<183> Haufen werfen kann. Es ist um das System des Abbe St. Pierre1 geschehen; nun wird es niemals verwirklicht werden können! Ich habe erfahren, daß vor wenigen Tagen bei Hofe eine große Beratung stattfand, der alle Würdenträger beiwohnten. Dort wurde eine Sache von solcher Wichtigkeit erörtert, wie sie seit Menschengedenken nicht vorgekommen ist. Ein Tonkünstler aus Aix in der Provence schickt zwei Menuette, an denen er seit zehn Jahren komponiert hat, und bittet, sie beim Karneval spielen zu lassen. Das mag den oberflächlichen Geistern höchst seicht erscheinen, aber wir StaatsMänner wissen, was hinter allem steckt, und gehen den Dingen bis zu ihren letzten Konsequenzen nach. Wir sind viel zu gründlich, um so etwas für eine Kleinigkeit anzusehen.

Als man über das Ansuchen beratschlagte, bildeten sich zwei Parteien; ein Teil war für die Menuette und ein anderer dagegen. Die Fürsprecher der Menuette behaupteten, sie müßten gespielt werden, um durch diese Auszeichnung die zu ermuntern, die einer gewissen Macht wohlwollen, aber leider nicht sehr zahlreich sind. Die Gegner versetzten, es sei wider die Ehre der Nation, fremde Menuette spielen zu lassen, da im Lande selbst so viele neue gemacht würden. Hierauf antworteten jene, daß auch fremde Menuette gut sein könnten, und daß die Liebhaber der Künste mehr Achtung vor der Kunst als vor dem Vaterlande oder vor dem Ort haben müßten, woher die Menuette gekommen seien. Diese Gründe überzeugten die Gegner nicht; sie behaupteten vielmehr, daß man diese Menuette als Konterbande behandeln müßte. Gegen diese Entscheidung protestierten die Menuettisten heftig und bemühten sich zu beweisen, daß, wenn man fremde Menuette als Konterbande behandeln wollte, man dadurch allen anderen Völkern das Recht gäbe, ihrerseits alle Erzeugnisse Preußens zu verbieten, daß den Handel einschränken ihn vernichten hieße, und schließlich, daß es andere Mächte nicht kaltblütig dulden würden, wenn man es darauf anlegte, ihre MeWette von den Bällen und Festen auszuschließen. Hierüber erhitzten sich ihre Gegner und behaupteten, man müsse den Eigennutz und alle anderen Rücksichten stets dem Ruhme opfern; es sei gegen die Würde eines Hofes, nach anderen Klängen als den einheimischen zu tanzen; die Menuettisten seien Neuerer, die fremde Bräuche im Lande einführen wollten; man dürfe sich von seinen alten Gewohnheiten niemals abbringen lassen, auch wenn sie nichts taugten, und endlich, diese Menuette verdürben die Sitten. Der Streit ward so hitzig, daß alle zugleich redeten, jeder Recht haben wollte und auch die am wenigsten Aufgebrachten schon mit Grobheiten präludierten. Kurz, die Sitzung mußte aufgehoben werden.

Der Rat versammelte sich am nächsten Tage von neuem, um die Debatte wieder aufzunehmen. Der Enthusiasmus hatte mittlerweile abgenommen, und es war eine Friedenspartei entstanden. Um es jedermann recht zu machen, schlugen diese Frie-


1 Karl Irenäus Castel St. Pierre (1658—1743) war der Verfasser der Schrift „Projet de la paix perpétuelle“ (vgl. Bd. VII, S. 248; VIII, S. 38).