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75. An den Küchenchef Noël
(1772)

Fürwahr, ich sag' es, Noël, ohne Lachen:
Dein groß Talent wird dich unsterblich machen.
Man wird es ja durch mannigfache Mittel;
Wer seinesgleichen in den Schatten stellt,
Als Künstler auftut eine neue Welt,
Verdient in seinem Fach den Meistertitel:
Du bist der Küche nie bezwungner Held.

Dein eigen ist die ganz genaue Kenntnis
Von allen Kräutern, und mit Sachverständnis
Zusammenrührend sorgsam ihren Saft,
Vereinst du sie zu jener Art von Saucen,
Die lieblich duftend nach Jasmin und Rosen,
Den Königen und Fürsten Wonne schafft.
Sollt' eines Tags dich eine Laune lenken,
Ein Mumienragout dir auszudenken
Und kunstreich durch ein chemisch Elixir
Die Würze der Bereitung noch zu bessern,
Macht Illusion, Vertraun und Eßbegier
Am End uns alle noch zu Menschenfressern.

Doch nein, verschmähn wir solch ein Mahl für Wilde,
Und auch mit Fleisch von Tieren sei gespart;
Tisch' lieber auf, was grünt im Fruchtgefilde;
Gesünder ist's, gemäßer unsrer Art.

Wieviel Pasteten hast du schon gemeistert,
Wieviele Braten kunstgerecht gespickt!
Mit wieviel leckren Füllseln uns erquickt,
Wovon mein Hof, gar oft nur zu begeistert,
Wird angenehm gekitzelt und bestrickt!
<238>Fruchtbarer Autor köstlicher Gerichte,
Noch unerschöpft von hundert Gasterein,
Die Schüsseln, die du fertigst, sind Gedichte
Und stehen jedem andern Koch im Lichte,
Um einzig dir die Palme zu verleihn.

Auch sei versichert, daß die Kochkunst nie
Bei Griechen, Römern oder Orientalen
Zu ähnlicher Vollkommenheit gedieh,
Wie deine nimmermüde Phantasie
Und dein erfindrisch Hirn sie läßt erstrahlen.

Lukull, der Schlemmer Roms, der weltbekannte,
Hat bei den Schmäusen im Apollosaal,
Die Cicero berühmte Wunder nannte,
Was Besseres und Feinres nie gegessen
Als dies Ragout à la Sardanapal,
Dies wahrhaft unerreichte Göttermahl,
Das du mir heut beschert zum Mittagessen.

Wär' Epikur noch einmal zu beleben,
Könnt' eines kühnen Heiligen Bemühn
Ihn einmal noch dem Dasein wiedergeben,
Wie würde da sein Herz für Noel glühn!
Er würde Noel zum Apostel wählen;
Er ist's ja schon; sein Werk weiß jederzeit
Das ganze Schloß mit Wollust zu beseelen;
Weil ihm Verführungskünste niemals fehlen,
Besiegt er glorreich die Enthaltsamkeit.
Ja, stärker als der alte Philosoph
Rückt er der praktischen Bekehrung näher:
Mit Leckerbissen kirrt er meinen Hof
Und wandelt Preußen in Epikuräer.

Die plumpe Lust war in vergangnen Tagen,
Nicht achtend auf der Speisen Duft und Zier,
Zufrieden, vollzustopfen ihren Magen
Zur Stillung ihrer räubrischen Begier.
Von der Verfeinrung unsrer Sinne fern,
Unkundig noch der Würzen unsrer Feste,
<239>Aß man das Fleisch der seltnen Tiere gern;
Was möglichst teuer war, galt für das Beste.
So schreibt Petron, welch sonderbar Gelag
Trimalchio für ihn einst hergerichtet;
Im Überflusse sah dort aufgeschichtet
Man ganze Bestien von jedem Schlag;
Zumal ein Schweinskadaver, widerwärtig
Und schauderhaft für unsre Augen, lag
In einem Stück gebraten fix und fertig;
Sobald man diesen in zwei Teile trennte,
Kam draus hervor ein glänzender Fasan,
Truthahn und Rebhuhn und Kapaun und Ente.
Die Gäste, von dem Schauspiel angetan,
Sind in entzückten Jubel ausgebrochen;
Dem Koche zollte Lob die Narrenschar,
Ein jeder kaute, was ihm schmackhaft war,
Und man verschlang das Schwein bis auf die Knochen.

Ein solches Mahl, wer heutzutage tischt
Es seinen Gästen auf? Statt zu erwerben
Ein Lob von des Terenz und Plautus Erben,
Würd' er auf offner Bühne ausgezischt.
Die feinen Kenner einer edlen Nahrung
Vertragen keinen Pfuscher, der am Herd
Auf gröbliche Barbarenart verfährt;
Vor allem fordert man, daß voll Erfahrung
Der Küchenkünstler durch Delikatessen
Uns künstlerische Sättigung gewährt.
Auch darf durchaus, fast hätt' ich das vergessen,
Die rechte Tafel, elegant gedeckt,
Nicht an ein Schlachthaus mahnend, uns vertreiben;
Nie dürfen blutig sein die Bratenscheiben;
Ein solcher Anblick ekelt und erschreckt.
Ein Koch mit Ehrgeiz und Gedankenschwung
Muß tote Tiere, die man ißt, verkleiden;
Auf hundert Arten kann er sie zerschneiden,
Die Zutat lehrt ihn Ungeschmack vermeiden,
Das Füllsel dient ihm zur Verschleierung.
In diesem Punkt zeigt Noel sich erlaucht.
Ein Schöpfer ist's, der nicht vom Nebenmanne
<240>Die Speisezettel zu stibitzen braucht.
Er ist der Newton von dem Suppentopf,
Er ist der Cäsar von der Bratenpfanne;
Wo man Genüsse liebt, ragt eine Spanne
Den Helden unsrer Zeit er übern Kopf.

Doch kämen einem grämlichen Zeloten
Zufällig diese Verse in die Hand,
Der eifernd, geifernd alles nennt verboten,
So hör' ich ihn schon donnern zornentbrannt
Gegen den greulichen, verruchten Prasser,
Der schnöder Lust sich rühmt mit ftechem Mund,
Und ohne Namensnennung den Verfasser
Verdammen in der Hölle tiefsten Schlund.

Gemach, nur ganz gemach, mein Herr Asket!
Ich bitt' um mehr Verstand und weniger Galle;
Nur die Vernunft, mein Herr Magister, sieht
Als Richter zwischen uns in diesem Falle,
Und ihrem Spruche dürfen Sie nicht grollen;
Er lautet so, wenn Sie ihn hören wollen:
Die Gaben, die der Himmel auszustreuen
Für gut befindet, soll man sie verschmähn?
Er spendet sie, das läßt sich leicht ersehn,
Damit wir unser Herz daran erfreuen.

Alles zu nützen ist des Weisen Rat,
Genießen, doch durch Mißbrauch nichts verletzen,
Das Schlimme mutig dulden, wenn es naht,
Und nach Gebühr des Guten Votteil schätzen.

Drum, Noel, fiink, send' uns das Werk der Küche;
Ich witttre schon die zarten Wohlgerüche
Deiner Ragouts; gespannt bin ich unsäglich,
Was heut dein Zauberstab für uns beschwor;
Denn sintemal, um nicht zu sterben kläglich,
Ein jeder Mensch sich nähren muß tagtäglich,
Setz' uns nur lauter gute Sachen vor.