<57> Rheine der Neutralität des alten Kurfürsten sicher zu sein. Diese Garantie hätte den König nun zwar nicht abgehalten, denn gewöhnlich werden solche Zusagen ebenso rasch gegeben wie gebrochen. Aber Frankreichs Vorteil verlangte schwache Nachbarn an den Ufern des Rheins und keine mächtigen, widerstandsfähigen Fürsten. Fast zur selben Zeit erhielt Graf Seckendorff, der auf der Festung Graz gefangen saß, seine Freiheit unter der Bedingung wieder, daß er dem Kaiser sämtliche Befehle einhändigte, durch die dieser ihn ermächtigt hatte, dem verstorbenen König von Preußen die feierlichsten Zusicherungen zur Unterstützung der preußischen Ansprüche auf die Erbfolge in den Herzogtümern Jülich und Berg zu geben1.

Diese Darstellung zeigt, wie ungünstig die Umstände für das Haus Brandenburg lagen. Das bestimmte den König auch, sich an das provisorische Abkommen zu halten, das sein Vater mit Frankreich geschlossen hatte2. Aber wenn auch so triftige Gründe die Ruhmbegierde des Königs zügelten, so reizten ihn andre, nicht minder starke Beweggründe, beim Antritt seiner Regierung Beweise von Kraft und Entschlossenheit zu geben, um seinem Volke Achtung in Europa zu verschaffen. Allen guten Patrioten blutete das Herz wegen der geringen Rücksicht, welche die Mächte dem verstorbenen König besonders in seinen letzten Regierungsjahren bezeigt hatten, und wegen der Kränkungen, denen der preußische Name in der Welt ausgesetzt war. Gerade das hatte großen Einfluß auf das Vorgehen des Königs, und wir halten uns für verpflichtet, einiges Licht darüber zu verbreiten.

Die weise und vorsichtige Zurückhaltung war dem verstorbenen König als Schwäche ausgelegt worden. Im Jahre 1729 hatte er wegen einiger Kleinigkeiten einen Streit mit den Hannoveranern, der aber gütlich beigelegt wurde3. Kurz daraufkam es mit den Holländern zu ebenso unbedeutenden Zwistigkeiten, die gleichfalls eine friedliche Lösung fanden. Aus diesen beiden Beispielen der Mäßigung schlossen die Nachbarn und Neider, daß man den König ungestraft beleidigen könnte, daß er statt wirklicher Macht nur eine Scheinmacht, an Stelle erfahrener Offiziere nur Exerziermeister und statt tapfrer Soldaten nur Söldlinge hätte, die dem Staate wenig anhänglich wären, und daß er selbst den Hahn stets nur spannte, aber nie losdrückte. Die Welt, in ihren Urteilen oberflächlich und leichtsinnig, glaubte solches Gerede, und diese schmählichen Vorurteile verbreiteten sich rasch durch ganz Europa. Der Ruhm, nach dem der verstorbene König trachtete, war gerechter als der Ruhm der Eroberer. Sein Ziel war, sein Land glücklich zu machen, sein Heer zu disziplinieren und seine Finanzen mit Ordnung und weisester Sparsamkeit zu verwalten. Er vermied den Krieg, um nicht von so schönen Unternehmungen abgelenkt zu werden, und erhob sich so in der Stille zur Macht, ohne den Neid der Fürsten zu erregen. In seinen letzten Lebensjahren hatten körperliche Gebrechen seine Gesundheit völlig zerrüttet, und sein Ehrgeiz hätte


1 Vgl. S. 4. Seckendorff erhielt durch Maria Theresia seine Freiheit am 6. November 1740 wieder.

2 Nach dem Abkommen vom 5. April 1739 sollte Preußen einen Teil des Herzogtums Berg, aber ohne die Hauptstadt Düsseldorf, erhalten.

3 Vgl. S. 4.