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II
Die zweite Anfrage176-1

Erlaß des Königs an den Geheimen Kriegsrat von Klinggräffen in Wien

Potsdam, 2. August 1756.

Unverzüglich nach Empfang dieses Schreibens werdet Ihr die Kaiserin-Königin um Audienz bitten. Ihr werdet ihr sagen, es verdrieße mich zwar, sie noch einmal behelligen zu müssen, es sei aber bei den gegenwärtigen Verhältnissen nicht anders möglich. Der Ernst der Lage erheische deutlichere Erklärungen als die, die sie mir gegeben habe. Weder den Staaten der Kaiserin noch denen ihrer Alliierten droht ein Angriff, wohl aber den meinen.

Sagt der Kaiserin, um ihr nichts zu verhehlen, ich wüßte aus ganz zuverlässiger Quelle, daß sie zu Anfang dieses Jahres mit dem russischen Hofe eine Offensivallianz gegen mich geschlossen hat176-2. Darin ist ausgemacht, daß die beiden Kaiserinnen mich unvermutet angreifen werden, die Zarin mit 120 000 Mann, die Kaiserin-Königin mit 80 000 Mann. Der Plan sollte im Mai dieses Jahres zur Ausführung kommen, wurde aber aufgeschoben, da es den russischen Truppen an Rekruten, ihren Flotten an Matrosen und in Finnland an Getreide zu ihrer Ernährung fehlte. Beide Höfe sind übereingekommen, ihr Vorhaben nur bis zum nächsten Frühjahr aufzuschieben.

Da ich nun von allen Seiten höre, daß die Kaiserin ihre Hauptstreitkräfte in Böhmen und Mähren versammelt, daß die Truppen ganz dicht an meinen Grenzen kampieren, daß beträchtliche Magazine und Vorräte an Kriegsbedarf angelegt werden, daß Husaren und Kroaten längs meiner Grenzen Postenketten ziehen, als ob wir mitten im Kriege wären, so halte ich mich für berechtigt, von der Kaiserin-Königin eine formelle und kategorische Erklärung zu fordern, bestehend in der mündlichen oder schriftlichen Versicherung, daß sie mich weder in diesem noch im nächsten Jahre anzugreifen gedenkt. Es gilt mir gleich, ob diese Erklärung schriftlich oder mündlich in Gegenwart des französischen und englischen Gesandten176-3 erfolgt. Das steht ganz im Belieben der Kaiserin.

Ich muß wissen, ob wir im Krieg oder Frieden leben; ich lege die Entscheidung in die Hände der Kaiserin. Sind ihre Absichten lauter, so ist jetzt der Augenblick, sie<177> zu offenbaren. Erhalte ich aber eine Antwort in Orakelstil, unbestimmt oder nicht bündig, so hat die Kaiserin sich selbst all die Folgen des stillschweigenden Eingeständnisses der gefährlichen Pläne vorzuwerfen, die sie mit Rußland gegen mich geschmiedet hat. Ich rufe den Himmel zum Zeugen an, daß ich an dem Unglück, das daraus entstehen wird, unschuldig bin.

P.S.

Sofort nach der Audienz werdet Ihr den Kurier mit der Antwort abfertigen und dem englischen Gesandten Abschrift zustellen. Da Ihr selbst zu ermessen vermögt, welche Wendung die Dinge nehmen werden, so muß ich Euch vorhersagen: bekomme ich diesmal keinen klareren Bescheid, so bleibt mir nichts übrig als der Krieg, und Ihr werdet Befehl erhalten, abzureisen, ohne Euch zu verabschieden. Das kann am 23. oder 24. geschehen. Ich muß Euch gleich mitteilen, daß Feldmarschall Schwerin177-1 dann in Neiße ist. Ihr werdet ihn durch denselben Kurier, den Ihr an mich sendet, benachrichtigen, ob es Krieg oder Frieden gibt, damit er dort die geeigneten Maßregeln treffen kann. Die Hauptsache ist, daß ich rasch Nachricht erhalte. Ich muß also durchaus am 15. dieses Monats einen Kurier haben177-2. Selbst wenn er noch nicht die Antwort bringt, kann ich doch durch ihn erfahren, was Ihr über die Sache denkt.


176-1 Da am 26. Juli 1756 der französische Gesandte, Marquis Valory, im Namen seines Hofes erklärte, daß Frankreich den Österreichern die im Versailler Vertrag ausbedungene Hilfe leisten müsse, entschloß sich König Friedrich zu der zweiten Anfrage, um Zeit zu gewinnen und zu verhindern, daß die Franzosen noch im laufenden Jahre am Kriege teilnahmen. Die Weisung an Klinggräffen erging sofort nach Eintreffen der ausweichenden österreichischen Antwort auf die erste Anfrage (vgl. S. 37 Anm. 2 und S. 182).

176-2 Die folgenden Angaben beruhen auf den Meldungen Swarts aus Petersburg, die der König am 21. Juli erhalten hatte (vgl. S. 173).

176-3 Aubeterre und Keith.

177-1 Schwerin führte die schlesische Armee.

177-2 Da Klinggräffen nicht ohne Weisung des Königs die Anfrage, wie Kaunitz verlangte, schriftlich zu stellen wagte, verzögerte sich die Ankunft der Antwort.