<12> doch die Berichte der andern Geschichtschreiber völlig mit den von Cäsar beschriebenen Ereignissen. Aber seit Cäsar enthält die Geschichte nichts als Lobreden oder Satiren. Die Barbarei der folgenden Zeiten hat aus der Geschichte des späteren Kaisertums ein wüstes Chaos gemacht, in dem nur die Aufzeichnungen der Tochter des Kaisers Alexios Comnenos1 einigen Wert besitzen, weil diese Prinzessin beschreibt, was sie selbst gesehen hat. Seitdem haben die Mönche, die allein einige Kenntnisse besaßen, Chroniken hinterlassen. Man hat sie in ihren Klöstern gefunden und zur deutschen Geschichte benutzt. Aber was für ein Geschichtsmaterial war das! Die Franzosen haben einen Bischof von Tours, einen Ioinville und das Tagebuch des Estoile2 gehabt, schwache, zusammengestoppelte Werke von Leuten, die das aufzeichneten, was der Zufall ihnen zutrug, und die schwerlich recht unterrichtet sein konnten. Seit der Wiedergeburt der Wissenschaften hat sich die Schreiblust zur Schreibwut verwandelt. Wir haben Memoiren, Anekdoten und Berichte in Fülle. Aber man muß sich lediglich an die kleine Zahl der Schriftsteller halten, die hohe Staatsämter bekleideten, die bei den Ereignissen mitwirkten, zum Hofe gehörten oder denen von den Fürsten erlaubt ward, in den Archiven zu forschen. So schrieb der einsichtsvolle Präsident de Thou3, so Philipp de Comines4, Vargas, der kaiserliche Bevollmächtigte beim Konzil zu Trient, Mademoiselle von Orleans5, der Kardinal von Retz6 usw. Dazu kämen dann die Briefe des Herrn d'Estrades7 und die Memoiren von de Torcy8, merkwürdige Denkmale, besonders das letzte, das uns die Wahrheit über jenes oft angezweifelte Testament König Karls II. von Spanien enthüllt.

Diese Betrachtungen über die Ungewißheit der Geschichtsschreibung haben mich oft beschäftigt und in mir den Gedanken angeregt, die wichtigsten Begebenheiten, an denen ich teilhatte oder deren Zeuge ich doch war, für die Nachwelt niederzuschreiben, damit die, welche den preußischen Staat künftig regieren werden, Kunde erhalten von der wahren Lage der Dinge zur Zeit meines Regierungsantritts, von den Ursachen meines Handelns, von meinen Hilfsmitteln, von den Anschlägen meiner Feinde, den Verhandlungen und Kriegen und vor allem von den Ruhmestaten unserer Offiziere, die sich gerechten Anspruch auf Unsterblichkeit erworben haben.

Seit den Umwälzungen, die zuerst das weströmische, dann das oströmische Reich zu Falle brachten, seit dem unermeßlichen Glück Karls des Großen, seit der glänzenden Epoche der Regierung Karls V., nach den dreißigjährigen Wirren, welche die


1 Anna Comnena, die Tochter des oströmischen Kaisers Alexios I. (1081—1118), beschrieb in der „Alexias“ das Leben ihres Vaters.

2 Gregor von Tours, Verfasser einer Kirchengeschichte Frankreichs (539—593); Jean de Joinville, Geschichtsschreiber Ludwigs IX. († 1318); Pierre de l'Estoile († 1611).

3 Jacques Auguste de Thou († 1617), französischer Staatsmann und Geschichtsschreiber.

4 Philippe de la Clite de Comines, französischer Staatsmann und Geschichtsschreiber († 1509).

5 Anna Maria Luise von Orleans, gewöhnlich Mademoiselle von Orleans genannt, Herzogin von Montpensier († 1693).

6 Jean Gondi, Kardinal von Netz, das Haupt der Fronde († 1679).

7 Graf Godefroi d'Estrades, französischer Staatsmann und Feldherr († 1686).

8 Jean Baptiste Colbert, Marquis be Torcy, französischer Staatsmann († 1746).