<227> aus, so machen mir alle Worte wie Macht, Größe, Stärke keinen Eindruck mehr. Ich verachte die Kniffe und die Fertigkeit der Diplomaten, die aus den fernsten Winkeln Europas die gewaltigen Heere zusammenbrachten, die Ihnen imponieren, und ich bemühe mich lediglich, im Geist dieser Staatsmänner zu schürfen, um ihre Anschauungen und die Grundlagen ihres Systems zu ergründen.

Diese Allianz erscheint mir als eine Verschwörung der Stärkeren zur Vernichtung der Schwächeren. Sie ist eine Liga von Ehrgeizigen, die Hab und Gut von Feinden an sich reißen wollen, die ihnen nach ihrer Meinung nicht gewachsen sind. Sie ist ein Kampf von Riesen gegen Zwerge, von Herrschern, die sich schon im voraus in die Beute derer teilen, die sie besiegen wollen, um ihre Verbündeten durch die Loch speise der Selbstsucht desto enger an sich zu ketten. Sehen wir bei dieser Allianz von den glanzvollen Namen ab, die sie sanktionieren, und schreiben wir einmal die politischen Machenschaften, die Ihnen raffiniert erscheinen, Privatleuten zu, welchen Namen werden wir ihnen dann geben? Setzten wir an Stelle der Krieger- und Heldenscharen, die den Erdball bedecken, eine Rotte obskurer, hergelaufener Menschen: wie werden wir dann ihr Benehmen kennzeichnen? Sagen Sie mir nicht, die Herrscher hätten keinen Richter Über sich und wären darum berechtigt, ihre Zwistigkeiten mit dem Degen auszufechten. Ich weiß es, und niemand streitet ihnen dies Recht ab. Aber folgt daraus, daß zehn sich gegen zwei verbünden müssen, um sie zu vernichten? Und soll die Politik auf die Ideen der Billigkeit, Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit, die alle Völker üben, völlig verzichten? Mehr noch: Gelingt es dieser großen Allianz, ihre Feinde zu zerschmettern, so wird ihr das nicht zur Ehre gereichen; denn der Ruhm ist nur ein Lohn für bezwungene Hindernisse und die schwierigsten Unternehmungen.

Die Geschichte liefert uns nur ein Beispiel, die Ligue von Cambrai1, die zur Aufteilung der Republik Venedig geschlossen ward, als Gegenstück zu der großen Allianz, die gegenwärtig das Ziel verfolgt, Preußen zu zertrümmern. Im Altertum sehen wir wohl den Römern die Unterjochung vieler Völker gelingen, aber nur, weil diese Völker, größtenteils Barbaren, nie so geschickt waren, sich zum Widerstand gegen den gemeinsamen Feind zu verbünden. Sobald der Koloß des römischen Reiches zerstört war, erhoben sich auf seinen Trümmern große Reiche, deren Kraft durch mächtige Vasallen geschwächt wurde. Die Herrscher waren ohne Autorität und kämpften immerfort gegen ihre eigenen Untertanen. Durch diese inneren Wirren wurden sie zu sehr in Schach gehalten, um ihren Nachbarn furchtbar zu werden. Nach vielen Jahrhunderten befestigte sich die Fürstenmacht und schlug tiefe Wurzeln. Wir datieren die Epoche der monarchischen Gewalt von der Regierung Franz' I. und Karls V.

Seitdem ward alles anders. Die Ehrsucht der Könige, durch keinen Zügel mehr gehemmt, griff nach allem, was ihre Habgier und Vergrößerungssucht befriedigen


1 Geschlossen 1508 zwischen Kaiser Maximilian I., Ludwig XII. von Frankreich, Papst Julius II. und Ferdinand dem Katholischen gegen Venedig (vgl. Bd. III, S. 187.214).