<93>scheid wußte! Der König von Preußen, der den Wiener Hof nie aus den Äugen ver-lor, kam als einer der ersten hinter dies schändliche Treiben. Österreich war zu gefährlich und zu mächtig, um vernachlässigt zu werden, zumal man die Pläne seiner Feinde genau kennen muß, wenn man ihnen entgegentreten will.
Aus den verschiedenen angeführten Tatsachen ergibt sich, daß der Friede Europas allerorten bedroht war. Das Feuer glomm unter der Asche, und ein Nichts konnte es zur hellen Glut entfachen.
Rußland war von einem Tage zum anderen auf einen Angriff der Türken gefaßt. Der Krieg war zwar nicht erklärt, aber auf beiden Seiten kam es zu Feindseligkeiten. Der letzte Krieg hatte der Zarin ungeheure Summen gekostet. Rußland war fast erschöpft, besonders wenn man die Verheerungen Pugatschews1 an den Ufern des Jaik in der Provinz Kasan und den Ruin der sehr einträglichen Bergwerke in jener Gegend hinzunimmt. Diese Verhältnisse waren nicht sehr günstig. Die Armee war in schlechtem Zustande, die Artillerie vernachlässigt, wenig Geld, wenig Kredit vorhanden. Kurz, wenn die Pforte zum Kriege schritt, stand sehr zu befürchten, daß das russische Reich nicht auf so glänzende Erfolge zu rechnen hätte wie früher.
In Wien herrschte ein junger, von Ehrsucht verzehrter, ruhmbegieriger Kaiser, der nur auf eine Gelegenheit brannte, um Europas Ruhe zu stören. Er hatte zwei Feldherren, Lacy und Laudon, die sich im letzten Kriege ausgezeichnet hatten. Sein Heer war in besserem Zustande denn je. Er hatte die Zahl der Feldgeschütze auf 2 000 erhöht. Nur die Finanzen litten noch unter den ungeheuren Kosten des letzten Krieges und standen noch nicht auf ganz sicherer Basis. Die Staatsschulden wurden auf 100 Millionen Taler bewertet; der Zins war auf 4 Prozent herabgesetzt worden, aber das Volk seufzte unter der Steuerlast, die sich täglich vermehrte, und trotz der gewaltigen, den Provinzen abgepreßten Summen, die nach Wien strömten, blieben der Kaiserin-Königin nach Abzug der festen, regulären Ausgaben nur zwei Millionen zur freien Verfügung. So war also kein anderer Fonds vorhanden als die 4 Millionen Taler, die Feldmarschall Lacy durch seine Ersparnisse bei der Heeresverwaltung zurückgelegt hatte. Indes hatte die Wiener Bank durch pünktliche Verzinsung der vom Hof aufgenommenen Kapitalien ihren Kredit in Holland und Genua so befestigt, daß der Hof, wenn er neue Anleihen machen mußte, auf neue Hilfsquellen rechnen konnte. Nimmt man zu diesem gesicherten Kredit ein stehendes Heer von 170 000 Mann, so wird jeder Leser leicht zugeben, daß die österreichische Macht damals furchtgebietender war als unter den früheren Kaisern, selbst unter Karl V.
Frankreich war, so wie wir es geschildert haben, sehr heruntergekommen, wenn man seinen damaligen politischen Zustand mit dem verglich, was es in der großen Zeit Ludwigs XIV. gewesen war. Seine Fruchtbarkeit schien erschöpft; es schien
1 Vgl. S. 47 f. 50.