4. Denkschrift für England173-1
(Juli 1756)
Nach all den zuverlässigen Nachrichten, die wir über die Absichten der Österreicher und ihre Intrigen in Rußland und Frankreich erhalten haben173-2, bleibt dem König zu seiner Sicherung nichts andres übrig, als seinen Feinden zuvorzukommen. Der König hat Kenntnis von den Bewegungen der russischen Truppen173-3. Durch diese Nachrichten glaubt er sich für den Winter vor all ihren schlimmen Absichten sicher. Er fordert vom König von England keinerlei Hilfe. Will dieser ihm im nächsten Jahre ein Geschwader für die Ostsee stellen, so wird der Londoner Hof den Berliner Hof dadurch aufs neue zu Dank verpflichten. Glaubt der König von England seine Flotte anderswo nötig zu haben, insbesondere zur Verteidigung seiner Insel, so verzichtet der König auf diese Hilfe. Ja, er will aus Freundschaft für den König von England den Beginn seiner Operationen bis Ende August, ungefähr bis zum 24., aufschieben, damit die Franzosen in diesem Jahre weder den Vorwand noch die Möglichkeit zum Einmarsch in Deutschland haben173-4.
Der König von England wird gebeten, diese Zeit gut zu nutzen, die Holländer zur Vermehrung ihrer Landmacht um 30 000 Mann anzutreiben und selbst Hilfstruppen in Dienst zu nehmen173-5, 4 000 Mann von Gotha, 6 000 von Darmstadt, 5 000 von Braunschweig und 8 000 Hessen, den Bayern Subsidien zu zahlen, 3000 Ansbacher zu ihnen stoßen zu lassen und seine eignen Truppen im Kurfürstentum Hannover auf 22 000 Mann zu bringen. Alles zusammen würde eine Armee von mindestens 74 000 Mann ausmachen. Rückt diese Armee im nächsten Frühjahr ins Herzogtum Berg und gelingt es ihr unter Beschränkung auf die Defensive, das Vordringen der Franzosen zu hemmen, sei es im Kurfürstentum Köln, sei es in der Pfalz, so könnte sie alle Absichten unsrer Feinde vereiteln und zugleich das Darmstädtische, Hessen,<174> Franken, Westfalen und Holland decken. Sie stände bereit, jedem von diesen Staaten, wenn ihm ein französischer Einfall drohte, zu Hilfe zu kommen, und sicherte das Kurfürstentum Hannover und alle Besitzungen der Reichsfürsten. Entblößt Frankreich seine Küsten am Ärmelkanal, um eine Invasionsarmee aufzustellen, so kann die englische Flotte das benutzen, um Landungen an den unverteidigten Küsten vorzunehmen und die Franzosen längs der Bretagne und Normandie zu beunruhigen. Bleiben aber alle jene Truppen an den Küsten, so kann Frankreich am Rheine eine Armee von höchstens 50 000 Mann aufstellen. Dann haben die Alliierten die Oberhand, können die Franzosen am Rheine in Schach halten, und die gemeinsame Sache gewinnt in den gegenwärtigen kritischen Zeiten soviel wie durch gewonnene Schlachten.
Dieser Plan verdient Beachtung. Zu seiner Ausführung ist kein Augenblick zu verlieren. Es gilt, von Stund an zu arbeiten, um mit Beginn des Frühjahrs 1757 schlagfertig zu sein. Das ist das einzige Mittel zur Fortsetzung des Krieges und die einzige Aussicht auf guten Erfolg. Bleiben wir mit verschränkten Armen stehen, so werden wir einer nach dem andern zermalmt, weil wir die Vorteile nicht ausgenutzt haben, die wir von der Gunst der Zeit und unserer Wachsamkeit erwarten durften. Es ist also kein Augenblick zu verlieren! Der König, der eine mächtige Liga gegen sich geschlossen sieht, ist der erste, der ihr entgegentritt. Seine Sicherheit duldet keinen Aufschub, und er hofft dadurch seinen Alliierten im Verlaufe des Krieges desto nützlicher werden zu können.
173-1 Die obige „Denkschrift“ wurde dem englischen Gesandten Mitchell für seinen Hof im Verlaufe der Audienz vom 26. Juli 1756 übergeben.
173-2 Am 20. Juli hatte der König die Nachricht von dem bevorstehenden Beitritt Rußlands zur Versailler Allianz, am 21. die von dem Aufschub des russisch-österreichischen Angriffs auf das Frühjahr 1757 empfangen. Die letztere, die von dem holländischen Gesandten in Petersburg, Swart, stammte, ging dem Könige aus dem Haag zu.
173-3 Die russischen Truppen hatten den Vormarsch eingestellt und waren wieder umgekehrt (vgl. S. 185).
173-4 Vgl. S. 176 Anm. 1.
173-5 Vgl. S. 163 f.