79. Der Esel und die Nachtigall248-1
Eine Fabel
(1775)
Ein Esel ging jüngst in den Wald zur Weide,
Da tönte durch die Stille süß und bang
Der Philomele Lenz- und Liebessang,
Drob schwoll sein Herz vor Staunen und vor Neide.
Der Esel meint', er könnt' noch schöner singen,
Und allsobald erklang sein rauh Organ;
Denn alles, selbst der Esel, neigt zum Wahn.
Wie konnt' das Unterfangen ihm gelingen?
Er schreit, daß alles flugs von bannen läuft.
Ihr kleinen Geister, nehmt's zur Lehre:
Bescheiden bleibt in eurer Sphäre,
Auf daß man euch mit Spott nicht überhäuft.
248-1 Das obige Gedicht, das der König am 24. Oktober 1775 an Voltaire sandte, bezieht sich auf eine neue Ausgabe der „Henriade“ von La Beaumelle, der selber neue Verse in die Dichtung eingefiochten hatte.