österreich entweihn?
Sag' an, welch falscher Gott ergriff dich statt des wahren?
Als Kämpe frondest du der Tochter der Cäsaren!
Ward denn in diesem Rausche
Die Liebe dir zum Tausche,
Als die Vernunft dahingefahren?

Hört ihr den feilen Schwarm? Gewinnsucht läßt sie schreien.
Schamlose Schwätzer sind's, der Lüge Papageien.73-2
Dies Hohepriestertum, bestellt von Mammons Gnaden,
Verpestet alle Welt mit seinen Opferfiaden.
Und alle Winde eilen,
Die Düfte zu verteilen,
Mit Lug und Fabeln schwer beladen.

Der Pöbel hängt am Schein. Leichtfertig allezeit,
Schwimmt er im breiten Strom der Oberflächlichkeit.
Im Spiel der Leidenschaft läßt er dahin sich treiben
Und wird sich allemal dem Überschwang verschreiben.
Was gestern hat gegolten,
Wird heute schon gescholten —
Der Tadel aber wird dir bleiben . . .
<74>Ich ruf' euch, Richelieu! Don Haro!74-1 Große Seelen!
Hellt auf, was Nacht und Graun bedecken und verhehlen.
Laßt dringen unfern Blick bis in die Herzensfalten
Der Männer, welche heut' an eurer Stelle walten.
Laßt unser Auge schauen,
Was eure Jünger brauen
Und was sie tief verborgen halten.

Schon hat den Mann des Trugs mit ihrer sichern Hand
Die Wahrheit zum Gericht aus Nacht hervorgebannt.
Wie täuschte uns das Bild, das sich von außen bot!
Wer unterdrückt erschien, erweist sich als Despot;
Entlarvt wird der Verbrecher,
Der eben noch mit frecher
Gewalt die Unschuld hat bedroht.

Doch horch! Wer ruft mir zu? Ich höre Pallas' Stimme:
„Belehre, kläre auf sie alle, die die schlimme
Verleumdung hat berückt. Den Trug gilt's aufzudecken.
Das Preußenbanner will die Hölle dir bestecken.
Dein Vaterland zu rächen,
Laß laut die Wahrheit sprechen,
Laß sie die Lüge niederstrecken.“

Du stolzes Österreich, vom Römeraar getragen,
In Eisen möchtest du die armen Deutschen schlagen.
Der Schmied ist schon am Werk, die Sklavenkette droht,
Doch anders ordnet es des Schicksals Machtgebot.
Um Hilfe uns zu schaffen.
Steht eine Welt in Waffen;
Ringsum bist du von Glut umloht.

Ein altes Erbe war an dein Gebiet gebunden,
Der Väter Schwäche einst durch Übermacht entwunden,
Dein Zepter drückte hart das mir selbeigne Land.
Jedoch der Unschuld Recht lieh Stärke meiner Hand:
Für Ungarns Königin
Fuhr Schlesien dahin
In zweier harten Schlachten74-2 Brand.
<75>Im alten Königsbau, des Louvre Prachtpalast,
Trägt Frankreichs Atlas75-1 stark des großen Reiches Last.
Unsterblich ist sein Leib, die Seele göttlich hell,
Dank Isis und Apoll und dank Machiavell.75-2
Mit gleißender Gebärde
Täuscht Himmel er und Erde,
Der Falschheit unergründter Quell.

Des Bunds Gefährten hält er hundertfach umsponnen,
Lohn lockt und Ehrgeiz sie; der Sieg scheint ihm gewonnen,
Europa sieht er schon im Bann der Dienstbarkeit.
Da wendet sich das Glück, und schnell ist er bereit,
Wie Spanien noch eben75-3
So heute preiszugeben
Des Kaisers75-4 Thron im Massenstreik.

Ich sah voraus! Und eh' der Blitzstrahl niederfuhr,
Begegn' ich dem Verrat auf seiner finstern Spur.
Auf Fargis75-5 dort in Wien kann zum Beweis ich zeigen —
Ich scheid' aus Fleurys Bund und aus dem blut'gen Reigen;
Im Kampfe um die Beute
Laß ich die grimme Meute,
Mir ward des Friedens Los zu eigen.

Triebfedern spielten hier, profanem Blick verhüllt,
Chimären wirr und wild, Entwürfe trugerfüllt.
Ihr armen Sterblichen! Als dieser Erde Götter
In Anbetung verehrt, und doch das Ziel der Spötter!
Den Lästerzungen allen
Als Opfer heimgefallen,
Harrt ihr umsonst auf einen Retter . . .


73-1 Den Anlaß für die Abfassung der Ode bot dem König ein von Voltaire an Maria Theresia gerichtetes Gedicht über den Krieg von 1741, in dem die gegen sie gebildete Koalition verurteilt und Kardinal Fleury aufgefordert wird, den Frieden herbeizuführen. Die Tendenz der Ode richtet sich gegen Fleury; ihr Zweck ist die Rechtfettigung des am 11. Juni 1742 zu Breslau geschlossenen Sonderfriedens zwischen Österreich und Preußen (vgl. Bd. II, S. 119 ff.; V, S. 170 ff.).

73-2 Die Zeitungsschreiber, zumal in England, Holland und zum Teil im Reiche, die sich während des Krieges in den Dienst der Gegenpartei gestellt hatten.

74-1 Spanischer Staatsmann (vgl. Bd. VII, S. 73).

74-2 Die Schlachten bei Mollwitz und Chotusitz.

75-1 Fleury.

75-2 Vgl. Bd. VII, S. 18.

75-3 Im Wiener Präliminarfrieden von 1735 gab Frankreich seine Bundesgenossen, von denen oben nur Spanien genannt ist, preis, um sich durch ein Sonderabkommen mit Österreich die Erwerbung von Lothringen zu sichern.

75-4 Karl VII., für dessen Erhebung auf den Kaiserthron die Koalition gegen Österreich gebildet war.

75-5 Anmerkung des Königs: „Fargis war ein politischer Agent, dessen sich der Kardinal in Wien bediente“ (vgl. Bd. II, S. 119; V, S. 171).