<121> Fortschritte der Krankheit so reißend, ihre Wirkungen so plötzlich, daß sie einen Menschen innerhalb dreier Tage ins Grab brachte. Umsonst wandte man alle Arten von Heilmitteln an. Endlich griff man zu Brechmitteln, und damit hatte man Erfolg. Man löste drei Gran davon in einem Maß Wasser auf und gab es den Kranken zu trinken, bis das Mittel zu wirken anfing. Damit wurde man der Krankheit Herr; denn seit man so verfuhr, starben von hundert Leuten, die das Mittel einnahmen, kaum drei. Ohne Zweifel kam die Krankheit nur von der Hemmung der Transpiration durch die Kälte und von Verdauungsbeschwerden infolge schlechter Ernährung, sodaß hier nur starke Entleerungen und keine anderen Arzneien helfen konnten. Trotz der großen Verluste in den Lazaretten brachte man doch im Laufe des Winters die zur Komplettierung des Heeres nötigen Rekruten größtenteils zusammen. Freilich konnte man sie im Frühjahr nicht gleich ins Feld schicken; denn es waren meist Bauern, die erst einexerziert und geschult werden mußten. Außerdem begann der Feldzug sehr früh.
In diesem Jahre verlor das Königshaus die Königin-Mutter1. Der König erhielt die Trauerkunde nach der Schlacht von Kolin, gerade zu einer Zeit, wo sich das Glück am deutlichsten gegen Preußen erklärt hatte. Die Nachricht traf ihn schwer, denn er hatte die Königin stets als zärtliche Mutter verehrt. Ihre Tugenden und großen Eigenschaften wurden von allen bewundert, die das Glück hatten, ihr näher zu treten. So verursachte denn ihr Tod keine zeremonielle Trauer, sondern allgemeinen Kummer. Die Großen verloren in ihr einen gefälligen und huldreichen Umgang, die Geringen entbehrten ihre milde Güte, die Armen ihre Zuflucht, die Unglücklichen ihre Hilfe, die Gelehrten ihre Beschützerin, und alle Familienmitglieder, die die Ehre hatten, ihr näher zu stehen, glaubten einen Teil ihrer selbst verloren zu haben und fühlten sich durch den Schlag, der sie der Welt entriß, stärker getroffen als sie selbst.
Nicht das gleiche kann man von der Königin von Polen2 behaupten. Sie starb in Dresden, gehaßt vom Volke wegen ihrer Intoleranz, vom Hofe wegen ihrer Intrigensucht, von ihrer Familie wegen ihrer puritanischen Strenge. Nur von den Jesuiten wurde sie wie eine Heilige betrachtet, weil sie im Mittelpunkt der Ketzerei eine katholische Kirche3 erbaut hatte. In Dresden behauptete man, das Tedeum der Schlacht bei Roßbach habe sie getötet, da es ihren Haß gegen Preußen noch verschärfte und sie diesen Haß doch unterdrücken mußte. Die wahre Ursache ihres Todes war indes ein Abszeß, der plötzlich in ihrer Brust aufging. Als die Todesnachricht nach Warschau kam, hatte Graf Brühl Anstalten getroffen, den König beim Empfang der Botschaft zur Ader zu lassen. Der aber hörte sie mit Gleichmut an und antwortete dem Grafen Brühl, das wäre kein Anlaß zum Aderlassen. Viel stärker traf ihn der Tod eines seiner Hofnarren, namens Joseph, der bald darauf starb. Man vermochte den König nur dadurch zu trösten, daß man ihn auf die Jagd führte.
1 Sophie Dorothea († 28. Juni 1757).
2 Maria Josepha († 17. November 1757).
3 Die katholische Hofkirche in Dresden, erbaut 1737—1756.