<101> der Wiener Hof ihn nicht einmal einer Antwort gewürdigt. Denn der Kurfürst von der Pfalz, der fast seines ganzen Erbes beraubt war, vermochte Sachsens Allodialanspräche garnicht zu befriedigen. Andrerseits hatte der Wiener Hof, der mehr übereilt als besonnen handelte, sich des Herzogs von Zweibrücken nicht versichert, der als rechtmäßiger Nachfolger des Kurfürsten von der Pfalz dem Münchener Vertrag unbedingt zustimmen mußte, sollte dieser rechtsgültig werden. Außerdem hatte der Wiener Hof die ganze Sache mit so wenig Verschwiegenheit und Zurückhaltung betrieben, daß alle seine Schritte seit den zehn Jahren, wo er jenen Plan hegte, bekannt waren.
Das bewog den König, den Grafen Görtz1 inkognito nach München zu schicken. Er traf dort just im rechten Augenblick ein, um den Herzog von Zweibrücken von dem Abgrund zurückzureißen, in den er eben stürzen wollte. Graf Görtz stellte ihm vor, daß er durch Ratifikation des Vertrags seines Oheims garnichts gewänne; wenn er aber gegen dies rechtswidrige Abkommen protestierte, so bliebe ihm wenigstens die Aussicht auf Rückerstattung eines Teils des bayrischen Kreises, den der Kurfürst von der Pfalz den Österreichern so gewissenlos abgetreten hatte. Diese Wahrheit wirkte mächtig auf den jungen Fürsten; kurz darauf erschien sein Protest2. Gleichzeitig schrieb er an den König und bat um dessen Schutz und Beistand3.
Damit begann die Angelegenheit regelrechte Formen anzunehmen. Da der Kur-fürst von Sachsen und der Herzog von Zweibrücken den Berliner Hof mit der Vertretung ihrer Interessen betraut hatten, bot sich Anlaß genug, um mit dem Wiener Hofe Unterhandlungen über die bayrische Erbfolge anzuknüpfen. Das führte zu politischen Scharmützeln, während deren sich Zeit genug fand, zu ergründen, welche Partei Frankreich ergreifen würde und wie man in Petersburg dächte. Unter dem Vorwand völliger Unkenntnis ersuchte man in Wien um Aufklärung über die Rechte, die Österreich auf Bayern zu haben glaubte. Man bezweifelte sie, berief sich auf das Völkerrecht, führte alles an, was nach Recht und Brauch jenen Ansprüchen entgegenstand, zitierte die Artikel des Westfälischen Friedens, die in aller Form die bayrische Erbfolge regelten, kurz, man setzte den Kaiserhof um so mehr in Verlegenheit, als er bei dem unvermuteten Tode des bayrischen Kurfürsten keine Zeit gehabt hatte, seine Gewalttat durch plausible Scheingründe zu beschönigen. Und so war denn auch seine Verteidigung so lahm und schlecht, daß sie sich leicht widerlegen ließ: so schwer fällt es der Arglist und Bosheit, gegen Augenschein und Wahrheit zu kämpfen.
In diesem großen Interessenkonftikt fühlte sich der König mehr durch die Ungewißheit behindert, welche Stellung die Großmächte einnahmen, als durch die Haltung Österreichs. Frankreich war durch den Versailler Vertrag mit Österreich verbündet: hatte es sich mit dem Kaiser ins Einvernehmen gesetzt oder nicht? Hatte dieser
1 Graf Eustachius Görtz.
2 Am 16. März 1778 legten die Vertreter Preußens und Zweibrückens am Regensburger Reichstag gegen das österreichische Vorgehen Verwahrung ein.
3 Am 26. März 1778 verbürgte der König dem Herzog Karl sein Erbrecht auf Bayern durch feierlichen Vertrag.