2. Kapitel
Gründe zum Kriege gegen die Königin von Ungarn nach dem Tode Kaiser Karls VI. Winterfeldzug in Schlesien 1740.
Die Erwerbung des Herzogtums Berg war sehr schwierig auszuführen. Um sich einen deutlichen Begriff davon zu machen, muß man sich genau in die damalige Lage des Königs versetzen. Er konnte kaum 60 000 Mann ins Feld stellen, und an Hilfsquellen zur Unterstützung seiner Unternehmungen hatte er nichts als den Schatz, den der verstorbene König hinterlassen hatte. Wollte er die Eroberung des Herzogtums Berg wagen, so mußte er alle seine Truppen dazu verwenden, weil er mit einem starken Gegner zu rechnen hatte. Er mußte Frankreich bekämpfen und zugleich die Stadt Düsseldorf einnehmen. Schon die Übermacht Frankreichs reichte hin, um ihn von dieser Unternehmung abzuhalten, hätten ihm auch von andrer Seite nicht ebenso ansehnliche Hindernisse im Wege gestanden. Denn auch das Haus Sachsen erhob die gleichen pfälzischen Erbansprüche, und Hannover war eifersüchtig auf Brandenburg. Rückte der König unter diesen Umständen mit seiner ganzen Macht an den Rhein, so setzte er seine von Truppen entblößten Erblande einem Einfall der Sachsen und der Hannoveraner aus, die eine solche Diversion gewiß nicht unterlassen hätten. Wollte er aber einen Teil seines Heeres in der Kurmark zurücklassen, um seine Staaten gegen die Anschläge seiner Nachbarn zu decken, so wäre er auf beiden Seiten zu schwach gewesen. Frankreich hatte die pfälzische Erbfolge im Jahre 1733 dem Pfalzgrafen von Sulzbach verbürgt, um während seines Krieges am<57> Rheine der Neutralität des alten Kurfürsten sicher zu sein. Diese Garantie hätte den König nun zwar nicht abgehalten, denn gewöhnlich werden solche Zusagen ebenso rasch gegeben wie gebrochen. Aber Frankreichs Vorteil verlangte schwache Nachbarn an den Ufern des Rheins und keine mächtigen, widerstandsfähigen Fürsten. Fast zur selben Zeit erhielt Graf Seckendorff, der auf der Festung Graz gefangen saß, seine Freiheit unter der Bedingung wieder, daß er dem Kaiser sämtliche Befehle einhändigte, durch die dieser ihn ermächtigt hatte, dem verstorbenen König von Preußen die feierlichsten Zusicherungen zur Unterstützung der preußischen Ansprüche auf die Erbfolge in den Herzogtümern Jülich und Berg zu geben57-1.
Diese Darstellung zeigt, wie ungünstig die Umstände für das Haus Brandenburg lagen. Das bestimmte den König auch, sich an das provisorische Abkommen zu halten, das sein Vater mit Frankreich geschlossen hatte57-2. Aber wenn auch so triftige Gründe die Ruhmbegierde des Königs zügelten, so reizten ihn andre, nicht minder starke Beweggründe, beim Antritt seiner Regierung Beweise von Kraft und Entschlossenheit zu geben, um seinem Volke Achtung in Europa zu verschaffen. Allen guten Patrioten blutete das Herz wegen der geringen Rücksicht, welche die Mächte dem verstorbenen König besonders in seinen letzten Regierungsjahren bezeigt hatten, und wegen der Kränkungen, denen der preußische Name in der Welt ausgesetzt war. Gerade das hatte großen Einfluß auf das Vorgehen des Königs, und wir halten uns für verpflichtet, einiges Licht darüber zu verbreiten.
Die weise und vorsichtige Zurückhaltung war dem verstorbenen König als Schwäche ausgelegt worden. Im Jahre 1729 hatte er wegen einiger Kleinigkeiten einen Streit mit den Hannoveranern, der aber gütlich beigelegt wurde57-3. Kurz daraufkam es mit den Holländern zu ebenso unbedeutenden Zwistigkeiten, die gleichfalls eine friedliche Lösung fanden. Aus diesen beiden Beispielen der Mäßigung schlossen die Nachbarn und Neider, daß man den König ungestraft beleidigen könnte, daß er statt wirklicher Macht nur eine Scheinmacht, an Stelle erfahrener Offiziere nur Exerziermeister und statt tapfrer Soldaten nur Söldlinge hätte, die dem Staate wenig anhänglich wären, und daß er selbst den Hahn stets nur spannte, aber nie losdrückte. Die Welt, in ihren Urteilen oberflächlich und leichtsinnig, glaubte solches Gerede, und diese schmählichen Vorurteile verbreiteten sich rasch durch ganz Europa. Der Ruhm, nach dem der verstorbene König trachtete, war gerechter als der Ruhm der Eroberer. Sein Ziel war, sein Land glücklich zu machen, sein Heer zu disziplinieren und seine Finanzen mit Ordnung und weisester Sparsamkeit zu verwalten. Er vermied den Krieg, um nicht von so schönen Unternehmungen abgelenkt zu werden, und erhob sich so in der Stille zur Macht, ohne den Neid der Fürsten zu erregen. In seinen letzten Lebensjahren hatten körperliche Gebrechen seine Gesundheit völlig zerrüttet, und sein Ehrgeiz hätte<58> es nie zugelassen, seine Heere andern Händen als den seinen anzuvertrauen. Unter solchen Umständen war seine Regierung glücklich und friedlich gewesen.
Wäre die Meinung, die man von dem König hatte, nur ein Rechenfehler gewesen, die Welt wäre von ihrem Irrtum früher oder später bekehrt worden. Aber die Fürsten urteilten so ungünstig über seinen Charakter, daß seine Verbündeten auf ihn nicht mehr Rücksicht nahmen als seine Feinde. Ein Beweis dafür ist folgendes. Der Wiener und der russische Hof kamen mit dem verstorbenen König überein (1732), einen Prinzen von Portugal auf den polnischen Thron zu setzen. Plötzlich ließen sie das Projekt fallen und erklärten sich für den Kurfürsten August von Sachsen, hielten es aber für unter ihrer Würde, den König auch nur davon zu benachrichtigen. Kaiser Karl VI. hatte unter gewissen Bedingungen ein Hilfskorps von 10 000 Mann erhalten, das der verstorbene König im Jahre 1734 an den Rhein gegen die Franzosen sandte. Aber der Kaiser setzte sich selbst über seine ärmlichen Verpflichtungen hinweg. König Georg II. von England nannte den König „seinen Bruder Korporal“, hieß ihn den „König der Landstraßen und des römischen Reiches Erzsand streuer“. Das ganze Benehmen Georgs trug das Gepräge tiefster Verachtung. Die preußischen Offiziere, die auf Grund der Vorrechte der Kurfürsten in den Reichsstädten Soldaten anwarben, waren tausend Beschimpfungen ausgesetzt. Man nahm sie gefangen, schleppte sie in die Kerker zu den schlimmsten Verbrechern. Kurz, diese Übergriffe steigerten sich ins Unerträgliche. Ein armseliger Bischof von Lüttich suchte seine Ehre darin, den König zu kränken. Einige Untertanen der Herrschaft Herstall, die zu Preußen gehört, hatten sich aufgelehnt. Der Bischof nahm sie in Schutz58-1. Der König sandte den Obersten Kreytzen mit Vollmacht und Beglaubigungsschreiben nach Lüttich, um die Sache beizulegen. Aber der Herr Bischof dachte gar nicht daran, ihn zu empfangen. Drei Tage hintereinander sah er den Gesandten in den Hof seines Palastes kommen, und jedesmal versagte er ihm den Eintritt.
Dieses Geschehnis und noch viele andre, die ich der Kürze halber übergehe, zeigten dem König, daß ein Fürst sich selbst und vor allem seinem Volke Respekt verschaffen muß, daß die Mäßigung eine Tugend ist, die Staatsmänner in dieser verderbten Zeit nicht immer streng ausüben können, und daß es beim Thronwechsel nötiger war, Beweise von Entschlossenheit als von Sanftmut zu geben.
Um nun alles zusammenzufassen, was das Feuer eines jungen, eben auf den Thron gelangten Fürsten anfachen konnte, so sei noch hinzugefügt, daß Friedrich I., als er Preußen zum Königreich erhob, durch diese eitle Größe einen Keim des Ehrgeizes in seine Nachkommen legte, der früher oder später Früchte tragen mußte. Die Monarchie, die er seinen Nachkommen hinterließ, hatte, wenn ich mich so ausdrücken darf, etwas von einem Zwitterwesen an sich; sie glich mehr einem Kurfürstentum als<59> einem Königreiche. Es war ehrenvoll, diesem Zwitterzustand ein Ende zu machen, und das war sicherlich einer der Beweggründe des Königs bei den großen Unternehmungen, zu denen so vieles ihn reizte.
Hätten sich auch der Erwerbung des Herzogtums Berg nicht schier unüberwindliche Hindernisse entgegengestellt, so war der Gegenstand doch so gering, daß das Haus Brandenburg nur sehr wenig Gebietszuwachs gewonnen hätte. Dieser Gedanke lenkte den Blick des Königs auf das Haus Österreich. Nach dem Tode des Kaisers war die österreichische Erbschaft umstritten und der Kaiserthron ledig. Das war natürlich ein überaus günstiges Zusammentreffen wegen der wichtigen Rolle, die der König in Deutschland spielte, wegen der verschiedenen Ansprüche des sächsischen und bayrischen Hauses auf die österreichischen Erblande, wegen der Menge der Bewerber, die sich zur Kaiserkrone melden würden, und schließlich wegen der Politik des Versailler Hofes, der diese Gelegenheit natürlich ergreifen mußte, um aus den Wirren, deren Ausbruch nach dem Tode Kaiser Karls VI. unausbleiblich war, seinen Vorteil zu ziehen.
Dieses Ereignis ließ nicht lange auf sich warten. Kaiser Karl VI. beschloß sein Leben auf seinem Lustschloß Favorita am 26. Oktober 174059-1. Die Nachricht kam nach Rheinsberg, als der König dort am viertägigen Fieber krank lag. Die Ärzte, in alte Vorurteile verrannt, wollten ihm kein Chinin geben. Er nahm es gegen ihren Willen, denn er hatte Wichtigeres vor, als seine Genesung abzuwarten. Unverzüglich entschloß er sich, die schlesischen Fürstentümer, auf die sein Haus unbestreitbare Ansprüche hatte, zurückzufordern, und zugleich rüstete er sich, um seine Ansprüche, wenn es sein mußte, mit Waffengewalt durchzusetzen. Dieser Plan erfüllte ihn ganz und gar. Das war der Weg, sich Ruhm zu erwerben, die Macht des Staates zu vergrößern und die strittige Erbfolge im Herzogtum Berg zu erledigen. Jedoch bevor der König sich völlig entschloß, wog er erst ab, welche Gefahren bei dem Wagnis eines solchen Krieges drohten, und andrerseits, welche Vorteile davon zu erhoffen waren.
Auf der einen Seite stand das mächtige Haus Österreich, dem es bei seinem ausgedehnten Länderbesitz nicht an Hilfsquellen fehlen konnte; eine Kaisertochter, die, wenn sie angegriffen wurde, im König von England, in der Republik Holland, sowie in der Mehrzahl der Reichsfürsten, die sich alle für die Pragmatische Sanktion verbürgt hatten, Verbündete finden mußte. Der Herzog von Kurland, der damals Rußland regierte, stand im Solde des Wiener Hofes. Zudem konnte die junge Königin von Ungarn Sachsen an sich fesseln, wenn sie ihm ein paar Kreise von Böhmen abtrat. Was schließlich die Einzelheiten der Ausführung betraf, so mußte die Mißernte des Jahres 1740 die Errichtung von Magazinen und die Verpflegung der Truppen als kaum durchführbar erscheinen lassen. Die Gefahren waren groß. Die Unbeständigkeit des Waffenglücks war zu fürchten. Eine verlorene Schlacht konnte alles entscheiden. Der König hatte keine Bundesgenossen und konnte den alten, unter den<60> Waffen ergrauten österreichischen Soldaten, die in so vielen Feldzügen erprobt waren, nur unerfahrene Truppen entgegenstellen.
Andrerseits belebten zahlreiche Erwägungen die Hoffnungen des Königs. Der Wiener Hof befand sich nach des Kaisers Tode in der mißlichsten Lage. Die Finanzen waren in Unordnung, das Heer zerrüttet und mutlos geworden durch die Mißerfolge im Türkenkriege. Das Ministerium war uneins. Dazu denke man sich an der Spitze der Regierung eine junge unerfahrene Fürstin, die eine streitige Erbschaft verteidigen soll, und es ergibt sich leicht, daß diese Regierung nicht als furchtbar erscheinen konnte. Ferner war es unmöglich, daß der König keine Bundesgenossen fand. Die Eifersucht, die zwischen Frankreich und England herrschte, sicherte dem König notwendig eine dieser beiden Mächte. Außerdem mußten alle Bewerber um die Erbschaft des Hauses Österreich ihr Interesse mit dem seinen verknüpfen. Der König hatte eine Stimme zur Kaiserwahl zu vergeben. Er konnte sich bezüglich seiner Ansprüche auf das Herzogtum Berg entweder mit Frankreich oder mit Österreich vergleichen. Endlich war der Krieg, den er in Schlesien führen konnte, die einzige Art von Offensive, welche die Lage seiner Staaten begünstigte, weil er hier nahe an seinen Landesgrenzen blieb und durch die Oder eine stets sichere Verbindung behielt.
Vollends zu seiner Unternehmung bestimmt wurde der König durch den Tod der Kaiserin Anna von Rußland60-1, die bald nach dem Ableben des Kaisers starb. Die russische Krone fiel an den jungen Großfürsten Iwan, den Sohn einer mecklenburgischen Prinzessin und des Prinzen Anton Ulrich von Braunschweig, eines Schwagers des Königs von Preußen60-2. Aller Wahrscheinlichkeit nach mußte Rußland während der Minderjährigkeit des jungen Zaren mehr mit der Erhaltung der Ruhe im eignen Lande beschäftigt sein als mit der Pragmatischen Sanktion, die in Deutschland jedenfalls Unruhen hervorrufen mußte.
Hierzu kam ein schlagfertiges Heer, ein wohlgefüllter Kriegsschatz und vielleicht auch der Drang, sich einen Namen zu machen. Dies alles bewog den König von Preußen zu dem Kriege, den er an Maria Theresia von Österreich, Königin von Ungarn und Böhmen, erklärte.
Es schien eine Zelt der Veränderungen und Umwälzungen zu sein. Die Prinzessin von Mecklenburg-Braunschweig, die Mutter des Zaren Iwan, befand sich samt ihrem Sohne unter der Vormundschaft des Herzogs Biron von Kurland, dem die Kaiserin Anna auf ihrem Totenbette die Verwaltung des Reiches übertragen hatte. Allein die Prinzessin hielt es ihres Standes für unwürdig, einem andern zu gehorchen. Sie meinte als Mutter mehr Anrecht auf die Vormundschaft zu haben als Biron, der weder Russe noch Verwandter des Kaisers war. Geschickt nutzte sie den Ehrgeiz des Marschalls Münnich aus. Biron wurde gefangen gesetzt, dann tief nach Sibirien verbannt, und die Prinzessin von Mecklenburg bemächtigte sich der Regierung. Dieser <61>Umschwung schien vorteilhaft für Preußen; denn Biron, Preußens Feind, war verbannt, und der Gatte der Regentin, Anton Ulrich von Braunschweig, war des Königs Schwager. Aber die mecklenburgische Prinzessin hatte neben ihrem Verstande alle Launen und Fehler einer schlecht erzogenen Frau, und ihr Gatte war schwach, geistlos und besaß keinen andern Vorzug als instinktive Tapferkeit. Münnich, das Werkzeug ihrer Erhebung und Rußlands Heros, hatte zugleich die kaiserliche Macht in Händen. Der König von Preußen schickte Winterfeldt als Gesandten nach Rußland, angeblich, um den Prinzen von Braunschweig und seine Gemahlin zu dem guten Ausgang des Unternehmens zu beglückwünschen. Doch die wahre Ursache und der geheime Zweck dieser Sendung war, Münnich, Winterfeldts Schwiegervater, zu gewinnen und ihn für die Absichten, an deren Ausführung man gehen wollte, günstig zustimmen. Dies gelang Winterfeldt so gut, wie man es nur wünschen konnte.
Trotzdem man in Berlin alle Vorsicht anwandte, um die geplante Unternehmung geheimzuhalten, war es doch nicht möglich, Magazine anzulegen, Geschütze bereitzustellen und Truppen in Marsch zu setzen, ohne daß es gemerkt wurde. Das Publikum ahnte bereits, daß etwas vorging. Demeradt, der Kaiserliche Gesandte zu Berlin, schrieb warnend an seinen Hof, daß ein Gewitter im Anzuge sei, das sich sehr wohl gegen Schlesien entladen könnte. Der Staatsrat der Königin antwortete ihm aus Wien: „Wir wollen und können den von Euch gemeldeten Nachrichten keinen Glauben beimessen.“ Gleichwohl sandte man den Marchese Botta nach Berlin, um dem König zu seiner Thronbesteigung zu gratulieren, aber mehr noch, um zu erforschen, ob Demeradt nur blinden Lärm geschlagen hatte. Der Marchese Botta war schlau und scharfsinnig. Er merkte sofort, um was es sich handelte. Nachdem er in seiner Antrittsaudienz61-1 die üblichen Komplimente gemacht hatte, sprach er von den Unbequemlichkeiten der zurückgelegten Reise und erwähnte besonders die schlechten Wege in Schlesien, die durch Überschwemmungen so verdorben seien, daß man nicht durchkommen könnte. Der König tat, als verstände er das nicht, und antwortete, das Schlimmste, was den Reisenden auf solchen Wegen zustoßen könne, sei, sich zu beschmutzen.
So fest auch der König entschlossen war, den gefaßten Plan durchzuführen, so hielt er es doch für richtig, Versuche zum gütlichen Vergleich beim Wiener Hofe zu machen. Zu diesem Zwecke schickte er den Grafen Gotter nach Wien. Der sollte der Königin von Ungarn erklären: falls sie des Königs Ansprüche auf Schlesien anerkennen wolle, so biete er ihr nicht nur seinen Beistand gegen alle offenen und versteckten Feinde an, welche das Erbe Karls VI. zerstückeln wollten, sondern auch seine Stimme bei der Kaiserwahl für den Großherzog von Toskana. Da vorauszusehen war, daß dieses Anerbieten zurückgewiesen würde, so war Graf Gotter für diesen Fall ermächtigt, der Königin von Ungarn den Krieg zu erklären. Die Armee war flinker als der Ge<62>sandte. Sie rückte, wie man nachher sehen wird, zwei Tage eher in Schlesien ein, als Graf Gotter in Wien anlangte.
Zwanzig Bataillone und sechsunddreißig Schwadronen wurden gegen die schlesische Grenze in Bewegung gesetzt62-1; sechs Bataillone sollten nachfolgen, um die Festung Glogau einzuschließen. So schwach dieses Heer war, so schien es doch stark genug, um sich eines unverteidigten Landes zu bemächtigen. Auch gewann man dadurch den Vorteil, Magazine für den nächsten Frühling anlegen zu können, die eine größere Truppenzahl während des Winters aufgezehrt hätte. Bevor der König zum Heere abreiste, gab er dem Marchese Botta noch eine Audienz62-2 und sagte ihm das gleiche, was Graf Gotter in Wien erklären sollte. Botta rief aus: „Sire, Sie werden das Haus Österreich zugrunde richten, und sich selbst stürzen Sie mit in das Verderben.“ Der König erwiderte: „Es hängt nur von der Königin ab, die ihr gemachten Vorschläge anzunehmen.“ Da wurde der Marchese nachdenklich, faßte sich aber wieder und sagte, von neuem das Wort ergreifend, in ironischem Ton und mit spöttischer Miene: „Ihre Truppen sind schön, Sire, das gestehe ich. Unsere sehen nicht so schmuck aus, aber sie haben Pulver gerochen. Ich beschwöre Sie, bedenken Sie, was<63> Sie tun wollen.“ Der König ward ungeduldig und versetzte lebhaft: „Sie finden meine Truppen schön; bald sollen Sie zugeben, daß sie auch gut sind.“ Der Marchese versuchte noch einige Vorstellungen, um die Ausführung des Vorhabens aufzuhalten. Aber der König machte ihm begreiflich, daß es zu spät sei und daß er den Rubikon schon überschritten habe.
Da das ganze Projekt auf Schlesien jetzt bekannt wurde, so verursachte die kühne Unternehmung eine sonderbare Gärung in den Gemütern. Die schwachen und furchtsamen Seelen prophezeiten den Untergang des Staates. Andere glaubten, daß der König alles auf den Zufall setze und sich Karl XII. zum Muster nehme. Das Militär hoffte auf Glück und sah Beförderungen vor sich. Die Nörgler, die es ja überall gibt, neideten dem Staate die Vergrößerungen, die er sich verschaffen konnte. Der Fürst von Anhalt war wütend, daß nicht er diesen Plan entworfen hatte und nicht das erste Werkzeug bei dessen Ausführung war. Wie Jonas prophezeite er Unheil, das aber so wenig über Preußen kam wie einst über Ninive. Der Fürst betrachtete das kaiserliche Heer als seine Wiege. Auch fühlte er sich Kaiser Karl VI. verpflichtet, da dieser seiner Gattin63-1, einer Apothekerstochter, den fürstlichen Rang verliehen hatte. Zudem fürchtete er die Vergrößerung des Königs, die einen Nachbarn wie den Fürsten von Anhalt zum Nichts herabdrückte. Diese Gründe des Mißvergnügens veranlaßten ihn, Mißtrauen und Schrecken in alle Gemüter zu säen. Ja womöglich hätte er den König selbst gern eingeschüchtert. Aber dessen Entschluß stand felsenfest. Die Dinge waren auch schon zu weit gediehen, als daß man noch hätte zurückweichen können. Um indessen dem übeln Eindruck zu begegnen, den die Meinung eines so großen Heerführers wie des Fürsten von Anhalt bei den Offizieren hätte machen können, hielt der König es für gut, die Offiziere der Berliner Garnison vor seiner Abreise zu sich zu berufen und ihnen die folgende Ansprache zu halten:
„Meine Herren, ich unternehme einen Krieg, für den ich keine andern Bundesgenossen habe als Ihre Tapferkeit und Ihren guten Willen. Meine Sache ist gerecht, und ich vertraue auf mein Glück. Bleiben Sie stets des Ruhmes eingedenk, den Ihre Vorfahren sich erwarben auf den Feldern von Warschau, von Fehrbellin und auf dem Zuge nach Preußen. Ihr Schicksal ruht in Ihren eignen Händen; Auszeichnungen und Belohnungen warten nur darauf, daß Sie sie durch glänzende Taten verdienen. Aber ich brauche Sie nicht erst zum Ruhme anzufeuern. Er allein steht Ihnen vor Augen, nur er ist das würdige Ziel Ihres Strebens. Wir werden Truppen angreifen, die unter dem Prinzen Eugen die Bewunderung der Welt errungen haben. Zwar ist dieser Prinz nicht mehr; aber unsere Siege werden darum nicht weniger ruhmvoll sein, da wir uns mit seinen braven Soldaten zu messen haben werden. Leben Sie wohl! Brechen Sie auf zum Rendezvous des Ruhmes, wohin ich Ihnen ungesäumt folgen werde.“
<64>Der König verließ Berlin nach einem großen Maskenball und kam am 14. Dezember in Krossen an. Ein Zufall wollte, daß gerade an diesem Tage ein mürbes Seil, woran die Glocke der Domkirche hing, zerriß. Die Glocke stürzte herab, und man sah darin eine schlechte Vorbedeutung; denn im Herzen des Volkes herrschten noch abergläubische Vorstellungen. Um den üblen Eindruck auszulöschen, legte der König dieses Vorzeichen in günstigem Sinne aus. Er sagte, der Sturz der Glocke bedeute, daß das Hohe erniedrigt werden solle; und da das Haus Österreich unvergleichlich viel höher stände als das brandenburgische, so sähe man aus diesem Zeichen deutlich, daß Preußen den Sieg davontragen würde. Wer das Volk kennt, weiß, daß solche Begründungen hinreichen, um es zu überzeugen.
Am 16. Dezember rückte das Heer in Schlesien ein. Die Truppen bezogen Kantonnementsquartiere, teils, weil gar kein Feind da war, teils, weil die Jahreszeit nicht erlaubte, zu kampieren. Auf ihrem Wege verteilten sie eine Darstellung der Rechtsansprüche des Hauses Brandenburg auf Schlesien. Zugleich wurde ein Manifest veröffentlicht, das im wesentlichen besagte, Preußen nähme die Provinz in Besitz, um sie vor den Einfällen eines Dritten zu sichern, woraus deutlich hervorging, daß man sie nicht gütlich verlassen würde. Das bewirkte, daß Volk und Adel Schlesiens den Einmarsch der Preußen nicht für einen feindlichen Überfall hielten, sondern für eine Hilfeleistung, wie sie ein Nachbar seinem Bundesgenossen erweist. Auch trug die Religion, dieses geheiligte Vorurteil des Volkes, dazu bei, die Gemüter preußisch zu machen; denn zwei Drittel der Einwohner Schlesiens sind Protestanten, die nach der langjährigen Bedrückung durch den österreichischen Fanatismus den König als einen vom Himmel gesandten Erlöser begrüßten.
Wenn man längs der Oder vorrückt, so ist die erste Festung, die man antrifft, Glogau. Die Stadt liegt am linken Flußufer. Sie ist von mäßigem Umfang und<65> mit einem schlechten Walle umgeben, der nur zum kleinsten Teile armiert ist. Der Graben war an mehreren Stellen passierbar; die Kontreeskarpe war größtenteils zerstört. Da die strenge Jahreszeit eine regelrechte Belagerung verbot, so begnügte man sich, die Stadt einzuschließen. Außerdem war das schwere Geschütz noch nicht angelangt. Der Wiener Hof hatte dem Gouverneur der Festung, Wenzel Wallis, strikten Befehl gegeben, die Feindseligkeiten nicht zuerst zu eröffnen. Er glaubte, daß eine Zernierung keine Belagerung sei, und ließ sich ruhig in seinen Wällen einschließen.
Seit dem Belgrader Frieden war der größte Teil des österreichischen Heeres in Ungarn verblieben. Auf die Nachricht vom Einbruch der Preußen ward General Browne nach Schlesien geschickt, wo er kaum 3 000 Mann zusammenraffen konnte. Er versuchte Breslau einzunehmen, aber sowohl List wie Gewalt war vergebens. Die Stadt genoß ähnliche Vorrechte wie die Reichsstädte. Sie war eine kleine Republik, von ihrem eignen Rate regiert und frei von jeder Besatzung. Die Liebe zur Freiheit und zum lutherischen Glauben bewahrte die Bürger vor dem Elend des Krieges. Sie widerstanden dem Andringen des Generals Browne, der am Ende aber doch seinen Zweck erreicht hätte, wäre der König nicht eiligst angerückt, um ihn zum Rückzug zu nötigen. Der Erbprinz von Anhalt65-1 war inzwischen mit sechs Bataillonen und fünf Schwadronen vor Glogau eingetroffen und löste die Blockadetruppen ab; und der König brach unverzüglich mit den Grenadieren seiner Armee, sechs Bataillonen und zehn Schwadronen nach Breslau auf. Nach viertägigem Marsche stand er vor den Toren der Hauptstadt, indeß Feldmarschall Schwerin am Fuße der Berge entlang über Liegnitz, Schweidnitz und Frankenstein marschierte, um diesen Teil Schlesiens vom Feinde zu säubern.
Am 1. Januar 1741 bemächtigte sich der König ohne Widerstand der Vorstädte Breslaus und ließ die Stadt durch die Obersten von Borcke und von Goltz65-2 zur Übergabe auffordern. Zugleich gingen einige Truppen über die Oder und lagerten sich auf der Dominsel. Hierdurch war der König Herr beider Ufer des Flusses und schloß die mit Lebensmitteln schlecht versehene Stadt tatsächlich ein, sodaß sie sich zu Unterhandlungen verstehen mußte. Dazu kam, daß die Stadtgräben zugefroren waren und die Bürgerschaft einen allgemeinen Sturm gewärtigen mußte. Der Eifer für die lutherische Sache kürzte alle Weitläufigkeiten der Unterhandlung ab. Ein begeisterter Schuster65-3 überredete das gemeine Volk, steckte es mit seiner Schwärmerei an und wiegelte es dazu auf, den Rat zur Unterzeichnung eines Neutralitätsvertrages mit Preußen65-4 zu zwingen und die Stadttore zu öffnen. Sobald der König in die Hauptstadt eingezogen war, setzte er alle im Dienste der Königin von Ungarn stehenden Beamten ab. Dieser Machtstreich vereitelte alle geheimen Machenschaften, welche diese alten Diener des Hauses Österreich hätten unternehmen können, um dem preußischen Interesse entgegenzuarbeiten.
<66>Nachdem dies erledigt war, ging eine Abteilung Infanterie über die Oder, um aus Namslau eine österreichische Besatzung von 300 Mann zu vertreiben, die sich vierzehn Tage später kriegsgefangen gab. Der König ließ nur ein Regiment Infanterie in den Vorstädten von Breslau zurück und marschierte auf Ohlau, wohin Browne den Obersten Formentini mit 400 Mann geworfen hatte. Diese Stadt, so genannt nach einem Flüßchen, das an ihren Mauern vorbeifließt, war mit einem alten, halbverfallenen Wall und mit einem trockenen Graben umgeben; das Schloß, das ein wenig fester ist, läßt sich nur mit Geschütz einnehmen. Während man sich zu einem allgemeinen Sturm auf das elende Nest anschickte, kapitulierte es66-1. Die Garnison löste sich beim Ausmarsch auf, und es blieben dem Kommandanten nur noch 120 Mann, mit denen er nach Neiße geschickt ward. In Brieg stand eine feindliche Besatzung von 1 200 Mann. Um dieses sowie die übrigen Plätze zu blockieren, wurde General von Kleist mit fünf Bataillonen und vier Schwadronen detachiert.
Während der König die festen Plätze längs der Oder eingenommen oder eingeschlossen hatte, war Feldmarschall Schwerin in Frankenstein angelangt. Als er sich der Neiße näherte, welche Ober- und Niederschlesien trennt, stieß er auf die Liechtensteinischen Dragoner, die er bis nach Ottmachau trieb. Das dortige bischöfliche Schloß deckt eine Brücke über die Neiße. General Browne warf zur Sicherung seines Rückzuges drei Kompagnien Grenadiere in das Schloß. Feldmarschall Schwerin schloß sie ein. Am Tage danach stieß der König mit Mörsern und einigen Zwölfpfündern zu ihm. Sobald die Batterien in Stellung waren, ergab sich Major Müffling, der Kommandant der Besatzung, auf Gnade und Ungnade (12. Januar).
Nun blieb nur noch die Stadt Neiße einzunehmen, die stärker war als alle anderen. Die Stadt liegt jenseits der Neiße und ist mit einem sehr guten Erdwall und mit einem Graben von sieben Fuß Wassertiefe befestigt. Ringsum ist flaches, sumpfiges Gelände, das der Kommandant Roth unter Wasser gesetzt hatte. Auf der niederschlesischen Seite wird die Festung von einer Anhöhe, die 800 Schritte entfernt liegt, beherrscht. Da die strenge Jahreszeit förmliche Belagerungsarbeiten nicht zuließ, so blieb zur Einnahme des Platzes nichts als Sturm, Bombardement oder Blockade. Den Sturm hatte Roth unmöglich gemacht. Er ließ jeden Morgen den Graben aufeisen und den Wall mit Wasser begießen, welches sofort gefror. Die Bastionen und Zwischenwerke hatte er mit vielen Palisaden und Sensen versehen, um die Angreifer aufzuhalten. So mußte man auf den Sturm verzichten. Man versuchte die Stadt zu bombardieren; man warf 1 200 Bomben und 3 000 Brandkugeln hinein — umsonst! Die Standhaftigkeit des Kommandanten nötigte die Preußen, das Unternehmen aufzugeben und Winterquartiere zu beziehen. Zu gleicher Zeit kehrte Oberst Camas, der zu einem Handstreich auf Glatz abgeschickt worden war, zur Armee zurück. Ihm war infolge falscher Maßregeln sein Streich mißglückt.
<67>Während die Preußen sich um Neiße lagerten, rückte Feldmarschall Schwerin mit sieben Bataillonen und zehn Schwadronen in Oberschlesien ein und vertrieb den General Browne aus Jägerndorf, Troppau und dem Schlosse Gräz. Die Österreicher zogen sich nach Mähren zurück; die Preußen nahmen ihre Quartiere hinter der Oppa und dehnten sich bis nach Jablunka an der ungarischen Grenze aus.
Während dieser Kriegsereignisse unterhandelte Graf Gotter in Wien, mehr, um den diplomatischen Formen zu genügen, als in der Hoffnung, etwas auszurichten. Er hatte eine ziemlich nachdrückliche Sprache geführt, die wohl jeden andern Hof als den Karls VI. hätte einschüchtern können. Aber die Hofschranzen der Königin von Ungarn erklärten hochmütig, einem Fürsten, dessen Amt als Erzkämmerer es sei, dem Kaiser das Waschbecken zu halten, käme es nicht zu, der Kaisertochter Gesetze vorzuschreiben. Um dies österreichische Gerede zu übertrumpfen, hatte Graf Gotter die Dreistigkeit, dem Großherzog von Toskana einen Brief zu zeigen, den der König an ihn geschrieben hatte und in dem es hieß: „Will der Großherzog sich zugrunde richten, so möge er es tun!“ Der Großherzog schien dadurch erschüttert. Aber da ergriff Graf Kinsky, Kanzler von Böhmen, der Hochmütigste Mann an diesem eitlen Hofe, das Wort. Er erklärte alle Vorschläge des Grafen Gotter als beleidigend für die Ehre der Nachfolger der Cäsaren, flößte dem Großherzog wieder Mut ein und trug mehr als alle andern Minister zum Abbruch der Verhandlungen bei.
Europa war erstaunt über den unerwarteten Einfall in Schlesien. Die einen hielten diese Schilderhebung für Unbesonnenheit, die andern erklärten sie für Tollheit. Der englische Gesandte Robinson zu Wien behauptete, der König von Preußen verdiente politisch exkommuniziert zu werden.
Zur gleichen Zeit, wo Graf Gotter nach Wien abreiste, sandte der König Winterfeldt nach Rußland67-1. Der fand dort den Marchese Botta, der mit der ganzen Lebhaftigkeit seines Charakters die Interessen des Wiener Hofes verfocht. Indessen behielt in diesem Falle der gesunde Menschenverstand des Pommern die Oberhand über die italienische Arglist, und es gelang Winterfeldt mit Hilfe des Feldmarschalls Münnich, ein Verteidigungsbündnis mit Rußland abzuschließen67-2. Das war das Günstigste, was man unter so kritischen Umständen verlangen konnte.
Nachdem die Truppen ihre Winterquartiere bezogen hatten, verließ der König Schlesien und kehrte nach Berlin zurück, um für den nächsten Feldzug die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Eine Verstärkung von 10 Bataillonen und 25 Schwadronen ward der Armee nachgesandt; und da die Absichten von Sachsen und Hannover zweideutig schienen, so wurde beschlossen, bei Brandenburg 30 Bataillone und 40 Schwadronen unter dem Befehl des Fürsten von Anhalt zusammenzuziehen, um die Haltung dieser Nachbarstaaten zu beobachten. Der Fürst von Anhalt<68> wählte Göttin68-1 als den geeignetsten Ort für sein Lager; von dort konnte er sowohl die Sachsen wie die Hannoveraner in Schach halten.
Die meisten Fürsten tappten noch im Dunkeln. Sie konnten nicht erraten, wie sich der Knoten lösen würde. Die Sendung des Grafen Gotter nach Wien und andrerseits der Einmarsch der preußischen Truppen in Schlesien gab ihnen ein Rätsel auf, und sie bemühten sich zu ergründen, ob Preußen der Bundesgenosse oder der Gegner der Königin von Ungarn war. Von allen Mächten Europas war Frankreich unstreitig die geeignetste, um Preußen in seinem Unternehmen beizustehen. Die Franzosen hatten so viele Ursachen zur Feindschaft gegen Österreich, daß ihr eigner Vorteil sie bestimmen mußte, für den König von Preußen Partei zu ergreifen. Der König hatte, um das Terrain zu sondieren, an den Kardinal Fleury geschrieben und die Hauptsache zwar nur leicht berührt, aber doch genug gesagt, um verstanden zu werden. Der Kardinal ging in seiner Antwort68-2 schon mehr mit der Sprache heraus und erklärte geradezu: „Die Bürgschaft der Pragmatischen Sanktion, welche Ludwig XV. dem verstorbenen Kaiser gegeben hätte, verbände ihn zu nichts wegen des einschränkenden Zusatzes: unbeschadet der Rechte eines Dritten; zudem hätte der verstorbene Kaiser den Hauptartikel dieses Vertrages nicht erfüllt, worin er sich anheischig gemacht hätte, Frankreich die Garantie des Reiches für den Wiener Vertrag zu verschaffen.“ Der übrige Inhalt des Briefes war eine ziemlich heftige Deklamation gegen den Ehrgeiz Englands, eine Lobrede auf Frankreich und auf die Vorteile eines Bündnisses mit ihm, nebst ausführlicher Darlegung der Gründe für die Erhebung des Kurfürsten von Bayern auf den Kaiserthron. Der König setzte den Briefwechsel fort. Er sprach dem Kardinal seinen aufrichtigen Wunsch aus, sich mit dem allerchristlichsten König zu verbinden, und versicherte ihn seiner Bereitwilligkeit, diese Unterhandlung aufs schnellste zu beenden.
Auch Schweden wollte in den bevorstehenden Unruhen eine Rolle spielen. Es war mit Frankreich verbündet und hatte auf dessen Antrieb Truppen unter dem General Buddenbrock nach Finnland geschickt. Dieses Korps erregte die Eifersucht Rußlands und beschleunigte Rußlands Bündnis mit Preußen. Freilich wäre diese Allianz fast ebensobald zerrissen, wie sie geschlossen worden war. Der König von Polen hatte den schönen Grafen Lynar68-3 nach Petersburg gesandt. Der Graf gefiel der mecklenburgischen Prinzessin, der Regentin von Rußland; und da die Neigungen des Herzens auf die Beschlüsse des Verstandes wirken, so war die Regentin bald mit dem König von Polen verbündet. Diese Leidenschaft hätte für Preußen ebenso verhängnisvoll werden können wie die Liebe des Paris und der schönen Helena für Troja. Aber eine Staatsumwälzung, über die wir später berichten werden, kam dem zuvor.
Die größten Feinde des Königs von Preußen waren, wie gewöhnlich, seine nächsten Nachbarn. Die Könige von Polen und England schlossen im Vertrauen auf die In<69>trigen, die Lynar in Rußland spann, ein Angriffsbündnis miteinander69-1, worin sie die preußischen Provinzen unter sich verteilten. Im Geiste verzehrten sie bereits den Raub, und während sie gegen den Ehrgeiz des jungen Nachbarfürsten wetterten, schwelgten sie schon im Genuß seines Erbes, in der Hoffnung, daß Rußland und die Reichsfürsten sich mit ihnen zum Gelingen ihrer ehrgeizigen Pläne zusammentun würden. Diesen Augenblick hätte der Wiener Hof wahrnehmen müssen, um sich mit dem König zu vergleichen. Hätte die österreichische Regierung ihm damals das Fürstentum Glogau abgetreten, so wäre der König zufrieden gewesen und hätte ihr gegen alle ihre andern Feinde beigestanden. Allein nur selten wissen die Menschen zur rechten Zeit nachzugeben oder festzubleiben.
Das Signal zum Kriege war also für Europa gegeben. Überall wurde sondiert, unterhandelt und intrigiert, um sich zu einigen und Bündnisse zu schließen. Aber keine Macht hatte ihre Truppen bereit, keine hatte Zeit gehabt, Magazine anzulegen, und der König benutzte diese Krisis zur Ausführung seiner großen Pläne.
57-1 Vgl. S. 4. Seckendorff erhielt durch Maria Theresia seine Freiheit am 6. November 1740 wieder.
57-2 Nach dem Abkommen vom 5. April 1739 sollte Preußen einen Teil des Herzogtums Berg, aber ohne die Hauptstadt Düsseldorf, erhalten.
57-3 Vgl. S. 4.
58-1 Georg Ludwig von Berghes, Bischof von Lüttich, beanspruchte die Lehnshoheit über die Grafschaft Herstall, die zur oranischen Erbschaft gehörte und 1732 in preußischen Besitz gelangt war; er unterstützte den Widerstand der Einwohner gegen Preußen.
59-1 Vielmehr am 20. Oktober; am 26. erhielt der König die Nachricht.
60-1 Am 28. Oktober 1740.
60-2 Vgl. S. 5.
61-1 Am 6. Dezember 1740.
62-1 Anfang Dezember 1740.
62-2 Am 9. Dezember 1740.
63-1 Anna Luise Föhse, 1701 zur Reichsfürstin erhoben.
65-1 Leopold Maximillian.
65-2 Vielmehr Graf Posadowsky.
65-3 Namens Döblin.
65-4 3. Januar 1741.
66-1 8. Januar 1741.
67-1 Vgl. S. 6. 61.
67-2 Am 27. Dezember 1740. Botta reiste erst am 28. aus Berlin nach Petersburg ab.
68-1 Bei Brandenburg.
68-2 Issy, 25. Januar 1741.
68-3 Vgl. S. 6. 7.
69-1 Gemeint ist der im Februar 1741 geplante Vertrag zwischen der Königin von Ungarn, England, Rußland, den Generalstaaten und dem König von Polen; nach Artikel X dieses Vertrages sollte Preußen in der Tat unter die genannten Mächte aufgeteilt werden. Aber die Ratifikation stieß auf Schwierigkeiten.