2. Entwürfe zu den Kriegsmanifesten
I
Entwurf eines Manifestes gegen Österreich165-1
(Juli 1756)
Seit dem Ausbruch der Zwistigkeiten in Amerika zwischen Frankreich und England165-2 droht Europa, insbesondere Deutschland, ein Krieg mit all dem Elend, das er nach sich zieht. Der König von Preußen hat als einer der vornehmsten Reichsfürsten keine Mühe gescheut, den Sturm zu beschwören. Namentlich in der Absicht, Deutschland vor den Plagen eines Krieges zu behüten, hat Seine Majestät einen Neutralitätsvertrag mit dem König von England geschlossen165-3. Es war anzunehmen, daß der Kaiser als Reichsoberhaupt zu einem für das gemeinsame Vaterland so heilsamen Zweck beitragen müßte. Jedoch ergriff der Wiener Hof aus weiterhin zu erörternden Gründen ganz andre Maßregeln. Er schloß ein Defensivbündnis mit dem französischen Hofe165-4, und da er hierdurch Flandern und Italien gesichert wußte, glaubte er den König von Preußen angreifen zu können, wider Treu und Glauben der Verträge und trotz der feierlichen Versprechungen und Garantien für Schlesien, die dem König im Frieden von Aachen gegeben worden. Auch damit noch nicht zufrieden, hat der Wiener Hof seit dem Aachener Frieden nicht aufgehört, Rußland gegen Preußen aufzustacheln. Er war es, der die Abberufung der Gesandten veranlaßt165-5. Er verstand es, beide Höfe durch unwürdige Täuschungen völlig zu entzweien, wiewohl es im Grunde keine Streitfragen zwischen ihnen gibt. Er war es, der die Kaiserin von Rußland zu fortwährenden kriegerischen Demonstrationen an der preußischen Grenze<166> veranlaßte, in der Hoffnung, der Zufall würde eine Gelegenheit zum offenen Bruch zwischen beiden Mächten herbeiführen.
Soviel von seinen geheimen Machenschaften. Was die Vorgänge im Angesicht der ganzen Welt betrifft, so ist durch den Breslauer Frieden festgesetzt, daß beide Kontrahenten ihre gegenseitigen Handelsbeziehungen auf dem Fuße von 1739 belassen und künftig versuchen sollen, die Interessen ihrer Staaten durch eine von beiden Höfen eingesetzte Kommission zu regeln. Ein andrer Artikel bestimmte, daß beide Mächte die auf Schlesien ruhenden Schulden nach Maßgabe ihres beiderseitigen Besitzanteils tilgen sollen. Beides mußte gleichzeitig geregelt werden. Aber der Wiener Hof hat unter Nichtachtung der Verträge auf alle schlesischen Erzeugnisse einen Zoll von 30 Prozent gelegt. Obwohl mehrere preußische Kommissare während ihres Aufenthalts in Wien Vorstellungen erhoben, hat der Wiener Hof jede Art von gütlicher Schlichtung ausgeschlagen, ja kurz nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages den Zoll auf alle schlesischen Waren auf 60 Prozent erhöht.
Diese Tatsachen werden hierdurch zur öffentlichen Kenntnis gebracht, damit jedermann über das Benehmen des Wiener Hofes Bescheid weiß. Alle Mächte, die mit dem Wiener Hof über Interessenfragen zu verhandeln hatten, werden in solchen Zügen dessen gewohntes Verfahren erkennen. Jetzt, wo der Wiener Hof sich mit einer der Mächte verbündet hat, die den Westfälischen Frieden garantiert haben, glaubt er, er könne ungestraft alle Reichsgesetze übertreten, die evangelische Freiheit unterdrücken, seinen Despotismus in Deutschland aufrichten, die souveränen Fürsten zu Vasallen im Stil böhmischer Grafen machen, kurz, den Plan ausführen, den Kaiser Ferdinand II. verwirklicht hätte, wäre nicht ein Herzog von Richelieu und ein König Gustav Adolf von Schweden gewesen.
Das Wiener Ministerium glaubt, wenn es erst den König von Preußen gedemütigt habe, werde das übrige ihm leicht fallen. Demzufolge hat es sich zur Ausführung seines Vorhabens gerüstet. Seit dem Frühjahr haben starke Aushebungen stattgefunden; die Kavallerie hat Remonten erhalten. Im Mai wurde bestimmt, daß ein Lager von 60 000 Mann in Böhmen und eins von 40 000 Mann in Mähren errichtet werden sollte. Große Vorräte an Kriegsmunition sind in Prag und Olmütz angehäuft worden. Im Juni erfolgte ein Ausfuhrverbot für Getreide; die Kriegskommissare erhielten Befehl, sich über die Ankäufe mit dem Lande zu verständigen. Im Juli wurden Truppen aus Ungarn nach jenen Lagern geschickt. Das Kriegskommissariat hat bereits mit der Anlage von Magazinen an der sächsischen Grenze begonnen. Da große Heere zusammengezogen, Magazine errichtet und irreguläre Truppen aufgebracht werden, so ist es offenbar, daß dies nicht zur Bildung von Friedenslagern geschieht, wie es seit dem letzten Kriege Brauch ist, sondern zum Angriff auf den König von Preußen und, wenn möglich, zum plötzlichen Überfall. Der Angreifer ist aber nicht der, der den ersten Schuß tut, sondern der, der den Plan faßt, seinen Nachbarn anzugreifen, und dies offen durch seine drohende Haltung kundgibt.
<167>Da der König sich also am Vorabend eines Angriffs von seiten der Kaiserin-Königin sieht, hielt er es im Interesse seiner Würde und Sicherheit für geboten, einem Feinde zuvorzukommen, der ihm und dem ganzen Deutschen Reiche den Untergang geschworen hat. Der König hält sich für berechtigt zum Gebrauch der Macht, die ihm der Himmel gegeben hat, um Gewalt der Gewalt entgegenzusetzen, die Anschläge seiner Feinde zu vereiteln und die Sache des Protestantismus und der deutschen Freiheit vor den Unterdrückungsgelüsten des Wiener Hofes zu schirmen.
II
Entwurf des Manifestes gegen Sachsen167-1
(Juli 1756)
Bei der Handlungsweise des Königs von Preußen vor und nach dem Dresdner Frieden lag es nahe, daß der König von Polen und Kurfürst von Sachsen jede Gelegenheit wahrnehmen würde, um mit Seiner Majestät in gutem Einverständnis zu leben. Um Seiner Majestät von Polen Beweise seiner Freundschaft zu geben, bot der König seinen ganzen Einfluß auf, um Frankreich der Heirat der Prinzessin von Sachsen mit dem Dauphin geneigt zu machen167-2. Indes trat genau das Gegenteil von dem ein, was man erwarten mußte. Ein Minister, der zu allem fähig ist, hat nicht nur die inneren Verhältnisse in Sachsen heillos verwirrt, sondern auch seinen Herrn sehr zur Unzeit mit einem Nachbar verfeindet, der ihn nach der Schlacht bei Kesselsdorf mehr geschont hatte, als es Preußens Vorteil erheischte. Ohne uns in zwecklosen Deklamationen zu ergehen, wollen wir lediglich die Tatsachen sprechen lassen.
<168>Der Dresdner Hof erfuhr als einer der ersten von dem zu Petersburg geschlossenen Vertrage168-1. Am 19. Februar 1750 schreibt Graf Brühl an General Arnim, damaligen sächsischen Gesandten in Rußland, der König sei bereit, dem Petersburger Vertrage einschließlich der Geheimartikel beizutreten, wolle jedoch erst abwarten, bis der König von England als Kurfürst von Hannover ihm beigetreten sei und die beiden Kaiserrinnen sich darüber geeinigt hätten, welche Hilfe Sachsen im Notfalle zu erwarten habe und welcher Anteil an der Beute ihm zufallen werde. Schöne Ausdrücke, die der Schreiber gebraucht, und recht kennzeichnend für den Geist des sächsischen Hofes! In demselben Schreiben wird Herrn von Arnim eingeschärft, Rußlands Eifersucht und Mißtrauen gegen Preußens Macht geschickt zu nähren und alle Maßnahmen, die gegen die preußische Krone getroffen würden, zu billigen und zu loben. Ende 1752 — Auszug aus einem Schreiben — schärft Graf Brühl dem Gesandten ein, den Russen einzublasen, daß sie den Beschwerden der Polen über Kurland168-2 prompt abhelfen müßten, damit dies Herzogtum nicht einem unruhigen, ehrgeizigen Nachbarn zur Beute fiele. Man mußte den König fürwahr für sehr ausgehungert halten, um seine Begehrlichkeit auf Kurland auszudehnen!
Die Schreiben vom 6., 15. und 20. Februar 1754 enthalten nichts als Nachrichten des Grafen Brühl an die Petersburger Minister über die Maßnahmen, die der König in Preußen bezüglich des Handels, der Münze und der Heeresrüstungen traf, Maßregeln, die nach Brühls Worten dahin abzielten, den Handel von Danzig zu vernichten und sich jenes Gebiet anzueignen.
Es ist unnötig, hier alle Machenschaften aufzuführen, die Graf Brühl im Jahre 1753 in Rußland, in Wien, in Paris und London anläßlich der Frage der Steuerscheine168-3 anzettelte. Alle seine Lügen, Täuschungen und Verleumdungen gegen den König von Preußen sind so scheußlich, daß man seine Feder durch ihre Wiedergabe zu beschmutzen fürchtet. In seiner Mäßigung wollte der König seine Rechte und die Interessen seiner Untertanen der Ruhe Europas opfern. Er entsagte dem einzigen Vorteil, den er durch den Dresdner Frieden erlangt hatte, und ließ seine Rechtsansprüche auf Bezahlung fallen168-4.
Aber all die erwähnten schwarzen Taten reichen noch nicht an die schmähliche Verschwörung heran, die die Sachsen neben allen übrigen Intrigen, auch den österreichischen, in Rußland anzettelten. In der Sitzung des Petersburger Staatsrates vom 14. und 15. Mai168-5 1753 wurde als Grundlage der Politik der Plan aufgestellt,<169> den König von Preußen bei der ersten sich bietenden Gelegenheit mit überlegenen Kräften zu zerschmettern, um ihn — so lautete der Ausdruck des Originals — auf seine ursprüngliche bescheidene Stellung herabzudrücken. Wir geben alle diese Kraftausdrücke ohne Abschwächung und ohne Veränderung ihrer vornehmen Fassung wieder. Die Schreiben des Grafen Brühl vom 16. Juli und 3. Dezember 1753, sowie vom 9. April 1754 enthalten nichts als hämische Unterstellungen über die angeblichen Absichten des Königs auf Polnisch-Preußen und Hinweise, wie nötig es für den russischen Hof sei, stets ein starkes Heer in Livland und Kurland zu halten. Im August169-1 fand wieder ein großer Staatsrat in Petersburg statt, ähnlich dem schon erwähnten. Dort wurde kraft der Allmacht, die der Himmel jenem Hof verliehen hatte, der König in Acht und Bann erklärt. Das russische Ministerium bittet das sächsische, zum Trost für die Untätigkeit, in der es verharrt, den Augenblick abzuwarten, wo der Ritter in den Sand geworfen sei, um ihm den Gnadenstoß zu geben. Darauf antwortete Brühl in einem Schreiben vom 11. November 1755 an Herrn Funcke169-2: „Die Beschlüsse dieser großen Staatsratssitzung sind für Rußland doppelt glorreich, da der gemeinsamen Sache nichts förderlicher sein kann, als die vorherige Festsetzung der wirksamen Mittel zur Vernichtung der übermäßigen Macht Preußens und des unzweifelhaften Ehrgeizes dieses Staates.“
Das Schreiben vom 23. November 1755 an denselben Gesandten lautet wörtlich, wie folgt: „Das Ergebnis der großen, in Petersburg abgehaltenen Staatsratssitzung hat uns sehr befriedigt. Die vertrauliche Mitteilung darüber, die Rußland an alle seine Verbündeten machen möge, wird zur Vereinbarung aller entsprechenden Vorkehrungen und Maßnahmen führen. Man darf es Sachsen nicht verübeln, wenn es angesichts der Übermacht seines Nachbars mit äußerster Vorsicht zu Werke geht und vor allem abwartet, bis es seiner Alliierten und der Mittel zum Handeln sicher ist.“ Das heißt auf gut Deutsch: „Ich bin zu feige, mit meinem Gegner zu kämpfen, aber wenn er am Boden liegt, will ich ihn gern ermorden und meinen Teil an der Beute haben.“
Schließlich lautet das Schreiben vom 23. Juni 1756 an den Gesandtschaftssekretär in Petersburg169-3, wie folgt: „Die Aussöhnung zwischen den Höfen von Berlin und Petersburg wäre das Entsetzlichste, was geschehen könnte. Er (Brühl) hoffte, Rußland werde so hassenswerten Vorschlägen kein Ohr leihen, und der Wiener Hof werde Mittel und Wege zur Verhütung einer so verhängnisvollen Einigung finden.“
Seit der Bruch zwischen den Höfen von Berlin und Wien wahrscheinlich geworden ist, hat Graf Brühl vollends die Fassung verloren. Der König ließ fünf Regimenter nach Pommern marschieren169-4. Daraufhin zetern die Sachsen in Paris, in Wien und in Petersburg, Preußen mache so drohende Bewegungen an seinen Grenzen, daß man<170> ganz Europa zu den Waffen rufen müsse. Diese Bewegungen würden für Sachsen zur ernsten Gefahr. Die sächsischen Truppen werden an der böhmischen Grenze zusammengezogen, um zu den Österreichern zu stoßen.
Das Verhalten der Königin von Ungarn zwingt den König zum Bruche mit ihr. Welche Partei Sachsen ergreifen wird, ist nach den Vorgängen von 1744/45 nicht zweifelhaft. Jetzt aber, wo die Denkweise des Grafen Brühl zutage liegt und man sieht, daß in dem Tun und Lassen dieses Mannes, der seinen Herrn unbeschränkt beherrscht, nur Ränke, Lügen und Verruchtheit walten, bleibt dem König kein anderer weiser und sicherer Entschluß, als die sächsischen Truppen zu entwaffnen und sie für den weiteren Verlauf des Krieges unschädlich zu machen.
165-1 Auf die entscheidende Nachricht vom Marsche der ungarischen Kavallerieregimenter nach Böhmen und Mähren, die am 16. Juli 1756 eintraf, entschloß sich König Friedrich zur ersten Anfrage in Wien, die am 18. erging (vgl. S. 37 und 175). In der Erwartung des bevorstehenden Kriegsausbruches verfaßte er damals auch den obigen „Entwurf eines Manifestes“, den er aber noch mehrmals umarbeitete. Für die endgültige Fassung vgl. S. 179 ff.
165-2 Vgl. S. 30 ff.
165-3 Vgl. S. 33.
165-4 Am 1. Mai 1756 (vgl. S.34).
165-5 Vgl. S. 23.
167-1 Das obige „Manifeste saxoniensis“, wie König Friedrich es nannte, entstand in denselben Tagen wie der „Entwurf eines Manifestes gegen Österreich“ (vgl. S. 165). Den im „Manifest“ enthaltenen Mitteilungen aus den sächsischen Dokumenten liegt eine Zusammenstellung zugrunde, die der Geheime Legationsrat Ewald Friedrich von Hertzberg auf Befehl des Königs vom 20. Juli 1756 aus den Abschriften des Kanzlisten Menzel (vgl. S. 22 und 36) anfertigte. Als sich im August nochmals die Aussicht auf Erhaltung des Friedens — sei es durch eine befriedigende Erklärung Maria Theresias, sei es durch einen Umschwung in Rußland — zu bieten schien, ließ Friedrich durch den Kabinettsminister Graf Finckenstein ein neues Manifest entwerfen, das die Besetzung Sachsens mit den üblen Erfahrungen der Jahre 1744 und 1745 begründete und die Versicherung enthielt, daß er Sachsen nur als Depositum behalten, im Frieden aber seinem rechtmäßigen Herrn ungeschmälert zurückgeben werde. Die Auszüge aus den Dokumenten blieben darin fort. Sie bildeten mit den Archivalien, die nach dem Einmarsch in Sachsen dem Dresdener Archiv entnommen wurden (vgl. S. 43), den Grundstock für die von Hertzberg verfaßte und im Oktober 1756 veröffentlichte Rechtfertigungsschrift der preußischen Schilderhebung (vgl. S. 43 Anm. 1).
167-2 Die Vermählung der Prinzessin Maria Josepha mit dem Dauphin Ludwig erfolgte am 9. Februar 1747.
168-1 Vom 2. Juni 1746 zwischen Petersburg und Wien (vgl. S. 23).
168-2 Kurland war polnischer Vasallenstaat. Rußland weigerte sich, den seit Ende 1740 nach Sibirien verbannten Herzog Biron (vgl. S. 156 Anm. 1) zurückzuberufen.
168-3 Nach Artikel XI des Dresdner Friedens mußten die Forderungen preußischer Untertanen an die sächsische Steuerkasse, sobald sie fällig waren, ohne Abzug und unbedingt befriedigt werden.
168-4 Durch die Hubertusburger Konvention vom 3. November 1753 wurde bestimmt, daß die noch in preußischen Händen befindlichen Steuerscheine sofort vorgelegt und später nicht mehr zur Bezahlung angenommen werden sollten.
168-5 Alten Stiles.
169-1 Vielmehr im Oktober 1755.
169-2 Der Nachfolger Arnims in Petersburg.
169-3 Prasse.
169-4 Vgl. S. 36.