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55. Ode an die Deutschen
(29. März 1760)

Ihr unsel'gen deutschen Stämme, stets in Bruderkampf entzweit,
Ihr beseßnen Unruhgeister, seid dem Untergang geweiht!
Ewig Wehgeschrei erschüttert eure Lüfte allerenden,
Langer Kämpfe Schreckensmale euren Heimatboden schänden,
Eure Fluren Wüsteneien, eure Städte Haufen Schuttes,
Unter eurer Waffen Wüten rinnen Ströme roten Blutes;
Gottverflucht eure Triumphe!
Denn sie stürzen unser Land
Nur zurück in wüste, dumpfe
Barbarei, wo doch dem Sumpfe
Längst die Vorwelt sich entwand.

Ach, ein Unhold aus der Hölle, Zwietracht mit den wutentflammten
Funkelaugen, sie entfachte diesen Haß euch, den verdammten,
Diese Mordlust, euch zerstörend ineinander zu verbeißen,
Tempelschändrisch mit den Händen euch das Innre zu zerreißen,
Daß der Himmel, der gerechte, tief beleidigt, nur mit Grauen
Euren Totenfeiern leuchtend, so Unseliges mag schauen.
Ja, aus Furcht, sich zu beflecken,
Möcht' der reine Himmelsstrahl
Sich am liebsten ganz verstecken,
Wie vor jenem blut'gen Schrecken,
Da Thyestes hielt sein Mahl.

Drunten in dem ew'gen Abgrund, den kein Strahl von Reinheit lichtet,
Wo der Haß in Schmutz und Wüsiheit sich den Schreckensthron errichtet,
Dort denkt man sich so gestaltet jene unbotmäß'gen Wesen,
<171>Stets mit frechem Aufruhr drohend, stets bereit zu jedem Bösen,
Stets bereit, obschon sie ew'ge Ohnmacht bannt, sich zu verschwören,
Alle Ordnung dieser Schöpfung umzuwerfen, zu zerstören;
Ja, sie rotten sich und sprechen:
Auf, und laßt uns mit Gewalt
Alle Himmelsschranken brechen!
Kehr' denn wieder, uns zu rächen,
Du, des Chaos Ungestalt!

Niederträchtige, ihr bangt wohl, daß von euren blutigen Klingen,
Rot von Bürgerblut, ein Tropfen könnt' auf rechten Boden springen,
Daß aus solcher Saat erwüchsen neue Streiter, wohlbewährte,
Aus der Art geschlagne Kinder, die die gleiche Mutter nährte;
Darum, euch in Schuld und Frevel selber noch zu überbieten,
Ruft ihr lieber in die Waffen fremde Söldner und Banditen!
Nun, sie sind schon bei der Hand,
Eure Helfer und Genossen,
Jeden festen Rechtsbestand
Uns im deutschen Reich und Land
Blindlings wütend umzustoßen!

So hat Hellas einst die Flamme seiner Wildheit schlecht gehütet,
Hat im Irrsinn seiner Ehrsucht wider eignes Fleisch gewütet,
Hat in lauter Zwistigkeiten leer geblutet seine Adern,
Bis dann beide, tief zerrüttet und erschöpft vom ewigen Hadern,
Das gebieterische Sparta und das herrische Athen,
Schmählich an den Bund Achajas sahn ihr Zepter übergehn;
Was blieb von den freien Staaten,
Die vom Bürgerstreit zersetzt,
Ganz verblendet, schlimm beraten,
Von den Konsuln Roms zuletzt
Rettung aus der Not erbaten?

Doch gar bald vor ihren Schirmherrn wurde ihnen angst und bange,
Denn ein Joch ward ihre Hilfe — wer ertrüg' die Last noch lange?
Ach, zu spät! Von allen Seiten starrten Beile der Littoren,
Und so lernten sie's mit Schrecken, lernten's fühlen, jene Toren,
Daß sie sich, von zügellosen Leidenschaften irrgeleitet,
Statt des liebevollen Schutzes eine Zwingherrschaft bereitet.
<172>Also büßten diese freien
Staaten durch den Neid allein,
Stete Eifersüchteleien
Und den Hader der Parteien
Schmählich Macht und Freiheit ein.

Ist's was andres, wenn ihr heute, nur um das verhaßte Preußen
Zu erdrücken, hier den Franzmann, dort den Schweden, da den Reußen,
Den unbänd'gen Steppenwildling, in das Land gerufen habt
Und den Boden, ihr Unsel'gen, drauf ihr sieht, selbst untergrabt?
Die verhängnisvolle Hilfe kommt euch teuer noch zu stehn:
Unterworfne meint der stolze Eindringling in euch zu sehn!
Wartet nur, die schlimmen Horden
Kosten Tränen noch einmal!
Rühmt euch dann: aus West und Norden
Riefen wir sie her zum Morden,
Wir, wir schärften ihren Stahl!

Warum nicht den Arm euch waffnen, wie zu eurer Väter Tagen,
Um den Hochmut starker Gegner endlich auf das Haupt zu schlagen?
An der Donau, an dem Rheine stolze Landerobrer sind's,
Dort hat sich ihr Schwert erstritten manche blühende Provinz;
Nachbarn sind's, die ständig drohen, die nach Händeln mit euch dürsten,
Ew'ge Feinde eurer Freiheit, eurer Rechte, eurer Fürsten;
Nun, und ihr? Die Furien riefen
Eurem grimm'gen Aufgebot
Beifall zu aus Höllentiefen,
Eure Mörderarme triefen
Edlen Bruderblutes rot!

Schaut nach Flandern, seine Schanzen gilt's zu stürmen, zu gewinnen;172-1
Mit dem Ungarn Seit' an Seite legt in Asche Belgrads Zinnen! 172-2
Muß beim Klange dieser Namen heißer nicht das Blut euch rollen?
Denkt ihr nicht der blutgetränkten Ehrenfelder, wo den vollen
Siegeskranz der edle Ritter Prinz Eugenius sich errungen,
Der Bewunderte, der jeden seiner Gegner hat bezwungen?
Alles ruft bei solchem Wagen
Eurem Mute zu: Glückauf!
<173>Alle Herzen mit euch schlagen,
Die um Deutschland Sorge tragen,
Folgen eurem Siegeslauf.

Hier bewährt nur euren Ingrimm, eure Kraft, ihr könnt's mit Ehren:
Eines Nachbarn, eines Neiders drohend Reich dürft ihr zerstören,
Das ein Riesensammelbecken voll von kriegerischen Stämmen,
Stets bereit, mit seinen Horden euer Land zu überschwemmen.
Denkt, wie oft die Heimatfluren all die wilden Streiter schauten
Und die Väter nur mit Zittern und mit Bangen sie bebauten!
Dorthin sollt den Blick ihr wenden,
Wenn den rechten Feind ihr sucht!
Irrsal will euch ganz verblenden:
Mut, den Wahnsinnstaten schänden,
Freundesmord — der ist verflucht!

Seht den Großherrn der Osmanen, an des Hellespontes Küsten,
Der euch allzumal verabscheut, voll Vermessenheit sich brüsten!
Wie er euer Wüten segnet, eures rohen Streites lacht,
Weil mit euren harten Fehden ihr sein Werk nur leichter macht!
Recht von euch, dem Herrn der Gläub'gen euern blut'gen Arm zu leihn:
Denn so kann er doch den Seinen sparen all die Metzelein!
Hei! vom stolzen Turm zu schauen,
Wie im Kampf die Federn stieben,
Falk und Adler wundgehauen
Von den schnöden Geierklauen,
Halb zerfleischt von Schnabelhieben!

Also schlugen vor den Römern in des Kolosseums Rund,
Vor den übermüt'gen Siegern, Kriegsgefangne einst sich wund.
Zur Belustigung der Verächter fochten sie auf Tod und Leben;
Und zu gleichem grausem Spiele sicherm Tode übergeben,
Sanken dort die Gladiatoren hin, zerfleischt von Raubtierrachen,
Um entmenschten Müßiggängern einen blutigen Spaß zu machen;
Seelenruhig, mit Behagen
Trank man seinen Blutrausch da;
Keinem hat in Selbstantlagen
Das Gewissen drob geschlagen,
Als er dieses Morden sah!
<174>Aber ist's denn nur der Fremde, der gefährlich werden kann?
Ernst will's werden! Mit Selbsttäuschung ist es bald nicht mehr getan!
Habt ein Auge auf die Donau! Eh' ihr's denkt, hat sie geboren
Euren Zwingherrn euch! Indes ihr mich bekriegt, ihr blinden Toren,
Birgt ihr brechend Aug' die Freiheit, das in Zornestränen schwimmt
Um ein Volk, das, niedren Sinnes, Sklavenketten auf sich nimmt.
Laßt die Narrheit endlich fahren
Eines wirren Fanatismus:
Ihr vermehrt nur die Gefahren,
Helft nur eueren Cäsaren
An dem Bau des Despotismus!...

Aus den Blättern der Geschichte lernt, wie„s schon einmal gegangen:
Seht den fünften Karl, dem alle Weltmachtpläne schier gelangen!
Er, das Oberhaupt der Deutschen, die da uneins und zerspalten,
Ließ in dreisier Herrenwillkür seine Spanier hier walten,
Eure Länder all zu knechten, zu entwürd'gen eure Ahnen;
Eure ersten Fürsten macht' er zu Tyranne-Untertanen.
Wieviel Ketzerblut vergossen
Hat doch jener Ferdinand,174-1
Der gewaltsam umgestoßen
Jedes Recht, das ihn verdrossen,
Als Tyrann im deutschen Land.

Doch ich pred'ge tauben Ohren! Es verdrießt euch wohl gewaltig?
Steht mir Rede, Unglückselige! — Doch sie schweigen hinterhaltig.
Schmählich sind sie abgefallen von dem Manneswert, dem alten,
All ihr Freiheitssinn, von frecher Herrenfausi in Schach gehalten,
Hat gelernt, die Stirn zu beugen, sich ins Sklavenlos zu finden,
Unterm Fuße von Tyrannen sich zu schmiegen, sich zu winden!
Ja, sie lassen sich bedrücken
Ohne jede Gegenwehr!
Ihre Feigheit wird sich bücken,
Sich gewöhnen und sich schicken
In der Kettenlasi Beschwer.

Fort von hinnen, meine Preußen! Laßt den Wandersiab uns fassen!
Bleib' denn allen Kriegesnöten, allem Elend überlassen
<175>Dieses Land, wo alle Hirne eine böse Krankheit lähmt
In der ganzen Blutsverwandtschaft, wo der Deutsche sich nicht schämt,
Seine Schützer schnöd zu ächten, den Tyrannen zu gefallen,
Seine Freiheit zu verraten, sich zu fühlen als Vasallen.
Kommt, wir wollen sie verlassen,
Nichts wird die Verderbten retten:
Hart wird ihr Tyrann sie fassen,
Die der Ehre ganz vergaßen,
Selbst sich schmiedend ihre Ketten!

Schönre Lande laßt uns suchen, wo in heitrer Himmelsbläue
Des Saturnus und der Rhea goldne Zeit sich uns erneue,
Oder jenes Urwalddickicht, wo der Irokese haust,
Unwirtliche Felsenöden, die der Phasisstrom durchbraust,
Menschenleere Wüsteneien, die der Leu mit Blut besprengt,
Und im Kaukasus die Höhlen, abgrundfinster, felsumengt —
Ist doch unfern qualverzehrten
Herzen jede Stätte wert!
Lieber als die fluchbeschwerten
Heimatlande, die entehrten,
Aller Schmach und Frevel Herd!

Aber nein, ihr tapfren Freunde! Hätte je so klein gehandelt
Eine großgesinnte Seele? Ward sie einmal angewandelt
Von des Kleinmuts niedrer Regung, stets noch blieb sie ihrer Herr!
Trotzt dem Schicksal in das Auge! Und ist keine Rettung mehr,
Laßt uns doch die Ehre retten! und die Götter die gerechten,
Des entweihten Friedens Rächer, werden uns zur Seite fechten.
Vorwärts, laßt die Zügel schießen,
Sturmgeschwader, meine raschen!
Unsre Feinde sollen's büßen,
Und ihr treulos Blut soll stießen,
Alle Schmach uns abzuwaschen.

Seht die vielen Völker alle, die sich wider uns verschworen,
Die vor dünkelhafter Ehrsucht völlig den Verstand verloren;
Unverzagt nur, meine Helden! Trefft sie mit dem Wetterschlage
Eures Zornes, eurer Hiebe, daß die Menschheit künft'ger Tage
Diesem Sturmlauf ohnegleichen, diesem Sieg der Minderzahl
Wider eine Welt von Neidern türm' ein bleibend Ehrenmal.
<176>Rings von Not und Tod umgeben,
Denkt in eurem Rachefest,
Daß in diesem harten Leben
Ohne Kampf und Fährnis eben
Sich kein Ruhm gewinnen läßt.


172-1 König Friedrich mahnt, die Franzosen auf dem westlichen Kriegsschauplatz zurückzuwerfen.

172-2 Belgrad war seit dem Belgrader Frieden (1739) in tükischen Händen.

174-1 Kaiser Ferdinand III. (1637—1657).