1. Kapitel
Einleitung
Zustand Preußens beim Tode Friedrich Wilhelms. Charakter der Fürsten Europas, ihrer Minister, ihrer Generale. Übersicht ihrer Kräfte, ihrer Hilfsquellen und ihres Einflusses auf die europäische Politik. Zustand der Wissenschaften und Künste. Veranlassung zum Kriege gegen das Haus Österreich.
Die Einkünfte Preußens betrugen beim Tode König Friedrich Wilhelms nur 7 400 000 Taler. Die Bevölkerung in allen Provinzen belief sich höchstens auf drei Millionen Seelen. Der verstorbene König hinterließ im Schatze 8 700 000 Taler, keine Schulden, die Finanzen in guter Verwaltung, aber wenig Industrie; die Handelsbilanz verlor jährlich 1 200 000 Taler an das Ausland. Das Heer zählte 76 000 Mann1, darunter fast 26 000 Ausländer: ein Beweis, daß seine Stärke die Kräfte des Landes überstieg und daß drei Millionen Einwohner nicht einmal zum Ersatz von 50 000 Mann hinreichten, zumal in Kriegszeiten. Der verstorbene König hatte sich in kein Bündnis eingelassen, um seinem Nachfolger freie Hand zu lassen, welche Bündnisse er nach Zeit und Umständen als die für den Staat vorteilhaftesten eingehen wollte. Europa hatte Frieden, abgesehen von England und Spanien, die sich über ein paar englische Ohren, welche die Spanier abgeschnitten hatten2, in der Neuen Welt bekriegten und ungeheure Summen für Handelsobjekte vergeudeten, die in keinem Verhältnis zu dem großen Kraftaufwande standen.
Kaiser Karl VI. hatte durch Vermittlung des französischen Gesandten in Konstantinopel, Villeneuve, den Frieden von Belgrad mit den Türken geschlossen (1739). Durch diesen Frieden trat er dem osmanischen Reiche das Königreich Serbien, einen Teil der Walachei und die wichtige Stadt Belgrad ab. Die letzten Regierungsjahre Karls VI. waren überhaupt sehr unglücklich gewesen. Die Königreiche Neapel und Sizilien sowie ein Teil der Lombardei waren ihm von den Franzosen, den Spaniern
1 Genauer 81 034 Mann.
2 Die Spanier wurden 1738 beschuldigt, einem englischen Matrosen wegen Schmuggels die Ohren abgeschnitten zu haben; der Krieg brach 1739 aus.