<271>

Anhang

Denkwürdigkeiten (1746)

Vorwort

Viele haben Geschichte geschrieben, aber sehr wenige haben die Wahrheit gesagt. Die einen wollten Anekdoten berichten, die sie nicht kannten, und sie dachten sich welche aus. Andere haben ein Flickwerk aus Zeitungsnachrichten gemacht. Sie haben Bände zusammengeschrieben, die nichts als formlose Anhäufungen von Gerüchten und Volksaberglauben enthalten. Wieder andere haben weitschweifige und abgeschmackte Kriegstagebücher verfaßt. Schließlich hat die Schreibwut einige Autoren verführt, die Geschichte von Ereignissen zu schreiben, die etliche Jahrhunderte vor ihrer Geburt stattfanden. In diesen Romanen sind die wichtigsten Tatsachen kaum wiederzuerkennen: die Helden denken, reden und handeln wie der Verfasser, und was der erzählt, sind Hirngespinste und nicht die Taten derjenigen, deren Leben er berichten soll. Alle diese Bücher verdienen es nicht, auf die Nachwelt zu kommen. Und doch ist Europa mit ihnen überschwemmt, und es gibt Leute, die töricht genug sind, ihnen Glauben zu schenken. Außer dem klugen de Thou271-1, Rapin de Thoyras271-2 und höchstens zwei bis drei anderen besitzen wir nur schwache Geschichtschreiber. Man muß sie mit verdoppelter, skeptischer Aufmerksamkeit lesen und zwanzig Seiten voller Fehlschlüsse überschlagen, bevor man nur eine anziehende Tatsache oder eine Wahrheit findet. Wahr zu sein, ist in der Geschichtschreibung also viel; es ist aber nicht alles. Man muß auch unparteiisch sein, mit Wahl und Urteil schreiben und vor allem die Dinge mit philosophischem Blick betrachten und prüfen.

In der Überzeugung, daß es nicht irgendeinem Pedanten noch einem Benediktiner, die im 19. Jahrhundert zur Welt kommen werden, zustehe, die Menschen unseres Zeitalters, unsere Verhandlungen, unsere Intrigen, unsere Kriege und Schlachten<272> und all die großen Ereignisse zu schildern, die in unseren Tagen die große Bühne des europäischen Theaters geziert haben, glaubte ich, daß es mir als Zeitgenossen und Mitwirkendem zukäme, meinen Nachfolgern von den Umwälzungen Rechenschaft zu geben, die ich auf der Welt sich vollziehen sah und an denen ich einigen Anteil hatte. Dir, künftiges Geschlecht, widme ich dieses Werk! Nur mit leichten Strichen will ich in ihm das skizzieren, was die fremden Mächte betrifft, und mich um so ausführlicher mit dem beschäftigen, was Preußen angeht, da es sich unmittelbar auf mein Haus bezieht, das die Eroberung Schlesiens als die Epoche seiner Erhöhung betrachten kann.

Dieses Stück Geschichte, das ich schreiben will, ist um so schöner, als es voller Ereignisse ist, die den Stempel der Größe und Eigenart tragen. Ja, ich wage zu behaupten: seit dem Untergange des römischen Reiches verdient keine Geschichtsepoche so viel Beachtung wie die des Todes Kaiser Karls VI., des letzten Habsburgers im Mannesstamm, die jene berühmte Liga oder vielmehr jene Verschwörung so vieler Könige zum Sturze des Hauses Habsburg hervorrief.

Ich werde nichts ohne Beweise behaupten. Die Archive sind meine Gewähr. Die Berichte meiner Minister, die Briefe von Königen, Herrschern und die einiger großer Männer an mich sind meine Beweise. Hin und wieder stütze ich mich auf das einstimmige Zeugnis verschiedener zuverlässiger Leute; anders läßt die Wahrheit sich nicht ermitteln. Die Darstellung meiner Feldzüge wird nur eine Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse sein; aber ich werde den unsterblichen Ruhm, den viele Offiziere sich erworben haben, nicht verschweigen: ihnen widme ich diesen schwachen Versuch als ein Denkmal meiner Dankbarkeit. Die gleiche Kürze nehme ich mir für das politische Gebiet vor; doch werde ich die Züge, die den Geist des Zeitalters und der verschiedenen Völker kennzeichnen, sorgfältig wahren. Ich werde Gegenwart und Vergangenheit miteinander vergleichen, denn nur durch Vergleichung bildet sich das Urteil. Ich werde mir herausnehmen, Europa unter allgemeinen Gesichtspunkten zu betrachten und alle seine Staaten und Mächte am geistigen Auge vorüberziehen zu lassen. Hin und wieder werde ich auch auf kleine Einzelheiten eingehen, aus denen die größten Dinge entstanden sind.

Da ich nur für die Nachwelt schreibe, so werde ich mich durch keine Rücksicht auf das Publikum, durch keine Schonung behindern lassen. Ich werde ganz laut aussprechen, was viele nur im stillen denken, werde die Fürsten so schildern, wie sie sind, ohne Vorurteile gegen meine Feinde und ohne Parteilichkeit für meine Verbündeten. Von mir werde ich nur da reden, wo es unvermeidlich ist. Nicht jeder Hochstehende verdient die Beachtung künftiger Zeiten. Solange ein König lebt, ist er der Abgott seines Hofes; die Großen beweihräuchern ihn, die Dichter besingen ihn; das Publikum fürchtet ihn oder liebt ihn nur mäßig. Ist er tot, so kommt die Wahrheit zutage, und oft rächt sich die Scheelsucht dann allzu streng an den seichten Schmeicheleien, mit denen man ihn bei Lebzeiten umgab.

<273>

Der Nachwelt steht das Urteil über uns alle nach unserm Tode zu; während unseres Lebens müssen wir uns selbst beurteilen. Sind unsre Absichten lauter, lieben wir die Tugend, trägt unser Herz nicht die Mitschuld an den Irrtümern unseres Geistes und sind wir überzeugt, daß wir unserm Volke all das Gute getan haben, das wir ihm tun konnten, so muß uns das genügen.

Man wird in diesem Werke von geschlossenen und wieder gebrochenen Bündnissen hören. Dazu muß ich bemerken, daß wir von unsern Mitteln und Fähigkeiten abhängen: wenn unsre Interessen wechseln, so müssen wir uns mit ihnen ändern. Unser Amt ist es, für die Wohlfahrt der Völker zu sorgen. Finden wir, daß in einem Bündnis Gefahr oder Unsicherheit für sie liegt, so müssen wir es brechen, um sie zu schützen; da opfert der Herrscher sich selbst zum Wohle seiner Untertanen. Die Annalen der Weltgeschichte liefern zahllose Beispiele dafür, und man kann in der Tat nicht anders handeln. Die Leute, die dieses Verhalten so heftig verurteilen, sehen in dem gegebenen Wort etwas Heiliges. Sie haben recht, und als Privatmann denke ich wie sie. Denn ein Mensch, der einem andern sein Wort verpfändet, muß es halten, selbst wenn er unbesonnen ein Versprechen geleistet hat, dessen Erfüllung ihm Schaden bringen muß; denn die Ehre geht über den Vorteil. Ein Fürst aber, der sich verpflichtet, tut das nicht für sich selbst; sonst wäre er ja in der Lage des Privatmanns. Er setzt große Staaten und weite Provinzen tausendfachem Unglück aus; es ist also besser, der Herrscher bricht seinen Vertrag, als daß das Volk zugrunde geht. Was würde man von einem Chirurgen sagen, der einen brandigen Arm aus dem lächerlichen Bedenken nicht amputieren wollte, weil das Abschneiden eines Armes eine unrechte Handlung ist? Sieht man denn nicht ein, daß es viel schlimmer ist, einen Menschen umkommen zu lassen, wenn er noch zu retten wäre? Ich wage zu behaupten: es sind die Umstände einer Handlung, alles, was sie begleitet und was aus ihr folgt, wonach man sie als gut oder schlecht beurteilen soll. Aber wie wenige urteilen so aus der Kenntnis der Ursachen! Die Menschheit ist eine Herde. Sie folgt blindlings ihrem Führer, und wenn ein geistreicher Mann ein Wort sagt, so sprechen es tausend Toren ihm nach.

Ich kann es mir nicht versagen, hier noch einige allgemeine Gedanken über die großen Ereignisse anzufügen, die ich beschreibe. Ich finde, in den mächtigsten Staaten herrscht mehr Unordnung als in den kleinen; trotzdem erhält sich die Maschine durch ihre Größe in Gang, und man wird der inneren Mißstände nicht gewahr. Ich mache die Beobachtung, daß die Fürsten, die ihre Waffen zu weit über ihre Grenzen hinaustragen, stets Unglück haben; denn sie können diese weit vorgeschobenen Truppen nicht ergänzen, noch ihnen zu Hilfe kommen. Ich mache die Beobachtung, daß alle Nationen tapferer sind, wenn sie für den heimischen Herd fechten, als wenn sie ihre Nachbarn angreifen. Sollte das nicht an einem uns zur Natur gewordenen Grundsatz liegen, nach dem es gerecht ist, sich zu verteidigen, nicht aber seinen Nachbarn anzufallen? Ich sehe, daß die französische und spanische Flotte der englischen nicht widerstehen können, und ich

II 18<274> wundere mich, daß die spanische Seemacht zur Zeit Philipps II. der englischen und holländischen ganz allein überlegen war. Ich bemerke mit Verwunderung, daß alle diese Rüstungen zur See keine andere Wirkung haben, als daß sie den Handel, den sie schützen sollen, vernichten. Auf der einen Seite steht der König von Spanien, Herr von Peru, aber in Europa verschuldet an alle Beamten der Krone, ja an die Hofbediensteten und die Arbeiter von Madrid; auf der andern die englische Nation, die mit vollen Händen die Guineen vergeudet, die sie durch dreißigjährigen Gewerbfleiß verdient hat. Ich sehe, wie die Pragmatische Sanktion halb Europa die Köpfe verdreht, wie die Königin von Ungarn ihre Provinzen zerstückelt, um deren Unteilbarkeit zu sichern. Der Krieg, der in Schlesien ausbricht, wird zum Weltbrand, und seine Schrecklichkeit wächst in dem Maße, wie er um sich greift. Die Hauptstadt der Welt steht dem ersten besten offen; der Papst segnet die, welche ihm Kriegssteuern aufbürden; er wagt seinen Bannstrahl nicht gegen sie zu schleudern, und Italien wird unterjocht und geht verloren. Das Glück ist launisch; keine Macht erfreut sich dauernden Wohlergehens; rasch kommen die Rückschläge nach den Erfolgen. Wie ein wütender Bergstrom reißt England die Holländer in seinem Laufe mit, und diese besonnenen Republikaner, die ihre Deputierten zur Führung der Heere entsandten, als die größten Männer Europas, ein Prinz Eugen, ein Marlborough, an deren Spitze standen, schicken jetzt niemanden hin, wo der Herzog von Cumberland und der Fürst von Waldeck mit der Heerführung betraut werden274-1. Auch der Norden fängt Feuer, und es entbrennt ein für Schweden verhängnisvoller Krieg; Dänemark regt sich, murrt und beruhigt sich wieder; nur Polen bleibt unberührt, weil es in seiner Ohnmacht keine Eifersucht erweckt. Sachsen wechselt zweimal die Partei274-2; beide Male wird sein Ehrgeiz enttäuscht: zuerst geht es leer aus; dann wird es zu Boden geschmettert. Das verhängnisvollste jedoch ist das furchtbare Blutvergießen: Europa gleicht einem Schlachthause; überall sieht man blutige Schlachten, als hätten die Fürsten beschlossen, die Welt zu entvölkern. Die Verwickung der Ereignisse hat die Gründe zum Kriege verändert: die Wirkungen dauern fort, obgleich die eigentlichen Ursachen verschwunden sind. Ich glaube einen Haufen Spieler zu sehen, die in ihrer Leidenschaft die Partie erst dann aufgeben, wenn sie alles verloren oder ihre Gegner zugrunde gerichtet haben. Fragte man einen englischen Minister: „Warum führt ihr den Krieg weiter?“ so würde er antworten: „Weil Frankreich die Kosten für den nächsten Feldzug nicht mehr aufbringen kann.“ Stellte man die gleiche Frage einem Franzosen, so lautete die Antwort ganz ähnlich. Behielte auch eine von beiden Parteien recht, so muß man sich doch fragen, ob die Eroberung von zwei, drei Grenzplätzen und einem kleinen Landstrich, ob eine geringe Grenzerweiterung noch als Erfolg angesehen werden kann, wenn man die ungeheuren Kosten dagegenhält, die der Krieg verschlungen hat, die<275> Steuerlast der Völker, durch welche die gewaltigen Summen aufgebracht werden mußten, und vor allem das Blut so vieler Tausende, mit dem diese Eroberungen erkauft sind? Wen rührte nicht das Schicksal so vieler Unglücklicher, welche die Opfer dieses verhängnisvollen Zwistes sind? Geht einem aber schon das Unglück eines Privatmanns zu Herzen und hegt man schon Mitleid mit einer ganzen Familie, die ein Schicksalsschlag ins Elend stürzt, wieviel größer muß dann die Teilnahme sein, wenn man die Katastrophen der blühendsten Reiche und der mächtigsten Monarchien Europas sieht? Ja, das ist die schönste Lehre der Mäßigung, die man jemandem geben kann. Durch Betrachtung der Klippen, der Schiffbrüche und der Trümmer auf dem Wege des Ehrgeizes öffnet man das Ohr der Stimme der Erfahrung, die uns zuruft: „Könige, Fürsten, künftige Herrscher! Möge die Sage von Ikarus, die uns die Bestrafung des Ehrgeizes vor Augen führt, euch immerdar von dieser unersättlichen, wilden Leidenschaft abhalten!“

Mehr noch: wenn der große Ludwig XIV. wundersame Schicksalsschläge erfuhr, wenn Karl XII. beinahe seine Staaten einbüßte, wenn König August in Polen entthront und sein Sohn in Sachsen abgesetzt ward275-1, wenn der Kaiser275-2 aus seinen Erblanden vertrieben ward, welcher Sterbliche dürfte sich dann gleichen Schicksalen überlegen fühlen und sein Glück aufs Spiel setzen gegen die Ungewißheit aller Ereignisse, die Dunkelheit der Zukunft und gegen jene unberechenbaren Zufälle, welche die Weisheit der tiefsten und geistvollsten Pläne in einem Augenblicke vernichten? Die Geschichte der Begehrlichkeit ist die Schule der Tugend: der Ehrgeiz erzeugt Tyrannen, die Mäßigung Weise!

<276>

Erläuterung zur nebenstehenden Tafel

Eröffnung des Ballfestes, das die europäischen Mächte im großen Saale Deutschland abgehalten haben (1742)

Dieser außerordentliche Ball war vom Oberzeremonienmeister Lord Fleury (1) so hübsch erdacht und angelegt, daß die hohen Herrschaften der Einladung des Zeremonienmeisters Belle-Isle (2) anstandslos entsprachen.

Der Kurfürst von Bayern, als zu erwählender Kaiser, gab den Ball und bezahlte füglich die Musik. Die katholischen Kurfürsten von Mainz (3), Trier (4) und Köln (5) dirigierten die Musik; und obwohl die beiden ersteren wegen ihres hohen Alters schwerhörig waren, so schwang der letzte den Taktstock doch so trefflich, daß man keine falschen Töne merkte, trotzdem mehrere schlechte Instrumente da waren, weil jeder der kleinen Fürsten und Staaten (6), welche die Musikanten abgaben, das in seinem Lande übliche Instrument spielte, mit dem er sich auszuzeichnen hoffte.

Wiewohl jeder wußte, daß die Königin von Ungarn (7) Ballkönigin war, wußten doch manche nicht, wer ihr Partner sein würde, bis Seine Majestät von Preußen (8) als Erster erschien, ihr die Hand reichte und den Ball eröffnete. Als sie sich ein wenig ausruhen wollten, bot der König von Schweden (9) einer russischen Dame die Hand; doch anstatt einer sah man zwei erscheinen, und jede beanspruchte den Tanz. Aber die eine (Elisabeth) (10) machte die andre (Anna) (11) so verwirrt, daß diese es für angezeigt hielt, den Ball zu verlassen.

Hiernach tanzten die Könige von Frankreich (12) und von Polen (13), die Kurfürsten von Bayern und der Pfalz (14) ihrem Range nach mit der Königin von Ungarn. Aber sie tanzten nicht so flott wie der König von Preußen und ermüdeten rascher, besonders der Kurfürst von Bayern (15), dem der Schweiß ausbrach. Man will wissen, daß die Königin von Ungarn englisches Goldpulver einnimmt, das sie derart kräftigt, daß sie die anderen halbtot tanzen kann, zumal sie sich anfangs schont und nicht so stark hüpft wie ihre Tänzer.

Die Könige von England (16) und von Spanien (17) belustigten sich derweil mit englischen Tänzen; aber da diese ihm zu lange dauerten, so wünschte der (altersschwache) König von Spanien, daß man aufhören sollte. Um so mehr bemühte sich seine Gemahlin276-1 (18), sich im Tanzen hervorzutun, und da ihr niemand rasch genug die Hand bot, so tanzte sie solo die „Folie d'Espagne“. Wie man glaubt, wird der König von Sardinien, ihr Landsmann, auch mit ihr allein eine Sarabande tanzen.

Ihre Söhne (19), von denen der eine, der König beider Sizilien276-2, auf Kosten des verstorbenen Kaisers tanzen gelernt hat, während Don Philipp es auf Kosten der Königin von Ungarn erlernen soll, bleiben Zuschauer und tanzen (wenn sie nicht genötigt werden) nur ein Menuett zu vieren mit ihrer Frau Mutter und ihrem Herrn Oheim276-3. Der Großherzog von Toskana konnte nicht tanzen, weil die neuen Schuhe, die er kurz vor Beginn des Balles aus Frankreich bekommen hatte, ihn drückten und er sich vor Hühneraugen fürchtete; inzwischen hält er seiner Gemahlin, wenn sie tanzt, das Gleichgewicht.

Die Könige von Dänemark (20) und Portugal (21) müssen wohl keine Freunde der Tanzkunst sein und werden sich anscheinend nur als Zuschauer beteiligen, ebenso einige andre Herrschaften, welche die gleiche Absicht hegen, falls man sie nicht außerordentlich bittet ober ein feierlicher Fackeltanz befohlen <277>wird; dann werden sie mittanzen. König Stanislaus (22), der nur Polonaisen kann, hält sich abseits und wird keine Sprünge mehr machen, wofern man ihn nicht dazu zwingt. Der extravagante König Theodor von Korsika (23) erschien als Harlekin und machte solche Fratzen und Luftsprünge, daß mehrere der Herrschaften sich vor Lachen ausschütteten; so belustigten sie sich darüber. Plötzlich verschwand er; man glaubt aber, ihn bald mit einer andern Maske auf dem Balle wiederzusehen.

Der Papst (24), der Tanz, Spiel und andere Eitelkeiten für Sünde hält, predigt gewaltig dagegen, aber niemand hört ihm zu, und als man ihm zuflüsterte, am Schlusse des Balles würde der König von Preußen mit der Königin von Ungarn vielleicht die Restitution277-1 tanzen, was viel Staub aufwirbeln dürfte, schlug er ein Kreuz. Der Türkenkaiser (25) hätte gern an dem Balle teilgenommen, hätte er nicht noch einen großen Tanz mit dem Luftspringer Chouli-Kan (26) zu bestehen gehabt, wozu er alle seine Kräfte braucht. Sonst hätte er wahrscheinlich der Königin von Ungarn und der Regentin von Rußland eine orientalische Verbeugung gemacht.

Im Nebensaal halten die Venezianer (27) die Bank, an der, wie man glaubt, der König von Sardinien beteiligt ist; und obgleich der Herzog von Modena (28) als Croupier fungierte, so merkte man doch an der Anordnung des Spieles, daß die Bank weder verlor noch gewann. Unter den Personen, die setzten, verlor der König von Frankreich beträchtlich; man sah seine Louisdors den andern Spielern zurollen, zu denen sich einige englische, schwedische, holländische und polnische Minister gesellt hatten; die schwedischen hatten erkleckliche Summen vor sich liegen. Trotzdem hofft der König von Frankreich, ohne Einbuße aus dem Spiele davonzukommen oder seine Verluste bei einem neuen Balle einzubringen, der diesem folgen soll und der weit prächtiger ausfallen wird. Zu diesem Zweck wird er selbst die Bank halten, oder der Oberzeremonienmeister Fleury (ein halber Geschäftsmann und schlau bis in die Fingerspitzen) wird die Karten auflegen. Man zweifelt daher nicht, daß er sie so gut mischen wird, daß sein König das Verlorene mit Wucherzins zurückgewinnt.

Man weiß noch nicht, wer das nächste Mal Ballkönig sein und die Musik bezahlen wird.

Wie es heißt, nimmt der Herzog von Holstein (29) gegenwärtig in Petersburg Tanzstunden, um beim nächsten Balle mitmachen zu können. Die russischen Tanzlehrer haben freilich bisher keine regelrechten Tanzstunden gegeben; das hat die Regentin Anna erfahren, die nur in Rußland tanzen gelernt und sich durch einen Fehltritt arg verletzt hat. Deshalb soll ihr kleiner Sohn Iwan bis zu seiner Großjährigkeit in Deutschland tanzen lernen.


271-1 Vgl. S. 12.

271-2 Paul de Rapin-Thoyras († 1725), französischer Geschichtsschreiber.

274-1 Während des Österreichischen Erbfolgekrieges.

274-2 Im Ersten Schlesischen Kriege verbündete sich Sachsen zunächst (Februar 1741) mit Österreich, trat dann (August 1741) auf Frankreichs Seite und schloß sich im Dezember 1743 abermals dem Wiener Hofe an.

275-1 August II. wurde 1704 in Polen entthront; die Angabe einer Absetzung Augusts III. in Sachsen beruht auf Irrtum.

275-2 Karl VII.

276-1 Elisabeth Farnese.

276-2 Don Carlos.

276-3 Karl Emanuel III. von Sardinien.

277-1 Anspielung auf Säkularisation der Kirchengüter.