5. Kapitel
Der Winter von 1756 auf 1757.
Der Einfall der Preußen in Sachsen erregte in Europa großes Aufsehen. Mehrere Höfe, die die Gründe nicht kannten, ja sie nicht einmal wissen wollten, mißbilligten und tadelten das Vorgehen des Königs von Preußen. König August III. jammerte über die Gewalttätigkeit der Preußen. Seine Gesandten an den auswärtigen Höfen übertrieben die Leiden Sachsens und entstellten und verleumdeten die harmlosesten Schritte des Königs von Preußen. Sein Notschrei tönte in Versailles, in Petersburg, in ganz Europa wider. Ludwig XV. war ohnedies gekränkt, daß der König von Preußen, statt den Vertrag von Versailles zu erneuern, die Westminsterkonvention mit dem König von England geschlossen hatte1. Einerseits stachelten die österreichischen Minister die französische Nation zum Kriege in Deutschland auf, andrerseits benutzte man die Tränen der Dauphine2, um das Mitleid Ludwigs XV. zu erregen, damit er Partei für den König von Polen ergriffe. Der Allerchristlichste König gab diesem stürmischen Drängen nach und beschloß, in den deutschen Krieg einzugreifen, schob die Ausführung seines Vorhabens aber hinaus, um einen passenden, scheinbar triftigen Vorwand zu finden. Zu diesem Zwecke beauftragte er Graf Broglie, den französischen Gesandten in Sachsen, den Preußen Anlaß zu geben, ihn in seiner Würde zu beleidigen. Einen geeigneteren Mann zur Entzweiung der beiden Höfe hätte man schwerlich gefunden. Der ihm erteilte Auftrag erklärt sein merkwürdiges Benehmen während der Einschließung der Sachsen im Lager von Pirna. Er war in Dresden zurückgeblieben, versuchte aber verschiedentlich, sich zum König von Polen nach Struppen zu begeben. Trotzdem das allgemein verboten war, wollte er sich den Weg durch die Wachen erzwingen, um sich Tätlichkeiten von ihrer Seite zuzuziehen. Doch sein Bemühen, durch die Postenkette zu dringen, war umsonst. Alle seine Unternehmungen wurden mit großer Höflichkeit und Bestimmtheit vereitelt. Er konnte weder den König von Polen erreichen, noch den leisesten Vorwand zu einem Bruch zwischen Frankreich und Preußen herbeiführen. Da riß dem Versailler Hof die Geduld. Ohne weiteres schickte er Knyphausen, den
1 Vgl. S. 33.
2 Maria Josepha, Gemahlin des Dauphins Ludwig, Tochter König Augusts III.