6. Darlegung der Gründe, die Se. Majestät den König von Preußen gezwungen haben, den Anschlägen des Wiener Hofes zuvorzukommen179-1
(August 1756)
Seit dem Abschluß des Dresdener Friedens hat der Wiener Hof mit allen Mitteln geflissentlich darauf hingearbeitet, diesen Frieden zu erschüttern oder zu brechen. Sowohl auf offenen wie auf geheimen Wegen strebte er diesem Ziele zu.
Nach Artikel 8 des Breslauer Friedens, der durch den Dresdener Frieden erneuert wurde, sollte der Handel zwischen Österreich und Schlesien „auf dem Fuße bleiben, auf dem er sich im Jahre 1739 vor dem Kriege befand, bis eine neue Vereinbarung getroffen würde“. Der Wiener Hof, der seine Verträge nur so lange gewissenhaft erfüllt, als man ihn mit Waffengewalt dazu zwingt179-2, begann 1753 auf alle in Schlesien hergestellten Erzeugnisse einen Zoll von 30 Prozent zu legen. Ja, ungeachtet der Vorstellungen mehrerer preußischer Kommissare, die zu dem Zweck eigens nach Wien geschickt wurden, erhöhte er den Zoll auf 60 Prozent, kaum daß er in diesem Jahre den Versailler Vertrag179-3 unterzeichnet hatte.
Dies unfreundliche, ja schroffe Gebaren, das gegen Treu und Glauben der Verträge verstößt, war eine Nichtachtung des von allen europäischen Mächten garantierten Friedens und hätte einem ehrgeizigeren Fürsten als dem König von Preußen als triftiger Vorwand zum Kriege dienen können. Wir gehen jedoch darüber hinweg;<180> denn dieser Vorfall wird zur Läpperei im Vergleich zu den übrigen Klagen, die gegen den Wiener Hof bestehen.
Unter Vermeidung jedes unnützen Wortschwalls begnügen wir uns mit der Enthüllung der weitausschauenden Pläne des Wiener Hofes, dessen gefährliche Absichten sowohl in seinen geheimen Unterhandlungen, wie in seinem jetzigen Benehmen zutage treten.
Kaum war die Kaiserkrone wieder an das neue Haus Österreich gefallen, so griff man in Wien auf die ehrgeizigen Pläne zurück, die Kaiser Ferdinand II. ausgeführt hätte, wäre kein Kardinal Richelieu Premierminister von Frankreich und kein Gustav Adolf König von Schweden gewesen, zwei Zeitgenossen, die sich ihm widersetzten.
Der Wiener Hof wollte die deutschen Fürsten unterjochen, seinen Despotismus dem Reiche aufzwingen, wollte die protestantische Religion, die Gesetze, die Verfassung und die Freiheiten abschaffen, die diese Republik von Fürsten und Souveränen genießt. In seinem Vorhaben sah sich der Wiener Hof nach dem Aachener Frieden behindert durch Frankreich, das den Westfälischen Frieden garantiert hatte, durch Preußen, das aus den verschiedensten Gründen ein solches Unterfangen nicht dulden konnte, und schließlich durch den türkischen Sultan, der durch Einfälle in Ungarn die bestgetroffenen Maßregeln umwerfen konnte.
Alle diese Dämme seines Ehrgeizes mußten nach und nach untergraben werden. Der Wiener Hof glaubte mit Preußen beginnen zu müssen. Unter dem Vorwand, eine Provinz zurückzufordern, die er dem König im Breslauer Frieden abgetreten hatte, wollte er den Blick der Welt von den gefährlicheren Absichten ablenken, die unerkannt bleiben sollten.
Zu dem Zweck wurde der Petersburger Vertrag geschlossen180-1. Aber nicht zufrieden mit einem Defensivbündnis, gegen das niemand etwas einwenden konnte, gedachte man in Wien, die Höfe von Berlin und Petersburg zu entzweien und mit der Kaiserin von Rußland ein Bündnis gegen die Hohe Pforte zu schließen. Beide Pläne gelangen gleichermaßen. Das Bündnis gegen die Pforte kam zum Abschluß180-2, und durch zahlreiche Täuschungen und Verleumdungen gelang es den österreichischen Ministern, den König mit der Kaiserin von Rußland zu entzweien, obwohl zwischen beiden Höfen im Grunde keine Streitfrage bestand. Die beiderseitigen Gesandten wurden abberufen180-3, damit die österreichischen Diplomaten von unbequemer Überwachung befreit würden und desto leichteres Spiel hätten.
Sie brachten Rußland in Harnisch und bewogen es zu den kriegerischen Demonstrationen an der preußischen Grenze, die alljährlich wiederholt wurden, in der Hoffnung, der Zufall würde eine Gelegenheit zum Bruche zwischen beiden Mächten herbeiführen.
<181>In Wien wünschte man den Bruch und trug sich mit der Hoffnung, in diesem Kriege nur als Hilfsmacht der Kaiserin von Rußland auftreten zu brauchen. Die Absichten der österreichischen Minister hätten leicht in Erfüllung gehen können. Von Demonstrationen zu Feindseligkeiten ist nur ein Schritt. Der Krieg wäre auch entbrannt, hätte der König nicht durch sein festes und maßvolles Benehmen sorgfältig jeden Anlaß zu Händeln mit dem russischen Hofe vermieden. Wie bei einem Brande, den man ersticken will, entfernte er vorsichtig allen Zündstoff.
So lagen die Dinge, als die Wirren in Amerika181-1 die Ruhe Europas zu stören drohten. Ein Weltkrieg war dem Wiener Hofe gerade recht. Die Großmächte mußten mit ihren eignen Interessen beschäftigt sein, damit er seine Pläne glücklich zum Ziel führen konnte.
In London war man von den Absichten des Wiener Hofes nicht unterrichtet. Der König von England, der mit Frankreich im Kriege lag, bat die Kaiserin-Königin um Hilfe. Das glaubte er von ihrem guten Willen und ihrer Dankbarkeit beanspruchen zu dürfen. Nachdem er seine Schätze und Truppen verschwendet, die Interessen seines Reiches geopfert, ja selbst seine geheiligte Person in Gefahr gebracht hatte181-2, um die Kaiserin in den Besitz ihres väterlichen Erbes zu setzen, meinte er, ihre Dankbarkeit würde den ihr geleisteten Diensten entsprechen. Wie groß war wohl seine Überraschung, als er erfuhr, daß die Kaiserin von Hilfe nichts wissen wollte, außer wenn England der Verschwörung beiträte, die sie gegen die Staaten und Besitzungen des Königs von Preußen angezettelt hatte. Der König von England dachte zu vornehm und zu hochherzig, um sich an Maßregeln zu beteiligen, die sein Rechtsgefühl verletzten. Er verwarf alle ihm gemachten Vorschläge. Dann wandte er sich an den König von Preußen, mit dem er durch die Bande des Blutes verknüpft war181-3, und beide Herrscher schlossen zur Beschwörung des Sturmes, der Deutschland bedrohte, den Neutralitätsvertrag zu London181-4.
Die Ruhe Deutschlands paßte ganz und garnicht zu den Plänen des Wiener Hofes. Er setzte alles in Bewegung, um die Maßregeln der beiden Fürsten zu vereiteln, denen die Ruhe ihres Vaterlandes am Herzen lag und die sich zu ihrer Aufrechterhaltung verbündet hatten. Sofort verdoppelte sich das Ränkespiel in Petersburg, und die österreichischen Minister vereinbarten dort einen Plan zur Aufteiling aller Besitzungen des Königs von Preußen.
Das genügte noch nicht. Es galt auch Frankreich aus dem Spiel auszuschalten, um in Deutschland völlig freie Hand zu haben. So kam der Vertrag von Versailles zustande.
Der König traut dem französischen Hofe beim Abschluß dieses Bündnisses keine agressiven Absichten zu. Seine Majestät läßt den lauteren Absichten des Allerchrist<182>lichsten Königs ihr Recht widerfahren. Leider aber ist nicht das gleiche vom Wiener Hofe zu sagen, dessen Gebaren seit der Unterzeichnung jenes Vertrages nur zu sehr das Gegenteil bewiesen hat.
Inzwischen nahm das Ränkespiel in Frankreich zu. Das Ziel, das man sich in Wien gesteckt hatte, war die langsame, unmerkliche Herbeiführung eines Bruches zwischen Frankreich und Preußen. Zu dem Zweck sparte man weder unredliche Mittel noch tückische Anschwärzungen, weder Listen noch betrügerische Winkelzüge.
Unter so kritischen Umständen, wo der Wiener Hof Europa von einem Ende bis zum anderen verhetzt, um dem König Feinde zu schaffen, wo er seine Schritte verleumdet, den harmlosesten Dingen schlimme Deutungen gibt, wo er die Mächte zu blenden, zu verführen und einzuschläfern sucht, je nachdem es ihm für seine Pläne günstig scheint — in einer Zeit, wo Maßnahmen zum Angriff auf den König getroffen werden, wo der Wiener Hof Munitions- und Proviantvorräte in Mähren und Böhmen anhäuft und gewaltige Rüstungen macht, wo er Lager von 80 000 Mann in seinen Staaten bildet, wo die Ungarn und Kroaten Postenketten längs der schlesischen Grenze ziehen, wo Lager an den preußischen Grenzen abgesteckt werden und der Friede dem Kriege gleicht, wohingegen alle preußischen Truppen ruhig im Quartier liegen und kein Zelt aufgeschlagen ist, glaubte der König das Schweigen brechen zu müssen.
Seine Majestät beauftragte Herrn von Klinggräffen, seinen bevollmächtigten Gesandten am Wiener Hofe, von der Kaiserin-Königin eine Erklärung zu fordern, ob all die großen Kriegsvorbereitungen an der schlesischen Grenze gegen den König gerichtet seien oder welches die Absichten Ihrer Kaiserlichen Majestät wären182-1. Die Kaiserin-Königin erwiderte wörtlich:
„Sie habe unter den gegenwärtigen Umständen sowohl zu ihrer eigenen Verteidigung wie zu der ihrer Verbündeten Rüstungen für angezeigt gehalten, die überdies nicht bezweckten, irgend jemand zum Schaden zu gereichen.“
Eine so unbestimmte Antwort in einem so kritischen Zeitpunkt erheischte eine bündigere Erklärung. Daraufhin erhielt Herr von Klinggräffen neue Weisungen und stellte der Kaiserin-Königin folgendes vor. Der König habe zu den schlimmen Absichten, die man der Kaiserin beimesse, geschwiegen, solange er es mit seiner Sicherheit und seinem Ruhme vereinbar gefunden hätte. Nun aber dürfe er nichts mehr verhehlen. Er (Klinggräffen) habe Befehl, ihr zu eröffnen, daß der König von den Angriffsplänen unterrichtet sei, die beide Höfe in Petersburg vereinbart hätten. Er wisse, daß sie ausgemacht hätten, ihn unvermutet gemeinsam anzugreifen, die Kaiserin-Königin mit 80 000 Mann, die Kaiserin von Rußland mit 120 000 Mann. Dieser Plan sollte im letzten Frühjahr zur Ausführung gelangen, sei aber auf das nächste Frühjahr verschoben worden, da es den russischen Truppen an Rekruten, an<183> Matrosen für die Flotte und an Getreide aus Livland zur Verproviantierung mangele. Der König lege die Entscheidung über Krieg und Frieden in die Hand der Kaiserin. Wolle sie den Frieden, so verlange er eine bestimmte und förmliche Erklärung, bestehend in der positiven Zusicherung, daß sie den König weder in diesem noch im kommenden Jahre anzugreifen gedenke. Jede zweideutige Erklärung aber werde er für eine Kriegserklärung ansehen. Er rufe den Himmel zum Zeugen an, daß die Kaiserin allein die Schuld an dem unschuldig vergossenen Blute und den unglücklichen Folgen dieses Krieges trage183-1.
Auf eine so gerechte und billige Anfrage wurde eine noch hochfahrendere und noch weniger befriedigende Antwort als die erste gegeben. Ihre Inhaltsangabe genügt, um der Welt den bösen Willen des Wiener Hofes in seinem ganzen Umfang kundzutun.
Die Antwort lautete, wie folgt:
„Seine Majestät der König von Preußen habe schon seit einiger Zeit die beträchtlichsten und für die öffentliche Ruhe bedrohlichsten Kriegsrüstungen aller Art unternommen, als er es am 26. des letzten Monats für angezeigt gehalten habe, von Ihrer Majestät der Kaiserin-Königin Aufklärungen über die militärischen Maßnahmen in ihren Staaten zu fordern, die erst auf die verschiedenen Rüstungen Seiner Majestät des Königs von Preußen hin getroffen worden seien. Diese Tatsachen seien ganz Europa bekannt.
Infolgedessen hätte Ihre Majestät, die Kaiserin-Königin, Aufklärungen über Dinge, die dessen nicht bedurften, verweigern können. Trotzdem habe sie sich zur Antwort entschlossen und habe zu dem Zweck Herrn von Klinggräffen in der ihm bewilligten Audienz am besagten 26. Juli Höchsteigen erklärt:
Daß die kritische allgemeine Lage sie zum Ergreifen der Maßregeln veranlaßt habe, die sie für ihre und ihrer Verbündeten Sicherheit für nötig befunden hätte, und die überdies nicht bezweckten, irgend jemand zum Schaden zu gereichen.
Ihre Majestät die Kaiserin-Königin sei ohne Zweifel berechtigt, über die gegenwärtige Lage so zu urteilen, wie sie es für gut befinde, und es stehe ihr allein zu, die ihr drohenden Gefahren einzuschätzen. Im übrigen sei ihre Erklärung so deutlich, daß sie sich nie gedacht habe, daß man sie anders auslegen könne. Gewöhnt, die unter Herrschern üblichen Rücksichten gegen sich ebenso gewahrt zu sehen, wie sie selbst sie wahre, habe sie daher nur mit Erstaunen und wohlberechtigter Empfindlichkeit Kenntnis vom Inhalt der Denkschrift nehmen können, die Herr von Klinggräffen ihr am 20. des Monats überreicht hätte.
Diese Denkschrift sei der Form und dem Inhalte nach derart, daß Ihre Majestät die Kaiserin-Königin, wenn sie dieselbe voll beantworten wolle, sich gezwungen sähe, die Schranken der Mäßigung, die sie sich gezogen hätte, zu überschreiten. Trotz<184>dem wolle sie, daß Herrn von Klinggräffen des weiteren folgende Antwort erteilt werde:
Die Seiner Majestät dem König von Preußen gegebenen Informationen über ein Angriffsbündnis gegen ihn zwischen Ihrer Majestät der Kaiserin-Königin und Ihrer Majestät der Kaiserin von Rußland, sowie alle näheren Umstände und angeblichen Bedingungen der genannten Allianz seien völlig unwahr und erfunden. Ein solcher Vertrag gegen Seine Preußische Majestät existiere nicht und habe nie existiert184-1.
Diese Erklärung gestatte ganz Europa ein eignes Urteil über den Wert und die Bedeutung der in der Denkschrift des Herrn von Klinggräffen angeführten schlimmen Ereignisse. Man werde erkennen, daß sie niemals Ihrer Majestät der Kaiserin-Königin zur Last gelegt werden dürfen.“
So lautete die zweite Antwort des Wiener Hofes. Eine kurze Rekapitulation wird genügen, um ihre Unzulänglichkeit und Haltlosigkeit darzutun.
Die Tatsachen, die der Wiener Hof als ganz Europa bekannt hinstellen möchte, stimmen so wenig zu seinen Behauptungen, daß man sich gezwungen sieht, diesen Gegenstand näher zu beleuchten. Auf die russischen Rüstungen hin ließ der König im Juni vier Regimenter aus der Kurmark nach Pommern marschieren184-2 und gab Befehl, die Festungen in Verteidigungszustand zu setzen. Das war es, was beim Wiener Hofe so großen Verdacht erregte, daß er in Böhmen und Mähren ein Heer von über 80 000 Mann zu versammeln befahl. Hätte die Kaiserin Truppen aus Böhmen nach Toskana marschieren lassen, würde da der König wohl Anlaß gehabt haben, um Schlesien besorgt zu sein und dort ein starkes Heer zusammenzuziehen? Man sieht also deutlich, daß der Abmarsch der vier Regimenter nach Pommern dem Wiener Hofe nur als Vorwand zur Bemäntelung seiner schlimmen Absichten gedient hat. Auf die Nachricht hin, daß das österreichische Heer in Böhmen zusammengezogen sei, ließ der König drei Infanterieregimenter, die in Westfalen im Quartier gelegen hatten, nach Halberstadt rücken. Um aber alles zu vermeiden, was beim Wiener Hof Verdacht erregen konnte, wurde nicht ein einziges Regiment nach Schlesien geschickt. Die Truppen blieben ruhig in ihren Garnisonen und hatten nicht einmal die Pferde und den andern Kriegsbedarf, den ein Heer für das Feldlager oder bei Offensivplänen braucht. Doch der Wiener Hof fuhr fort, eine friedliche Sprache zu führen und dabei die ernstlichsten Kriegsrüstungen zu treffen. Nicht zufrieden mit all diesen Demonstrationen, ließ er auch noch ein Lager bei der Stadt Hotzenplotz abstecken, die zwar österreichisch ist, aber dicht an der preußischen Grenze und direkt zwischen den Festungen Neiße und Kosel liegt. Außerdem schickt die öster<185>reichische Armee in Böhmen sich an, das Lager von Jaromircz vier Meilen von Schlesien zu beziehen. Auf alle diese Nachrichten hin glaubte der König, daß es an der Zeit sei, Maßregeln zu ergreifen, die seine Sicherheit und Würde von ihm forderten. Er gab also Befehl, daß die Armee sich mit Pferden versehen und sich marschfertig machen solle. Er wollte nicht in völliger Abhängigkeit von dem Gutdünken eines Hofes sein, der seinen Interessen so feindlich gesinnt ist wie der Wiener Hof. Hätte der König etwas gegen die Kaiserin im Schilde geführt, so konnte er das schon zwei Monate früher leicht ausführen, bevor er ihr Zeit zur Versammlung so starker Heere gab. Aber der König verhandelte, während seine Feinde rüsteten. Er folgte nur den Maßregeln der Österreicher. So setzt also dieser Artikel, den der Wiener Hof so geflissentlich betont, dessen schlimme Absichten erst recht ins volle Licht.
Ein anderer Punkt seiner Antwort ist ebenso unwahr, nämlich die Behauptung, er habe Herrn von Klinggräffen eine durchaus deutliche Erklärung gegeben. Diese durchaus deutliche Erklärung ist völlig unverständlich. Denn man fragt sich: welchem von den Bundesgenossen der Kaiserin droht ein Krieg? Ist's Frankreich? Ist's Rußland? In der Tat müßte man sonderbar verblendet sein, um dem König von Preußen Angriffspläne gegen eine dieser beiden Mächte zuzutrauen, und jedenfalls wären zur Ausführung eines solchen Unterfangens etwas mehr als vier nach Pommern gesandte Regimenter nötig gewesen. Der Wiener Hof sagt, er wolle niemanden angreifen. Hätte er dann nicht ebensogut erklären können, er wolle namentlich den König von Preußen nicht angreifen?
Der Inhalt der Denkschrift des Herrn von Klinggräffen, über die der Wiener Hof sich beschwert, konnte einen Hof nur dann unangenehm berühren, wenn er seinem Nachbarn keine Erklärungen über die Lauterkeit seiner Absichten geben wollte.
Schließlich legt der Wiener Hof den größten Nachdruck auf den Artikel in seiner Antwort, der sein Bündnis mit Rußland betrifft. Die Bedingungen dieses Bündnisses sollen nach seiner Behauptung völlig unwahr und erfunden sein. Die Ableugnung jener Vereinbarungen ist für die österreichischen Minister ein leichtes. Aber außer den angeführten Tatsachen sind noch Anzeichen genug vorhanden, die wenigstens für ein Übereinkommen sprechen. Anfang Juni rückten die russischen Truppen an die ostpreußische Grenze. In Livland wurde ein Heer von 70 000 Mann aufgestellt, zur selben Zeit, wo man in Wien Vorbereitungen zur Versammlung einer starken Armee in Böhmen traf, die dort als Beobachtungsarmee auftreten sollte. Gegen Mitte desselben Monats erhielten die russischen Truppen Befehl, in ihre Quartiere zurückzukehren185-1, und die österreichischen Lager wurden aufs nächste Jahr verschoben. Trotz dieser Verdachtsmomente und Anzeichen wäre der König sehr froh gewesen, vom Wiener Hofe zu erfahren, daß er Pläne ableugnet, die seiner Mäßigung keine<186> Ehre machen würden — hätte der Hof nur ein Wort der Antwort auf die an ihn gerichtete Frage hinzugefügt. Der König ersuchte um die Versicherung, daß ein Angriff auf ihn weder in diesem noch im folgenden Jahre erfolgen werde. Das war der springende Punkt in Klinggräffens Denkschrift, und gerade auf diesen Punkt blieb man die Antwort schuldig. Zeigt dies Schweigen nicht zur Genüge, wohin die Pläne des Wiener Hofes abzielen? Erkennt man nicht den klaffenden Widerspruch zwischen seinen Worten und Handlungen? Eine friedfertige Sprache und dabei zahlreiche Heere an der schlesischen Grenze, eine geheuchelte Abneigung gegen den Krieg und dabei die Verweigerung positiver Versicherungen, die zu verlangen der König sich für berechtigt hielt! Man fragt sich, welche von beiden Mächten den Krieg wünscht, die, deren starke Heere an den Grenzen ihres Nachbarn lagern, oder die, deren Truppen ruhig in ihren Quartieren liegen?
Aus dieser hochmütigen und abschlägigen Antwort ist also ersichtlich, daß der Wiener Hof, weit entfernt, den Frieden zu wollen, nichts als Kriegslust atmet und den König durch fortwährende Plackereien und hochfahrendes Benehmen zum Kriege zu reizen beabsichtigt, um einen Vorwand zu haben, den Beistand seiner Verbündeten anzurufen. Man glaubt aber nicht, daß seine Bundesgenossen ihm Hilfe versprochen haben, um sein ungerechtes Vorgehen zu rechtfertigen und den König daran zu hindern, seinen nur zu deutlichen Absichten zuvorzukommen. Denn durch die Verweigerung der vom König geforderten Zusicherungen gibt der Wiener Hof ja klar seinen Entschluß kund, die Ruhe und den Frieden, deren sich Deutschland bisher erfreut hat, zu stören.
Obwohl jene Antwort also keinen Zweifel mehr über die Absichten der Kaiserin-Königin läßt und obwohl sie den König zu dem einzigen Entschlusse zwingt, der seiner Ehre und seinem Ruhme entspricht, so hat Seine Majestät doch noch einen letzten Versuch gemacht, um die Unbeugsamkeit des Wiener Hofes zu erschüttern. Er hat zwar die nötigen Maßregeln zu seiner Sicherheit getroffen, aber auch das einzige Mittel zur Erhaltung des Friedens pflichtgemäß angewandt. Zu dem Zweck erhielt Herr von Klinggräffen den Auftrag, zum dritten Male zu erklären: Wolle die Kaiserin jetzt noch die positive Zusicherung geben, daß sie den König weder in diesem noch im folgenden Jahre anzugreifen gedenke, so werde Seine Majestät seine Truppen sofort zurückziehen und alles wieder in den gehörigen Zustand versetzen186-1. Aber dieser letzte Schritt war ebenso erfolglos wie die vorhergehenden.
Nachdem also der König alles erschöpft hat, was man von seiner Mäßigung erwarten konnte, hofft er, daß ganz Europa ihm die schuldige Gerechtigkeit erweisen und überzeugt sein wird, daß nicht der König, sondern der Wiener Hof den Krieg gewollt hat. Wünscht die Kaiserin ehrlich den Frieden, wie sie es glauben machen will, warum erklärte sie es dann nicht in deutlichen Ausdrücken und in aller Form, als man ihr<187> die Entscheidung in die Hand legte? Ihre zweideutige Antwort jedoch, die alle möglichen Auslegungen zuließ, und die beständige Verweigerung der einzigen Erklärung, die den König beruhigen konnte, ist in der Tat nichts als das schweigende Eingeständnis der gefährlichen Absichten, die man ihr vorwirft. Dies Verhalten von seiten des Hauses Österreich gibt dem König keine Sicherheit für die Zukunft. Im Gegenteil! Seine Majestät hat das Benehmen des Wiener Hofes bei all seinen Unterhandlungen klargelegt und ist unterrichtet von dessen Umtrieben und Einflüsterungen an allen europäischen Fürstenhöfen, wo er gegenwärtig an einem Bündnis gegen Preußen arbeitet. Die Kenntnis dieser schlimmen Absichten zwingt den König, das Prävenire zu spielen.
Gewiß beginnt der König die Feindseligkeiten. Da aber dieser Ausdruck häufig mit dem des Angriffs verwechselt wird und der Wiener Hof stets geflissentlich darauf ausgeht, Preußens Schritte zu verleumden, so hält man es für angezeigt, den Sinn beider Worte zu unterscheiden. Unter Angriff versteht man jeden Akt, der dem Sinn eines Friedensvertrages strikt zuwiderläuft. Ein Offensivbündnis, Feinde, die man einer andern Macht erweckt und zum Kriege mit ihr drängt, Pläne zum Einmarsch in die Staaten eines andern Fürsten und zu plötzlichem Überfall — das alles sind lauter Angriffe, obwohl nur das letzte zu den Feindseligkeiten gehört.
Wer diesen Angriffen zuvorkommt, kann Feindseligkeiten begehen, ist aber nicht der Angreifer. Im Spanischen Erbfolgekriege, als die savoyischen Truppen im französischen Heere in der Lombardei fochten, schloß der Herzog von Savoyen187-1 ein Bündnis mit dem Kaiser gegen Frankreich (1703). Die Franzosen entwaffneten seine Truppen und trugen den Krieg nach Piemont. Hier war also der Herzog von Savoyen der Angreifer, und die Franzosen begingen die ersten Feindseligkeiten. Die Ligue von Cambrai187-2 war ein Angriff. Wären die Venezianer damals ihren Feinden zuvorgekommen, so hätten sie die ersten Feindseligkeiten begangen, wären aber nicht die Angreifer gewesen.
Da also der Wiener Hof die von allen europäischen Mächten garantierten Verträge brechen will, da sein Ehrgeiz ungestraft die heiligsten Schranken umstürzt, die der menschlichen Begehrlichkeit gesetzt sind, da er sich den Weg zum Despotismus im Deutschen Reiche bahnen will und seine weitausschauenden Pläne auf nichts Geringeres abzielen als auf den Umsturz dieser Republik von Fürsten, die zu erhalten die Pflicht der Kaiser ist, so hat der König beschlossen, sich den Feinden seines Vaterlandes hochherzig zu widersetzen und den verderblichen Folgen dieses gehässigen Planes vorzubeugen.
<188>Seine Majestät erklärt, daß die Freiheit des Deutschen Reiches nur mit Preußen zugleich begraben werden soll. Er ruft den Himmel zum Zeugen an, daß er alle geeigneten Mittel erschöpft hat, um seine Staaten und ganz Deutschland vor der Geißel des drohenden Krieges zu bewahren, nun aber gezwungen ist, die Waffen zu ergreifen, um eine Verschwörung gegen seine Besitzungen und seine Krone zu sprengen. Umsonst hat er alle Wege zur gütlichen Beilegung beschritten, ja die Entscheidung über Krieg und Frieden in die Hand der Kaiserin gelegt.
Seine Majestät gibt seine gewohnte Mäßigung nur deshalb auf, weil sie aufhört, eine Tugend zu sein, wenn es gilt, seine Ehre und Unabhängigkeit, sein Vaterland und seine Krone zu verteidigen.
179-1 Das obige Manifest gegen Österreich ist das Werk des Königs, mit Ausnahme des vom Minister Grafen Finckenstein angefertigten Auszuges aus der zweiten Wiener Antwort. Für die erste Hälfte, die bis zu diesem Auszug reicht, und für den Schluß hat Friedrich fünf Entwürfe verfaßt, den ersten (vgl. S. 165) gegen den 20. Juli, den letzten, der dann nur noch geringfügige Änderungen erfuhr, um die Mitte des August 1756. Ebenso liegen für die Kritik der zweiten Wiener Antwort zwei eigenhändige Entwürfe Friedrichs (unter dem Titel: „Bemerkungen zur Antwort des Wiener Hofes“) vor. Der zweite ist gleichfalls fast unverändert in das obige Manifest übernommen. Dieses selbst wurde erst nach Eingang der dritten Wiener Antwort (vgl. S. 178 Anm. 2) am 12. September 1756 veröffentlicht.
179-2 Anmerkung im Manifeste: „Die Holländer wissen, wie die Kaiserin den Barrieretraktat erfüllt hat.“ Vgl. Bd. II, S. 83 Anm. 1.
179-3 Vgl. S. 34.
180-1 Vgl. S. 23.
180-2 Diese Angabe trifft nicht zu.
180-3 Vgl. S. 23.
181-1 Vgl. S. 29 ff. 35.
181-2 In der Schlacht bei Dettingen am 27. Juni 1743 (vgl. Bd. II, S. 141 f.).
181-3 Georg II. war der Bruder von Sophie Dorothea, der Mutter König Friedrichs.
181-4 Die Westminsterkonvention vom 16. Januar 1756 (vgl. S. 33).
182-1 Vgl. S. 175.
183-1 Vgl. S. 176 f.
184-1 Tatsächlich wurde das russisch-österreichische Offensivbündnis erst am 2. Februar 1757 unterzeichnet, doch war der gemeinsame Angriff auf Preußen für das nächste Jahr durch mündliche Übereinkunft bereits festgesetzt.
184-2 Vgl. S. 36 und 175.
185-1 Die erste Kunde vom Anmarsch der Russen hatte der König am 19., die erste, noch unverbürgte Nachricht von ihrer Umkehr (vgl. S. 173) am 29. Juni 1756 erhalten.
186-1 Vgl. S. 177 f.
187-1 Viktor Amadeus II.
187-2 Geschlossen 1508 zwischen Kaiser Maximilian, Ludwig XII. von Frankreich, Papst Julius II. und Ferdinand dem Katholischen gegen Venedig.