<12> und einen Teil Europas gegen Rußland auf. Der Wiener Hof verbarg seine Eifersucht und Unzufriedenheit nur mit Mühe. Frankreich, das noch einen Rest jener Herrschsucht bewahrte, die sich zur Zeit Ludwigs XIV. so sehr offenbart hatte, konnte es kaum ertragen, daß sich in Europa ein großes Ereignis ohne seine Teilnahme vollzog. Der Herzog von Choiseul, der ohne den Königstitel die Königsmacht ausübte, war der unruhigste und ungeduldigste Geist, der je in Frankreich geboren ward. Er betrachtete die Wahl eines Königs von Polen ohne die Mitwirkung seines Herrn als einen Frankreich zugefügten Schimpf. Um diese eingebildete Beleidigung zu rächen, hätte er sein Land ungesäumt in einen neuen Krieg verwickelt, hätte ihn nicht die Erschöpfung der Finanzen und die Abneigung Ludwigs XV. gegen dergleichen Unternehmungen davon abgehalten. Er entschädigte sich für seine Ohnmacht, indem er die Russen bei jeder Gelegenheit ärgerte. So nahm er, um der Zarin den Titel „Kaiserliche Majestät“ zu versagen, seine Zuflucht zur französischen Akademie, die entscheiden mußte, daß dieser Titel unfranzösisch sei. Solche kleinlichen Racheakte sind eines großen Herzens unwürdig. Ich würde diese Erbärmlichkeiten auch garmcht erwähnen, wenn sie nicht den Charakter der Menschen kennzeichneten.
Im Jahre 1765 war Kaiser Franz l. zu Innsbruck gestorben1. Sein Sohn Joseph, der zum römischen König gekrönt worden war, folgte ihm ohne Schwierigkeit. Der junge Kaiser wachte eine Reise durch Böhmen und Sachsen zur Besichtigung der Gegenden, die den Schauplatz des letzten Krieges gebildet hatten. Da er durch Torgau kommen mußte, ließ der König ihm eine Zusammenkunft vorschlagen, der sich aber die Kaiserin und Fürst Kaunitz widersetzten (Juni 1766). Der Kaiser war etwas ungehalten über dies Verbot und ließ den König von Preußen wissen, er werde schon Mittel und Wege finden, um die Unhöfltchkeit, die ihn seine Hofmeister begehen ließen, wieder gutzumachen.
Unterdessen wurde die Unzufriedenheit in Polen fast allgemein. Die ganze Nation erhob ein Geschrei, als wollten die Russen die katholische Religion ausrotten und als hätte jeder im Schoße der apostolischen römischen Kirche geborene Fürst die Gewissenspflicht, Polen beizustehen. Dies oft wiederholte Geschrei begann Eindruck auf den Wiener Hof zu machen, aber noch mehr der Despotismus, den sich die russische Zarin den Polen gegenüber anmaßte. Der Hochmut der Kaiserin Maria Theresia bäumte sich gegen den Stolz der Zarin auf. Infolge des Grolls, der sich der Kaiserin bemächtigt hatte, fanden in den österreichischen Provinzen einige Truppenbewegungen statt. Man begann militärische Anstalten zu treffen, nicht derart, wie sie nötig sind, um sofort ins Feld zu rücken, wohl aber solche, die als Vorbereitung eines großen Unternehmens dienen.
Das Gerücht von diesen Rüstungen, das sich rasch überall verbreitete, verursachte einige Besorgnis am Petersburger Hofe. Die Befürchtungen der Zarin gaben Anlaß
1 18. August 1765.