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81. An Voltaire251-1
(9. Juli 1777)

Da sitzt er nun, der alte Mann,
Phlegmatisch, schweigsam, herzenskalt;
Fängt er einmal zu sprechen an,
So gähnt ein jeder Hörer bald;
Statt launiger Rede, die ein Gran
Attischen Salzes leidlich würzte,
In guten Tagen dann und wann
Die Stunden angenehm verkürzte,
Gibt's heute nichts als Politik
Und dunkelste Metaphysik;
So langweilig hört sich das an
Wie irgend ein moderner Roman.
Luftsprünge früher, heut' schleicht das an Krücken,
Einst Kraft und Leben, heut' Lumpen und Flicken!
Ach Gott, so ändern sich die Zeiten!
Als wenn der milde Zephyrus
<252>Die Herrschaft in des Luftreichs Weiten
Dem Nordwind überlassen muß.
Nun ist's wie Sterben in der Welt:
So welk und öde liegt das Feld,
Der Baum sieht da von Blättern bloß,
Der Garten kahl und blütenlos.
So spürt der Mensch mit leisem Beben
Die Hand der Zeit an seinem Leben.
Die Jugend geht im Irrtum dahin;
Kaum lernt man erkennen, kaum schärft sich der Sinn,
Da kommt die Mühsal, da kommen die Leiden,
Und es dauert nicht lange, da heißt es scheiden.


251-1 Aus einem Schreiben an Voltaire vom 9. Juli 1777.