„<216> meinem Arbeitszimmer aus lenke ich die Geschicke der Weltbedrücker. In meinen Händen halte ich den Ruf aller Großen, vor denen das Volk im Staube liegt. Beliebt es mir, st lasse ich sie vor Ärger vergehen, senke Verzweiflung in ihr Herz und raube ihnen die Früchte aller Gunstbeweise, mit denen Fortuna sie überschüttet.“ — „Ach!“ rief ich, „welch unmenschliches Vergnügen können Sie daran finden, Menschen unglücklich zu machen, vorausgesetzt daß Sie wirklich so handeln! Plagt Sie denn der geheime Drang jener bösen Geister, die grausame Freude daran haben sollen, das Menschengeschlecht zu verfolgen? Ach, mein Herr, ich bitte Sie...“—„Wie?“ unterbrach er mich. „Glauben Sie denn, mein Blut wäre Rosenwasser? Skrupeln und zarte Rücksichten überlasse ich den ängstlichen Gemütern. Mir gefällt es, die Eitelkeit und Anmaßung derer zu demütigen, die nichts zu fürchten haben, die harten Herzen, die mit dem öffentlichen Elend niemals Mitleid fühlen, zu betrüben und in Verzweiflung zu bringen, und die etwas leiden zu lassen, die täglich Leid stiften.“ — „Ach, mein Herr, ich bitte umGnade für das Menschengeschlecht!“ riefich aus. „Glauben Sie nicht, es sei so verderbt, wie Sie es sich vorstellen! Gewiß bedeckt das Lasier die Erde, aber die Seuche ist nicht allgemein. Glauben Sie nicht, daß Wohlergehen und Tugend unvereinbar seien; machen Sie wenigstens Unterschiede...“ — „Ich mache keine Unterschiede“, entgegnete er. „Alle Menschen sind schlecht, also kann ich sie alle mit gutem Gewissen angreifen.“ — „Das Ihre ist scheinbar nicht zart“, sagte ich. — „Wer würde mich ernähren?“ fuhr er fort. „Wenn ich Hunger habe, wovon soll ich leben? Denn schließlich muß man heutzutage doch etwas vorstellen, sonst wird man verachtet. Mein Schweigen bezahlt niemand, aber meine Arbeiten werden teuer bezahlt, und ich arbeite ja nur an Menschenherzen.“ — „Welch tiefer Fall“, rief ich aus, „für einen so despotischen Herrscher, für diesen schrecklichen, so gefürchtsten Zensor, für diesen obersten Richter über alle Großen der Welt! Wie? Krösus ist inmitten seiner Schätze auf Almosen angewiesen?“ — „Scherz beiseite! Mein Königtum ernährt mich nur insoweit, als ich meines Amtes walte. Ich bin zwar viel unumschränkter als die Könige; sie sind die Sklaven der Gesetze und können nur insoweit strafen oder belohnen, als diese es gestatten; sie haben keine Macht über den Ruhm, können ihn nicht verleihen noch nehmen. Ich dagegen mache mich zum Beherrscher der öffentlichen Meinung. Durch meinen Einfluß auf sie bildet man sich seine Vorstellungen über die Personen, je nachdem, wie ich sie schildere, und gleich den Königen beziehe ich Sübsidien, die die Bosheit der einen mir zahlt, um die Verderblichkeit der anderen aufzudecken. Daher besteuere ich die Großen und Fürsten; sie sind meine Sklaven; ich verkauft ihren Namen teurer oder billiger, je nach der Schwierigkeit, ihr Verdienst herabzuwürdigen. Ich brandschatze Haß und Neid und beschränke mich nicht auf Privatleute. Der Thron hat für mich nichts Furchtgebietendes; und so, wie Sie mich hier sehen, ohne Schatz und Heer, erkläre ich den Königen den Krieg und greife sie an, so mächtig sie sein mögen.“ — „Wahrhaftig,“ rie fich, „Sie wagen da viel. Der Krieg hat seine Wechselfälle, und eines Tages könnte Sie das Miß-“