<54> Die Österreicher hatten die Russen nur deshalb zur Rückgabe der Moldau und Walachei an die Türken genötigt, um sich dann selber einen Teil davon anzueignen. Und diese widerrechtliche Besitznahme, die fast bis Chozim reichte, machte den Wiener Hof beim ersten Kriege, der zwischen den Russen und Türken ausbrach, zum Schiedsrichter der Ereignisse; denn diese neuen Gebiete ermöglichten es ihm, die Russen durch den Dnjester von Polen abzuschneiden, von wo sie ihren ganzen Unterhalt beziehen müssen.
Auch der König hatte Ursache, sich über den Wiener Hof zu beschweren. Hatte er doch auf dessen Veranlassung die Russen bewogen, von ihren Eroberungen abzustehen. Diese offenbaren Betrügereien enthüllten die Vergrößerungsgier der Öfterreicher, ihren maßlosen Ehrgeiz, und mußten den anderen Mächten zur Warnung dienen, vor ihren künftigen Unternehmungen auf der Hut zu sein. Wie man wußte, wünschte der junge Kaiser das venezianische Friaul zu erobern; er hatte Absichten auf Bayern und gedachte sich Bosniens zu bemächtigen, ganz zu geschweigen von Schlesien, Elsaß und Lothringen, deren Verlust er nicht verschmerzt hatte. Der Kaiser war der unversöhnliche Feind des Hauses Brandenburg, sodaß man sich seiner Ver-größerung systematisch widersetzen mußte. Die Russen hätten gern gesehen, daß der König alles auf sich nähme und als tapferer Ritter Österreich zum Kampfe herausforderte. Aber die betrogenen Türken wahrten dumpfes Schweigen: wie soll man dem beistehen, der sich nicht beklagt? Die Russen waren durch den eben beendeten Krieg erschöpft und hatten weder die Mittel noch den Willen, mit dem König gemeinsam zu handeln. Frankreich hatte sich über diese Dinge nicht ausgesprochen, und England stand im Bürgerkrieg mit seinen Kolonien, den es aus Despotismus unternommen hatte und den es so ungeschickt führte, daß vorauszusehen war, er werde in den nächsten Jahren kein Ende finden. Alle diese Erwägungen bewirkten, daß der Berliner Hof sich untätig verhielt. Der König schrieb nach Petersburg, es siehe ihm nicht an, den Don Quichotte der Türkei zu spielen.
Als die Erbitterung zwischen den drei Höfen ihren Höhepunkt erreicht hatte, sollte die Delegation Deputierte schicken, um gemeinsam mit denen der drei Mächte die Grenzen ihrer Besitzungen festzustellen (November 1774). Die österreichischen und preußischen Kommissare konnten sich über nichts mit ihnen einigen, nicht einmal über die Ausgangspunkte der Grenzregulierung. Fürst Kaunitz verlangte die Vermittlung von Rußland und Preußen; aber die Gemüter waren an beiden Höfen zu erbittert, als daß man ihm hätte willfahren können. Zwar behielten die Kaiserin Theresia und der König ihre Erwerbungen in vollem Umfang, aber sie vermochten die gesetzliche Abtretung von der Republik nicht zu erlangen.
Aus allem Angeführten geht also hervor, daß Europa sich in keiner gefestigten Lage befand und sich keines gesicherten Friedens erfreute: überall glomm das Feuer unter der Asche. Im Süden Europas war vorauszusehen, daß der Bürgerkrieg der EngAnder mit ihren Kolonien allgemein werden konnte, sobald Frankreich und Spanien daran teilnahmen. Ein gleiches galt von dem Teilungsvertrage, der neue Wirren