Verse des Kaisers von China218-1
(4. Dezember 1770)
Europas Dichter, seid auf eurer Hut!
Mein Ruhm sieht fest und mein Gedicht ist gut. Ohne zu gähnen, müssen die Chinesen Die Verse hoher Obrigkeiten lesen. Der Westen mag, was selbst er ausgeheckt. Bekritteln; meiner Kunst gebührt Respekt.
Die Schönheit meiner Stadt ist ohnegleichen,
Es muß vor ihr Paris wie Rom verbleichen.
Sie führen dann noch einen Friedrich an,
Doch spricht in Peking niemand von dem Mann;
Ich seh' vom Thron, den Chang-Ti218-2 mir beschieden,
Dieses Insekt des Nordens Reime schmieden
Und Verse drechseln, abgeschmackt und platt,
Und höre, daß ein Nordlandkönig, satt
Des Nebels, der ihm Land und Thron verleidet,
Sich in Paris an Tanz und Schauspiel weidet.218-3
Nun gut. Doch was soll dies dem Kaiser, mir?
Peking gewährt mir jegliches Pläsir.
Ich bin in meinem Reich der erste Dichter,
Zäsur, Sinn, Reim bemängelt mir kein Richter.<219> Wer könnt' es auch? Der Schriftgelehrten Schar? Sie bringt mir wohlbezahlten Weihrauch dar.
Es finden hier sich wie in Frankreich Narren,
Bigotte, Stümper, Leute voll von Sparren;
Verschieden ist der Menschen Angesicht,
Jedoch ihr Geist, ihr Herz, ihr Innres nicht;
Das Lächerliche bleibt sich gleich auf Erden.
Soll ich zum Popanz des Parisers werden,
Der ausruft unter schallendem Applaus:
Seht, seht, wie sieht er echt chinesisch aus!
Was kümmert's mich, wenn der Sorbonne Perücken
Scotus219-1 und Aristoteles zerpflücken,
Confucius schmähn, zum Vorteil Saint Denis',
Die Hölle füllend wie das Paradies,
Weil eines Tonsurierten krauses Träumen
Gericht hält in erfundnen Himmelsräumen.
Mein Heller Kopf, den Irrtum nie beschlich,
Lacht jener Welt und hält an diese sich.
Hier fühlt sich jeglicher Chines geborgen,
In Tugend stark, doch schwach in Glaubenssorgen;
Er liebt die Wahrheit, ist Fiktionen feind,
Bleibt starr bei dem, was er nun einmal meint,
Und überläßt den Kult, den längst profanen,
Den Bonzen und unwissenden Brahmanen.
Inzwischen schmück' ich meinen Müßiggang
Mit müheloser Verse Kling und Klang
Und seh' mit himmlisch friedlichem Empfinden
Im Blauen just Frau Famas Bild entschwinden;
Es fehlt an Kraft ihr, scheint's, landaus landein
So großer Werke Heroldin zu sein.
Am Schwarzen Meer muß Katharinen weichen,
Der hohen Nachbarin, des Halbmonds Zeichen,219-2
Von Donau bis Araxes hält im Bann
Ihr weis Gesetz den stolzen Muselmann.
Fortunas kann ihr Genius entraten,<220> Sie stiegt von Ruhmestat zu Ruhmestaten, Und steigt ihr Stern auch noch so hoch empor, Sie zieht dem Lorbeerkranz den Ölzweig vor. Ich, der Chines gewordne Mandschu, nicke Mit meiner Mütze Beifall solchem Glücke Und neid' ihr nicht ihrer Triumphe Flucht, Gewalt'ger Pläne wohlverdiente Frucht.
Fama, nach diesen prächtigen Geschichten,
Beeilt sich, uns vom Westen zu berichten;
Sie ringt nach Luft, der Post ist schier zu viel,
Und kündet endlich in gewähltem Stil
Von Wunderdingen an der Seine Borden.
Man ist dort plötzlich schöpferisch geworden
Und plant etwas, das mehr nach England fast,
Nach Rom, nach Hellas, als nach Frankreich paßt.
Ich nun, ein treuer Sohn der Mutterscholle,
Begriff als Säugling schon des Kaisers Rolle,
Und trennen mich von Volt und Thron und Reich
Erschien mir immer barem Wahnsinn gleich.
Doch nun entführt ein Wunsch, man darf ihn preisen
Wert eines Kaisers, würdig eines Weisen,
Mich nach Paris, wo trotz der Nörgler Wut
Man das Talent zu feiern Schritte tut.
Man schafft ein Standbild des Homers der Franken!220-1
Welch Labsal meinen Sinnen und Gedanken!
Kein Schauspiel, das je Höheres verhieß!
Auf, ungesäumt! Wir eilen nach Paris!
O Lust, zu schaun, wie sie den Genius grüßen, Des Neides Brut zu schaun zu seinen Füßen, Tief einzuziehn des Weihrauchs süßen Duft, Den, ach, die Welt sonst spart für Grab und Gruft! Doch dann sofort, nach dieser kurzen Wonne, Hinweg! Kein Wort dem Narren der Sorbonne, Dem Stribler des Parnaß, dem Eintagslicht,<221> Dem feisten Börsenmann, dem höf'schen Wicht, Dem Pläneschmied, dem schwindelhaften Pfaffen, Dem Titeljäger und dem eitlen Lassen. Die Sänfte bringt zurück mich an den Strand, Mein stolzer Segler heim zum Heimatland, Und während noch der Wesi des Streites Beute, Vertreibe ich Ignaz und seine Leute.221-1
218-1 Als die Übersetzung eines Gedichtes des Kaisers Kien-Lung von China: „Loblied auf Mulden und seine Umgebung“ 1770 in Paris erschienen war, hatte Voltaire eine „Epistel an den Kaiser von China“ verfaßt und an Friedrich gesandt. Darauf antwortete dieser mit den „Versen“, die er scherzhaft als Übertragung einer aus China ihm zugegangenen Dichtung des Kaisers bezeichnete. Und wie Voltaire dem Preußentönig in seiner „Epistel“ gehuldigt hatte, so brachte Friedrich in der obigen Entgegnung der Kaiserin Katharina II. von Rußland, seiner Alliierten, eine Huldigung dar.
218-2 Höchster Herr, d.h. Gott.
218-3 König Christian VII. von Dänemark hatte 1768 Holland, England und Frankreich bereist (vgl. Bd. V, S. 38).
219-1 Der englische Scholasiiler Johann- Duns Scotus († 1308).
219-2 Anspielung auf den russischtürkischen Krieg, der Ende 1768 ausgebrochen war und 1774 durch den Frieden von Kutschuk-Kainardsche beendet wurde (vgl. Bd. V, S. 16 ff. und 49).
220-1 Eine Anzahl Philosophen und Verehrer Voltaires in Paris hatten im April 1770 beschlossen, seine Statue durch Pigalle herstellen zu lassen. Zu den Kosten, die durch Subskription aufgebracht wurden, sandte auf d'Alemberts Aufforderung auch König Friedrich 200 Louisdor.
221-1 Der Schluß bezieht sich auf die Bewegung gegen die Jesuiten in Portugal, Spanien und Frankreich, die 1773 zur Aufhebung des Ordens durch Papsi Klemens XIV. führte.