<174> Mitten in dieser allgemeinen Unruhe, wo oft unbedachte Entschlüsse gefaßt wurden, traf es sich, daß das englische Ministerium, gewiß wider Willen, Preußen einen wichtigen Dienst leistete, und zwar folgendermaßen. Kaum waren die Präliminarien unterzeichnet, so entließ das Ministerium aus Sparsamkeitsrücksichten alle leichten Truppen bei der Armee des Prinzen Ferdinand, unter anderm auch die britische Legion1. Dies 3 000 Mann starke Korps übernahm der König von Preußen nebst den 800 preußischen Husaren des Regiments Baur2 und dem braunschweigischen Freikorps, das ebensoviel Leute zählte. Das zwischen 5 000 und 6 000 Mann starke Detachement erhielt Befehl, sofort nach der Kleveschen Grenze zu rücken. Das jagte den Franzosen einen großen Schreck ein. Sie wähnten, der König beabsichtige eine Diversion nach Flandern oder Brabant, und teilten ihren Argwohn den Österreichern mit, die sofort 10 000 Mann an den Rhein schickten. Das hannöversche Ministerium seinerseits glaubte, der König wolle, über die Treulosigkeit der Engländer erbittert, sich an Hannover rächen. In England glaubte man, er plane einen Anschlag auf das Bistum Münster, um dadurch ein Pfand für die Rückgabe von Kleve und Geldern in der Hand zu haben. Da Bute gewohnt war, seine feindliche Gesinnung gegen Preußen bei jeder Gelegenheit zu bekunden, so ließ er die Besatzung von Münster verdoppeln und befahl, keinen Preußen in die Stadt zu lassen. So erhitzte ein einfaches und natürliches Ereignis plötzlich die Einbildungskraft der Minister und brachte halb Europa außer Fassung.
Dieser Unsinn schlug indessen zum Vorteil des Königs aus. Er hatte an keine jener Diversionen, auch nicht an Münster gedacht. Sein einziger Plan war die Überrumpelung der Besatzung von Wesel, um die Festung wieder in Besitz zu nehmen. Unterdes ließen die Franzosen, sehr betroffen über die Möglichkeit eines neuen Krieges in Flandern, in den sie verwickelt werden konnten, durch den Herzog von Nivernais3 dem preußischen Gesandten in London einen Neutralitätsvertrag für Flandern antragen und erboten sich dafür zur Rückgabe der weggenommenen preußischen Provinzen. Der Vorschlag ward, kaum gemacht, auch schon angenommen. Allein bei der großen Entfernung und der schwierigen Schiffsverbindung mit England während der rauhen Jahreszeit kam der Hubertusburger Friede eher zustande, als der andere Vertrag perfekt wurde.
Wir kommen also wieder zur Unterhandlung in Sachsen, bei der in der Tat alle strittigen Interessen Preußens geregelt wurden.
Sobald die Bevollmächtigten in Hubertusburg versammelt waren, diktierte Collenbach eine Denkschrift4 ungefähr folgenden Inhalts: „Der Bevollmächtigte, Herr von
1 Vgl. S. 78.
2 Das Husarenregiment Baur, Ende 1759 auf Kosten Englands errichtet, war Ende 1761 in preußischen Dienst getreten und bei der alliierten Armee gewesen.
3 Der französische Bevollmächtigte in London.
4 „Übersicht der Bedingungen für den Frieden zwischen der Kaiserin, Königin von Ungarn und Böhmen, und dem König von Preußen“.