<195> obskure Räuberbande ein paar Morde begeht und einige Bürger ausraubt, oder ob ein mit den erlauchtesten Namen prunkendes Bündnis sich das Ziel setzt, Europa durch Krieg zu verheeren, um einen Fürsten auszurauben, der keinen Bundesgenossen hat als seine eigene Kraft — es bleibt doch wohl das gleiche. Besieht aber ein Unterschied, so liegt er darin, daß die Wirksamkeit dieser Staatsmänner von größerer Tragweite ist, somit um so verbrecherischer wird durch all das Unglück und Elend, das nicht nur einige Bürger oder Familien trifft, sondern ganze Völker und Nationen.

Gewiß hätte Cartouche an der Stelle dieser Leute, die ganz Europa gegen eine einzige Macht in Aufruhr bringen, nicht anders gehandelt. Vergleichen Sie sein Benehmen mit dem Ihrer Staatsmänner, so finden Sie das gleiche Verfahren, die gleichen Mittel und ein ähnliches Ziel. Da Cartouche allein zu schwach war, um große Räubereien zu vollführen, rottete er sich mit einer Anzahl von Verbrechern, von Armen und Elenden zusammen, die wie er hundertmal dem Rad und Galgen entronnen waren. Ihre Minister arbeiten an allen europäischen Höfen mit Bestechung und Ränken, um Mitschuldige für ihr Verbrechen zu finden. Sie versichern, die Beute werde gut sein1, und versprechen den anderen einen Anteil daran. Kurz, durch Aufstachlung der Ehrsucht und des Eigennutzes gelang es ihnen, jene Verschwörung zu bilden, die der Ruhe Europas so verhängnisvoll ward. Cartouche nahm sich vor, mit seiner Bande ahnungslose Reisende zu überfallen, in Häuser einzubrechen, um sie auszurauben und alles Wertvolle fortzuschaffen. Die Liga, von der Sie reden, will mit möglichster Sicherheit die Staaten eines großen Herrschers plündern, zerstören, verheeren und sie ihm rauben, wenn sie es vermag. Das ist völlig das gleiche. Was Cartouche zum Verbrechen trieb, war große Faulheit, schlechte Wirtschaft, zügelloser Eigennutz und ein verderbliches Hintenansetzen jeder Tugend und jedes Ehrgefühls. Daraus können Sie schließen, daß ähnliche Missetaten die gleichen Ursachen haben müssen, und daß sie nur bei betrüblicher Herzensverderbnis und einer sehr falschen Vorstellung vom wahren Ruhme entstehen können.

Aber da taucht eine ganz andere Frage auf: Sind denn die Großen und die Herrscher verpflichtet, sich in allen ihren Handlungen streng an die Gesetze zu halten, die die Sicherheit der bürgerlichen Gesellschaft gewährleisten, oder gibt es Fälle, wo der Vorteil ihrer Staaten und große Interessenfragen sie davon lossprechen können?

Ziehen Sie Machiavell zu Rate, so wird er Ihnen sagen, daß alle Mittel gut und rechtmäßig sind, wenn sie nur dem Vorteil und Ehrgeiz der Fürsten dienen. Das ist Verbrechermoral, und solche Grundsätze sind um so abscheulicher, als man, wenn alle Herrscher sich nach ihnen richteten, besser täte, in Gesellschaft von Tigern, Panthern und Löwen als in der Gesellschaft von derart handelnden Menschen zu leben. Schlagen Sie Hugo Grotius auf, so werden Sie finden, daß dieser weise und gelehrte


1 Fußnote zur Flugschrift: „Diese zierliche Wendung findet sich in einem der nach Petersburg gerichteten und in den „Beweisschrlften und Urkunden“ (vgl. Bd. II, S. 43) abgedruckten Schreiben des Grafen Brüht.“