Das war die Haltung des Versailler Hofes, auf die man rechnen konnte. Nun galt es noch, die Absichten und die Gesinnung des Petersburger Hofes zu ergründen. Die Zarin war mit dem König von Preußen verbündet, stand aber dicht vor einem neuen Krieg mit der Pforte1, der ihr die Hände binden mußte, da er ihr die Mittel nahm, ihren Verpflichtungen gegen Preußen nachzukommen. Es war leicht vorauszusehen, daß die Österreicher List und Trug und Bestechung anwenden würden, um den Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen Russen und Türken zu beschleunigen. Durch diese Diversion beschäftigten sie den Petersburger Hof anderswo und hinderten ihn, Preußen Hilfe zu leisten. Dadurch erhielten also die weitschauenden Pläne des Kaisers freie Bahn.
Für Preußen lag viel daran, dem Wiener Hofe zuvorzukommen und das österreichische Ränkespiel in Konstantinopel zu durchkreuzen. Zu diesem Zweck bat der König Frankreich, sich bei der Pforte zu verwenden. Der Versailler Hof ging darauf ein, und man wird im folgenden sehen, daß seine Bemühungen nicht vergeblich waren. Die französischen Verhandlungen wurden durch eine schreckliche Epidemie unterstützt: die Pest brach bösartiger denn je in Konsiantinopel aus und richtete dort furchtbare Verheerungen an. Sie drang sogar in den Serail ein und nötigte den Großherrn2, in eins seiner Lustschlösser in der Nähe der Hauptstadt zu flüchten. Diese allgemeine Not flößte den Türken friedlichere Gesinnungen ein und dämpfte den unruhigen, abenteuerlustigen Geist des Großadmirals der Flotte, Ghasi Hassan Pascha, der am heftigsten zum Kriege gegen Rußland drängte. Dadurch wurde der Weg für die Friedensvorstellungen der Franzosen geebnet.
Diese verschiedenen Maßregeln beseitigten zwar viele Hindernisse, es blieben aber noch andere hinwegzuräumen, um sich völlig freie Bahn zu schaffen. Diese Schwierigleiten kamen von den russischen Ministern, die über die deutschen Verhältnisse wenig oder garnicht Bescheid wußten. So sehr sich auch Peter der Große und seine Nachfolgerinnen bemüht haben, das weite russische Reich zu kultivieren, die Aufklärung hatte sich dort doch bei weitem nicht so verbreitet wie im übrigen Europa. Die bayerische Erbfolgefrage bedurfte der Kommentierung. Bei der Austragung des Streites handelte es sich um Grundsätze des Völkerrechtes, des Lehnsrechtes, des Gewohnheitsrechtes und um Verträge, die das Recht der Erbfolge feststellten. Die russischen Minister verstanden wenig von diesen Dingen und befanden sich im Zustand hoffnungsloser Unwissenheit, wie der Schulausdruck lautet. Um ihnen die Sachlage begreiflicher zu machen, mußte man also auf die geringfügigsten Einzelheiten eingehen, mußte ihnen klarmachen, worin das Agnatenrecht besieht und weshalb der Vertrag des Kurfürsten von der Pfalz mit dem Kaiser nicht rechtsgültig war: weil nämlich die Zustimmung des Herzogs von Zweibrücken fehlte, ohne die der Kurfürst von der Pfalz kein Recht hatte, den größten Teil seines Erbes derart abzutreten und
1 Vgl. S. 87.
2 Abbul Hamid.