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3. Kapitel
Heerwesen

Durch sieben Kriegsjahre mit siebzehn Feldschlachten und fast ebenso vielen, nicht minder blutigen Gefechten, drei Belagerungen, die die Preußen unternommen, und fünf, die sie ausgehalten, ganz zu geschweigen von den Unternehmungen gegen die feindlichen Winterquartiere und anderen ziemlich ähnlichen Operationen, war die Armee sehr zusammengeschmolzen. Ein großer Teil der besten Offiziere und alten Soldaten war gefallen. Um sich ein Bild davon zu machen, braucht man sich nur zu vergegenwärtigen, daß allein der Sieg bei Prag 20 000 Mann gekostet hatte. Dazu rechne man 40000 österreichische Gefangene und fast ebensoviel preußische, unter ihnen über 300 Offiziere, die Überfüllung der Lazarette mit Verwundeten und die Tatsache, daß in den Infanterieregimentern nicht über 100 Mann waren, die ihnen im Jahre 1756, zu Beginn des Krieges, angehört hatten.

Durch den Verlust von mehr als 1 500 Offizieren, die in den verschiedenen Kämpfen gefallen waren, war der Adel seiner besten Kräfte beraubt. Im Lande waren nur noch Greise oder halbwüchsige Knaben. Bei dem Mangel an Edelleuten mußten die zahlreichen unbesetzten Offizierssiellen mit Bürgerlichen ausgefüllt werden. Bei manchen Bataillonen waren nicht mehr als 8 diensttuende Offiziere; die anderen waren gefallen oder verwundet oder kriegsgefangen. Aus diesen traurigen Verhältnissen ergibt sich leicht, daß selbst die alten Truppenteile ohne Ordnung, Zucht und Exaktheit waren; folglich fehlte es ihnen an Tatkraft.

Das war der Zustand des Heeres, als es nach dem Hubertusburger Frieden in seine alten Quartiere einrücke. Die Regimenter zählten damals mehr Landeskinder als Ausländer; die Kompagnien waren 162 Mann stark; 40 davon wurden entlassen und halfen der Landwirtschaft wieder auf. Die Freibataillone69-1 wurden zur Komplettierung der Garnisonregimenter verwandt, und diese beurlaubten gleichfalls den Überschuß an Landeskindern. Bei der Kavallerie entließ jedes Regiment 150 Mann, bei den Husaren 400. Durch diese Entlassungen erhielt das flache Land 30 780 Bauern zurück, die ihm fehlten. Dabei verblieb es jedoch nicht. Früher war<70> die Zahl der Landeskinder willkürlich gewesen; jetzt wurde sie auf 720 Mann pro Regiment festgesetzt. Was zum vollen Bestände der Kompagnien fehlte, wurde im Ausland angeworben. Die Kantonnisten erhielten Erlaubnis, sich ohne Genehmigung ihres Hauptmanns zu verheiraten. Wenige blieben Junggesellen; die große Mehrzahl trug lieber zur Vermehrung der Bevölkerung bei. Die Wirkungen dieser weisen Maßnahmen entsprachen den Erwartungen der Regierung. Schon 1773 überstieg die Zahl der Enrollierten70-1 die der von 1756 beträchtlich.

Früher hatten die Hauptleute sich von dem zurückbehaltenen Sold der Urlauber ihren Ersatz selbst angeworben. Diese Methode hatte allzu viele Mißbräuche gezeitigt. Die Offiziere hoben gewaltsam aus, um Geld zu sparen; alle Welt beschwerte sich; kein Fürst wollte dergleichen Gewalttaten in seinem Lande dulden. Die ganze Einrichtung wurde also geändert. General Wartenberg70-2 zog allein den Sold der Veurlaubten ein; davon bekamen die Hauptleute, außer ihrem Gehalt, 30 Taler monatlich. Der Überschuß wurde für die Werbung im Ausland verwandt70-3. Sie lieferte jährlich 7 bis 8 000 fremde Rekruten, die mit Weib und Kind, die sie mitbrachten, eine Kolonie von etwa 10 000 Menschen ausmachten. Obwohl einzige Söhne von Bauern von der Aushebung befreit waren, hob sich das Größenmaß der Kantonnisien von Jahr zu Jahr. Im Jahre 1773 war in den Infanterieregimentern keine Kompagnie mehr, die Leute unter 5 Fuß 5 Zoll hatte.

Die Infanterie- wie Kavallerieregimenter wurden in mehrere Inspektionen eingeteilt70-4, damit wieder Ordnung, Genauigkeit und strenge Disziplin hineinkam, im ganzen Heere völlige Gleichmäßigkeit herrschte und Offiziere wie Soldaten in jedem Regiment die gleiche Ausbildung erhielten. Die Regimenter am Rhein und an der Weser erhielten zum Inspekteur den General Diringshofen, die magdeburgischen Saldern, die kurmärkischen wurden zwischen Namin, Steinkeller und Oberst Buttlar verteilt, die pommerschen erhielten Möllendorff, die ostpreußischen Stutterheim und die schlesischen den General der Infanterie Tauentzien zum Inspekteur70-5. Generalleutnant Bülow bekam die Kavallerieinspektion in Ostpreußen, Seydlitz in Schlesien, General Lölhöffel in Pommern und der Neumark, während die Kavallerie in der Kurmark und im Magdeburgischen unter General Krusemarck70-6 stand.

Die Wiederherstellung der Ordnung und Disziplin in der so heruntergekommenen Infanterie machte unsägliche Mühe. Es bedurfte der Strenge, um den Soldaten<71> wieder gehorsam zu machen, steter Übung, damit er behend wurde, und langer Gewöhnung, damit er viermal in der Minute laden lernte, ohne Schwanken in der Front marschierte, kurz all die Bewegungen ausführte, die im Felde bei den verschiedensten Gelegenheiten von ihm verlangt werden. War aber der gemeine Mann auch ausgebildet, so war es noch schwerer, die jungen Offiziere diensttüchtig zu machen und ihnen das nötige Verständnis für ihren Beruf beizubringen. Um ihnen Übung in den verschiedenen Truppenbewegungen zu geben, ließ man sie in der Nähe ihrer Garnison manövrieren. Sie mußten die verschiedenen Aufmärsche, Angriffe in der Ebene, auf feste Stellungen und Dörfer, die Bewegungen bei der Avantgarde, beim Rückzuge, beim Formieren der Karrees üben, damit sie sowohl angreifen wie sich verteidigen lernten. Das wurde den ganzen Sommer hindurch geübt und täglich ein Teil ihres Pensums wiederholt. Um diese Exerzitien auch in größeren Verbänden zu machen, versammelten sich die Truppen alljährlich zweimal, im Frühjahr und im Herbst71-1. Dann wurden nur kriegsmäßige Übungen ausgeführt, Angriffe und Verteidigung fester Stellungen, Fouragierungen, Kriegsmärsche aller Art und Scheingefechte, wo die Truppen die dafür entworfenen Dispositionen ausführten. So ward, wie Vegetius sagt, der Friede für die preußischen Heere zur Schule und der Krieg zur praktischen Anwendung des Gelernten.

Man darf indes nicht glauben, daß die ersten Manöver nach dem Kriege sehr glänzend ausfielen. Es bedarf der Zeit, damit die angewandte Taktik zur Gewohnheitssache wird, die die Truppen mühelos ausführen. Erst seit dem Jahr 1770 begann die angestrebte Genauigkeit sich zu zeigen. Seitdem erhielt die Armee ein neues Gepräge, und man konnte gewiß sein, daß auf sie Verlaß war, wenn sie ins Feld geführt wurde.

Um diesen Grad der Vollkommenheit zu erreichen, der für das Staatswohl so wichtig ist, hatte man alle Bürgerlichen aus dem Heer ausgemerzt und sie in die Garnisonregimenter gesteckt, wo sie mindestens so viel leisteten wie ihre Vorgänger, die wegen Dienstuntauglichkeit in Pension geschickt wurden. Da das Land aber nicht Edelleute genug für die Armee lieferte, so nahm man seine Zuflucht zu Ausländern aus Sachsen, Mecklenburg und dem Reiche, unter denen sich manche tüchtige Offiziere befanden. Diese Sorgfalt in der Auswahl des Offiziersersatzes ist wichtiger, als man glaubt; denn im großen und ganzen hat der Adel Ehrgefühl. Es ist zwar nicht zu leugnen, daß hin und wieder auch Verdienst und Talent bei Nichtadligen vorkommt, aber das ist doch recht selten der Fall. Findet man es indessen, so soll man es festhalten. Im allgemeinen aber kann der Adel sich nur durch das Schwert auszeichnen. Verliert ein Adliger seilte Ehre, so findet er nicht einmal mehr im Elternhause Zuflucht, wogegen ein Bürgerlicher, der sich mit Schande bedeckt hat, das Gewerbe seines Vaters ohne Erröten wieder aufnimmt und sich darum doch nicht entehrt fühlt.

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Der Offizier hat sehr viele Kenntnisse nötig, aber zum Wichtigsten gehört die Kenntnis der Fortifikation: bei Belagerungen gibt sie ihm Gelegenheit, sich auszuzeichnen. Wird er selbst belagert, so kann er gute Dienste leisten. Gilt es, ein Lager zu befestigen, so benutzt man seine Einsicht. Soll ein Stützpunkt in der Postenkette der Winterquartiere verschanzt werden, er wird dazu herangezogen. Kurz, hat er nur etwas Talent, so findet er hundert Gelegenheiten, sich hervorzutun. Damit es den Offizieren nicht an Belehrung auf einem so wichtigen Gebiet der Kriegswissenschaft fehlte, gab der König jeder Inspektion einen Ingenieuroffizier bei, der die begabten jungen Offiziere unterrichtete72-1. Nachdem sie die Elemente der Befestigungskunst erlernt hatten, ließ man sie Befestigungen je nach dem Gelände entwerfen. Sie steckten Lager ab, trafen Marschdispositionen und durften aufihren Zeichnungen nicht einmal die Kavallerievorposten auslassen. Durch dies Studium erweiterte sich ihr Ideenkreis; sie lernten großzügig denken, beherrschten die Regeln der Lagerkunst und erwarben sich schon in jungen Jahren die Kenntnisse eines Generals.

Bei aller Sorgfalt, die man der Infanterie des Feldheeres zuwandte, wurden die Garnisonregimenter nicht vernachlässigt. Die Verteidiger einer Festung können ebenso gute Dienste leisten, wie die, welche Feldschlachten gewinnen. Man merzte ans ihnen all das Gesindel sowohl an Offizieren wie an Soldaten aus, disziplinierte sie wie die Feldregimenter, und der König besichtigte sie alljährlich bei den Revuen in den Provinzen genau wie jene. Das Größenmaß war bei ihnen geringer; trotzdem maß kein Mann unter 5 Fuß 3 Zoll. Obwohl sie nicht so schnell feuerten wie die Feldinfanterie, hätte jeder General sie von 1773 an gern in seiner Brigade gehabt.

Die Kavallerie hatte bei weitem nicht so große Verluste erlitten wie die Infanterie. Da sie stets siegreich gewesen war, so waren die alten Offiziere und Soldaten mit geringen Ausnahmen noch am Leben. Je länger ein Krieg dauert, um so mehr wird allemal die Infanterie leiden. Umgekehrt wird die Kavallerie immer besser, je länger er währt. Mit großer Sorgfalt wurde diese treffliche Truppe mit den besten Remonten versehen, die sich finden ließen.

Immerhin hatten einige Kavalleriegenerale, die als Detachementsführer Infanterie unter sich gehabt hatten, diese ungeschickt benutzt; der gleiche Vorwurf ließ sich übrigens auch gegen einige Infanterieführer erheben, die ihre Kavallerie unverständig verwandt hatten. Um solchen groben Fehlern künftig vorzubeugen, verfaßte der König ein Werk über Taktik und Lagerkunst72-2, das allgemeine Regeln für die Defensive wie für öle Offensive, sowie verschiedene Angriffs- und Verteidigungspläne nebst allen Dispositionen enthielt, und zwar auf Gegenden angewandt, die die ganze Armee kannte. Dies Lehrbuch voll handgreiflicher Vorschriften, die durch die Erfahrung Her vergangenen Kriege erhärtet waren, wurde den Inspekteuren anvertraut, die es ihrerseits den Generalen, den Bataillonskommandeuren und den Re<73>gimentskommandeuren der Kavallerie zu lesen gaben. Im übrigen wurde streng darauf gesehen, daß die Öffentlichkeit keine Kenntnis davon erhielt. Dies Buch hatte größere Wirkung, als man erwartet hatte. Es erschloß den Offizieren das Ver-ständnis der Manöver, deren Sinn sie früher nicht erfaßt hatten. Ihre Einsicht wuchs sichtlich; und da der Erfolg im Kriege wesentlich an der Ausführung der Dispositionen hängt und man sich desto mehr Erfolg versprechen kann, je mehr geschickte Generale man hat, durfte man mit Recht annehmen, daß bei so viel Sorgfalt für die Ben lehrung der Offiziere die Befehle genau befolgt und daß die Generale keine groben Fehler machen würden, durch die eine Schlacht verloren gehen konnte.

Nach dem Brauch, der sich im letzten Kriege herausgebildet hatte, war die Artillerie zu einer Hauptwaffe geworden. Die Zahl der Kanonen hatte man so riesig vermehrt, daß daraus ein Mißbrauch geworden war73-1. Um aber nicht den kürzeren zu ziehen, mußte man ebensoviel haben wie der Gegner. Man wußte also mit der Wiederher-stellung der Feldartillerie beginnen und 868 Kanonen umgießen. Danach richtete man seine Sorgfalt auf die Festungsgeschütze, die zum Teil ausgeschossen waren. Munitionswagen wurden eingeführt, damit jedes Infanteriebataillon seine Reserven Munition stets bei sich hatte. Sie war für jeden Zug in besondere Säcke verpack, um desto schneller verteilt zu werden. Die Pulvermühlen wurden verdoppelt; sie lieferten jährlich 6 000 Zentner Pulver. Zugleich wurden in den Gießhäusern Bomben, Kanonenkugeln und Granaten gegossen.

Die Festungen wurden mit Bohlen und Schwellen für den Batteriebau verschen, und da man eine völlige Reserveartillerie für die Armee haben wollte, wurden noch 868 Feldgeschütze neu gegossen. All dies verschiedene Kriegsmaterial nebst 60 000 Zentnern Pulver wurde gegen Ende des Jahres 1777 an die Zeughäuser abgeliefert. Die Ausgaben für die Artillerie einschließlich der Reparaturen ihrer Munitionswagen und Trains beliefen sich auf 1 Million 960 000 Taler. Das war viel, aber die Ausgabe war nötig.

Beim Ausbruch des Krieges von 1756 hatte Preußen nur 2 Bataillone Artillerle gehabt, bedeutend weniger als der Feind. Man erhöhte sie also auf 6 Bataillone zu 900 Mann, außer den selbständigen Kompagnien, die in den verschiedenen Festungen lagen. Nach dem Frieden blieb die Artillerie auf diesem Fuße. In Berlin wurden große Kasernen für sie errichtet, damit sie stets beisammen war und besser und gleichmäßiger für ihre Aufgaben ausgebildet werden konnte. Die Offiziere erhielten Unterricht in der Fortifikation, damit sie sich im Festungskriege vervollkommneten. Die Kanoniere und Bombardiere exerzierten jahraus jahrein. Sie lernten eine Batterie in einer Nacht errichten, die feindlichen Geschütze demontieren, Rollschüsse abgeben und die Bomben trotz der verschiedenen Windrichtung, die sie vom Ziele forttreibt, an den rechten Fleck werfen. Die Feldgeschütze mußten in Linie vor<74>rücken, als ob sie zwischen den Bataillonen ständen; sie mußten die geringste Bodenwelle benutzen, um jeden Vorteil wahrzunehmen, und jedesmal zielen, bevor sie schossen. Da überall Verbesserungen gemacht wurden, so hatte man eine neue Haubitze erfunden, die Granaten auf 4000 Schritt feuerte74-1. Die Bombardiere wurden mit diesem Geschütz auf verschiedene Entfernungen ausgebildet. Auch wurde die Notwendigkeit erkannt, der Feldartillerie den denkbar höchsten Grad der Beweglichkeit zu geben. Zu dem Zweck wurden bei ihr noch einige Evolutionen eingeführt, damit die Geschütze, von den Mannschaften gezogen, ununterbrochen mit den Bataillonen vorrücken konnten.

Die Armee hatte zwar viele Feldzüge hinter sich, aber oft hatte es dem Hauptquartier an guten Quartiermeistern gefehlt. Der König wollte sich geeignete Leute heranbilden und suchte sich zwölf Offiziere von großer Begabung aus, um sie persönlich anzuleiten74-2. Zu dem Zweck mußten sie Geländeaufnahmen machen, Lager abstecken, Dörfer befestigen, Höhen verschanzen, sogenannte Mahlwerke errichten, Marschdispositionen treffen; vor allem aber wurden sie dazu angehalten, alle Moräste und alleWasserläufe selbst zu untersuchen, um keine Flüchtigkeitsfehler zu begehen und etwa einem Heere einen durchwatbaren Fluß oder gar einen Morast zur Anlehnung zu geben, den die Infanterie durchschreiten kann, ohne sich die Knöchel naß zu machen. Solche Fehler sind folgenschwer; ohne sie wären die Franzosen nicht bei Malplaquet (1709) und die Österreicher nicht bei Leuthen geschlagen worden.

Die Erziehung der adligen Jugend, die den Waffenberuf ergreift, verdient die größte Sorgfalt. Man kann sie von klein auf für den erwählten Beruf erziehen und sie durch gute Vorbildung so weit bringen, daß ihre Fähigkeiten sich früh entwickeln, wie Frühobst, das trotz seiner vorzeitigen Reife am wohlschmeckendsten ist. Während des letzten Krieges war die Kadettenerziehung sehr heruntergekommen. Sie lag so im argen, daß die jungen Leute, wenn sie die Ansialt verließen, knapp lesen und schreiben konnten. Um das Übel mit der Wurzel auszurotten, stellte der König den General von Buddenbrock74-3 an die Spitze des Kadettenkorps (1759). Er war im ganzen Lande unzweifelhaft der Geeignetste zu diesem Amte. Zugleich wurden gute Lehrer berufen und ihre Zahl nach Maßgabe der Schüler, die sie unterrichten sollten, vermehrt. Um zugleich der schlechten Erziehung der adligen Jugend in Pommern abzuhelfen — die Eltern waren zu arm, um sie gut zu erziehen —, gründete der König eine Schule in Stolp, wo 56 adlige Knaben auf seine Kosten gekleidet, ernährt und unterrichtet wurden74-4. Nachdem sie dort die erste Schulbildung genossen hatten, kamen sie ins Berliner Kadettenkorps, wo sie ihre Studien vervollständigten. Hier lernten sie hauptsächlich Geschichte, Geographie, Logik, Mathematik und Befestigungskunst —Kenntnisse, die ein Offizier schwerlich entbehren kann. Zugleich<75> gründete der König eine Ritterakademie75-1 (1765), in welche die begabtesten Kadetten aufgenommen wurden. Er gab ihr selbst die Gestalt und erließ eine Instruktion75-2, die den Studiengang und die Erziehung der Zöglinge betraf. Zu Lehrern wurden die tüchtigsten Professoren genommen, die sich in Europa auftreiben ließen. Fünfzehn junge Edelleute wurden in der Anstalt erzogen; je drei hatten einen Gouverneur. Die ganze Erziehung zielte darauf ab, die Urteilskraft der Zöglinge auszu-bilden. Die Ritterakademie bewährte sich; aus ihr gingen in der Folge tüchtige Männer hervor, die in die Armee traten.

Nach der Eroberung Schlesiens waren verschiedene Festungen angelegt worden. Die meisten bedurften des Ausbaus. Silberberg mußte ganz neu errichtet werden; es sollte die Gebirgspässe beherrschen, die linkerhand nach Glatz und rechts nach Braunau führen. Diese verschiedenen Bauten kosteten bis 1777 vier Millionen 146 000 Taler. In Pommern wurde Kolberg mit einem Aufwand von 800 000 Talern neu befestigt, da sich bei dem Einfall der Russen gezeigt hatte, daß die Festung in solchen Fällen äußerst wichtig werden konnte. Obwohl an allen Festungen tatkräftig gearbeitet wurde, blieben doch 1778 noch verschiedene Ausgaben zur letzten Vollendung des Begonnenen. Alles in allem waren wohl noch 200 000 Taler erforderlich.

General Wartenberg75-3, der das Ökonomiedepartement leitete, hatte ebensoviel zu tun wie die anderen Offiziere in ihren verschiedenen Dienstzweigen. Der Friede diente zur Vorbereitung für den Krieg. Im Jahre 1777 wurden 140 000 neue Gewehre in Spandau hergestellt, Ersatzsäbel für die ganze Kavallerie, Bandeliere, Sattel- und Zaumzeug, Wehrgehenke, Kochtöpfe, Hacken und Äxte und eine komplette Garnitur Zelte für die gesamte Armee. All diese zahlreichen Ausrüstungsgegenstände wurden in zwei großen Gebäuden niedergelegt, die man die Kleiderkammern der Armee nannte; nur die Gewehre kamen ins Zeughaus. Außerdem wurden 3 Millionen Taler zurückgelegt, um die Kavallerie im Kriegsfalle mit neuen Remonten zu versehen und die in den Schlachten verloren gegangenen Uniformsiücke zu ersetzen. Eine andere Summe war für die Aushebung von 22 Freibataillonen bestimmt. Durch diese Zurüstungen im Frieden wurde die Last eines Krieges wenigstens für einige Feldzüge erleichtert, so drückend sie auch bei längerer Dauer wird.

Auch die Kriegsmaschine75-4 wurden nicht vergessen. Eins wurde in Magdeburg angelegt, ein zweites in den schlesischen Festungen. Jedes enthielt 36 000 Wispel Roggen, mit denen ein Jahr lang zwei Heere von 70 000 Mann erhalten werden konnten. Das erste war für die Armee bestimmt, die in Böhmen oder Mähren operieren sollte, das andere für die gegen Sachsen oder Böhmen gerichtete Armee. Der Wert dieser Magazine wurde auf 1 Million 700 000 Taler berechnet. In den drei Teuerungsjahren,<76> von denen weiter oben die Rede war76-1, wurden diese Magazine angegriffen, aber seit 1775 wieder auf den ursprünglichen Bestand gebracht.

Allein die Waffenmagazine des Generals Wartenberg und die großen VorratsMagazine mit Korn reichten noch nicht hin, damit die Armee, sobald es nötig wurde, ins Feld rücken konnte. Eine der schwierigsten Fragen war, wie man so viele Pferde finden und zusammenbringen sollte, als zum Betrieb einer so großen Heeresmaschine nötig sind. Schott der ungeheure Artilleriepark, der Mode geworden war, erforderte eine Unmenge von Zugtieren; außerdem waren Pferde für die Zelte, das Offiziersgepäck und die Lebensmittel nötig. Man machte einen Überschlag, wieviel man brauchen würde, und es ergab sich die Zahl von 60 000 Pferden. Da aber das Land sie alle unmöglich allein aufbringen kennte, so verteilte man 30 000 auf die Provinzen und schloß des weiteren Verträge mit Unternehmern ab, die sich verpflichteten, gegen eine feste Summe aufBestellung binnen drei Wochen die anderen 30 000 Pferde zu liefern.

Nach dem Frieden war die Armee auf den Fuß von 151 000 Mann gesetzt worden. Angesichts der polnischen Wirren, die einen neuen Krieg befürchten ließen, hielt der König es im Jahre 1768 für geraten, die Kompagnien bei 12 Infanterieregimentern um je 40 Mann zu vermehren76-2. Zu ihrer Unterbringung mußten Kasernen erbaut werden, was 360 000 Taler kostete. Die Husarenregimenter und Bosniaken, die nur 1 100 Mann stark waren, wurden auf 1400 gebracht. Ein Bataillon von 1000 Mann, das Rossières76-3 zum Chefbekam, wurde neu ausgehoben und in die Festung Silberberg gelegt. Durch diese verschiedenen Vermehrungen erhielt die Armee einen Friedensfuß von 161 000 Mann.

Diese Anstrengungen waren nötig: bei der Unsicherheit der Lage mußte man auf alles gefaßt sein. Besonders im Lauft des Jahres 1771, während die Unterhandlungen am lebhaftesten waren76-4, ließ sich unmöglich erraten, welche Partei der Wiener Hof ergreifen würde, die der Pforte oder Rußlands. Da jedoch das Haus Österreich allem Anschein nach mehr zu den Türken als zu den Verbündeten des Königs hinüberneigte, so beschloß er, die ganze Kavallerie mit Remonten zu versehen und die Pferde für die Augmentationen zugleich anzuschaffen. Das waren 8 000 Pferde, die auf einmal gekauft wurden. Die Tatsache wurde bald in ganz Europa ruchbar, und der Wiener Hof begriff, daß der König entschlossen war, seiner Bundesgenossin, der russischen Zarin, mit aller Kraft beizustehen. Nun hielt man es in Wien für besser, die polnische Beute mit den beiden Mächten, die den Vorschlag dazu gemacht hatten, zu teilen, als sich in einen neuen Krieg zu stürzen, in dem man mehr aufs Spiel setzte, als zu gewinnen war.

Durch das Einvernehmen der drei Höfe kam es zur Teilung Polens, wie wir es in dem Kapitel über die Politik geschildert haben. Da das vorliegende Kapitel aber<77> nur den militärischen Dingen gewidmet ist, wollen wir die Erwerbung Westpreußens hier lediglich vom militärischen Standpunkt betrachten. Sie war von großer Bedeutung; denn durch sie erhielt Pommern Verbindung mit Ostpreußen. Bei der Darstellung des letzten Krieges wird man bemerkt haben, daß der König alle vom Kern seiner Lande getrennten oder zu weit abliegenden Provinzen hatte aufgeben müssen, so die niederrheinischen und westfälischen, besonders aber Ostpreußen. Diese Provinz lag nicht nur getrennt vom übrigen Staate, sondern war von Pommern und der Neumark auch noch abgeschnitten durch einen Strom von beträchtlicher Tiefe und Breite. Man mußte Herr des Weichsellaufes sein, um Ostpreußen halten zu können. Nachdem aber die Teilung geregelt war, konnte der König Festungen an der Weichsel anlegen und sich die Übergänge sichern, wie er es für geraten fand. Dadurch konnte er nicht allein Ostpreußen halten, sondern im Fall eines Mißerfolges auch die Weichsel und Netze als starke Schranken benutzen, um den Feind am Vordringen nach Schlesien oder nach Pommern und der Neumark zu hindern.

Andrerseits lieferte die Neuerwerbung Mittel zu einer beträchtlichen Heeresvermehrung. Die Armee wurde im Frieden auf 186 000 Mann gebracht und sollte im Kriegsfalle, einschließlich der Freibataillone und anderer ähnlicher Hilfskorps, aus 218 000 Kombattanten erhöht werden.

Die Vermehrung bestand aus folgendem:

4 Garnisonbataillone und Grenadierkompagnien3 150 Mann,
2 neue Bataillone Artillerie2 510 „
5 Infanterieregimenter auf Friedensfuß8 500 „
1 Husarenregiment1 400 „
36 Infanterieregimenter, pro Kompagnie um 20 Mann vermehrt8 640„
Die Jäger vermehrt um300 „
1 neue Mineurkompagnie150 „
Insgesamt24 650 Mann.

Zur Führung der Grenadierbataillone wurden 25 neue Majore mit ebensoviel Adjutanten ernannt. Sonst nahm man sie in Kriegszeiten aus den Infanterieregimentern77-1; jetzt ist diese Charge bleibend geworden. Außerdem wurden die Kanoniere der reitenden Artillerie77-2 beritten gemacht, damit sie schon im Frieden geübt waren und so im Kriege Besseres leisten konnten. Die Gesamtvermehrung belief sich auf 25 22O Mann. Zum Unterhalt dieser neuen Truppen brauchte man 1 Million 250 000 Taler, die Westpreußen zahlen mußte.

Bei allen Maßnahmen im Staatswesen entstehen allemal Konsequenzen, die die Regierung beizeiten bedenken muß. Da die Kräfte des Staates vermehrt waren, mußte ein neuer Anschlag für die Erfordernisse eines künftigen Feldzugs gemacht werden. Im Jahre 1773 hatte die Armee einschließlich der Vermehrung 141 Feld<78>bataillone, 63 Schwadronen Kürassiere, 70 Schwadronen Dragoner, 100 Schwadronen Husaren nebst der Feldartillerie, die 9 600 Kanoniere und Bombardiere zählte, ungerechnet 1 200 Festungsartilleristen und 36 Garnisonbataillone. Nach diesem Be-stände, zu dem noch 22 Freibataillone kamen, wurde der Überschlag der Mobilmachungskosten gemacht. Auf die Provinzen wurde die Lieferung von 23 000 Troßknechten für die Truppen wie für die Artillerie und das Proviantwesen verteilt. Vom Ankauf und der Gestellung von 60 000 Pferden war schon die Rede. Die Gesamtkosten wur-den auf 4 Millionen 246 000 Taler berechnet. Diese Summe wurde in den sogenannten kleinen Staatsschatz gelegt, der lediglich zu diesem Zwecke bestimmt war.

Auf gleicher Grundlage wurden die außerordentlichen Ausgaben für die Armee während eines Kriegsjahres berechnet. Um nicht fehlzugehen, nahm man zur Richtschnur den kostspieligsten Feldzug des verflossenen Krieges, in dem die verlustreichsten Schlachten stattgefunden hatten, nämlich den des Jahres 1757. Dabei ergab sich die Summe von II Millionen 200 000 Talern. Bei derartigen Berechnungen ist es besser, zu hoch als zu niedrig zu greifen; denn hat man zu viel, so schadet das nichts; hat man aber zu wenig Geld, so setzt man viel aufs Spiel.

Diese so nützlichen und notwendigen Berechnungen fußen auf langer Erfahrung. Die entsprechenden Summen für die Mobilmachung sind im kleinen Staatsschatz niedergelegt, die für die Bestreitung eines Kriegsjahres in dem großen Staatsschatz. Tritt dann mit der Zeit der Fall ein, daß nicht alle Kräfte des Staates in Anspruch genommen zu werden brauchen, so ist es kinderleicht, die Ausgaben nach der Truppenzahl zu berechnen, die man in Tätigkeit setzen will. Könnte andrerseits die Armee noch einmal vermehrt werden, so weiß man, was im Kriege eine Schwadron, ein Bataillon nebsi der dazugehörigen Artillerie kostet, und durch ein einfaches Rechen-exempel kann man diese Summe zu dem hinzuaddieren, was nach dem bereits gemachten Überschlag unbedingt notwendig ist, nicht für einen gewöhnlichen Feldzug, sondern für den allerkostspieligsten.

Durch genaue Angaben über die Art der Reorganisation der Armee und alle dazu benutzten Mittel, alle Einzelheiten, auf die eingegangen werden mußte, glauben wir mit unserer Darstellung auch der Nachwelt von Nutzen gewesen zu sein. Das halbe Menschenleben vergeht mit dem Wiedergutmachen der erlittenen Schicksalsschläge. Käme im Laufe der Zeit die Regierung einmal in eine ähnliche Lage, so darf man annehmen, daß es ihr sehr erwünscht wäre, zusehen, wie sich ihre Vorgänger dabei benommen haben. Das gibt ihr ein Bild, was sie zu tun hat, und sie kennt die Einzelheiten, auf die man unbedingt eingehen muß, um eine zusammengeschmolzene und zerrüttete Armee wieder hochzubringen und sie in einen Zustand zu versetzen, kraft dessen die Monarchie auf Erhaltung ihres Ruhmes und ihres Daseins hoffen kann.

Das Gesagte genügt für die Vergangenheit. Nur etwas ist noch hinzuzufügen: es betrifft den Plan des Königs zur Verteidigung von Ost- und Westpreußen. Vor<79> der Erwerbung Westpreußens mußte Ostpreußen im Stich gelassen werden, sobald sich ein Feind an der Grenze zeigte. Denn wäre dort eine preußische Armee geschlagen worden, so hatte sie nur zwei Rückzugslinien, die eine auf Königsberg, wo sie bald eingeschlossen und vielleicht zu einer schimpflichen Kapitulation gezwungen worden wäre, ähnlich wie der Herzog von Cumberland bei Stade79-1; oder sie hätte sich auf die Weichsel zurückziehen müssen, wo sie weder Magazine noch Festungen noch selbst Brücken zum Passieren des Flusses gefunden hätte.

Jetzt aber liegen die Dinge anders. Man konnte also einen vernünftigen Verteidigungsplan entwerfen, der vorherige Maßnahmen gestattete, nämlich die Errichtung von Festungen, die Anlage von Magazinen oder die Erbauung von Brücken. Folgendes wurde bestimmt.

Zur Verteidigungslinie für ganz Preußen wurde die Weichsel gewählt. Zunächst beschloß man, an ihren Ufern eine starke Festung zu bauen. Als geeignetester Punkt wurde Graudenz erkoren, und zwar nicht die Stadt selbst, sondern eine beherrschende Anhöhe in ihrer Nähe. Das bot einen doppelten Vorteil. Die Ossa und ein anderer Wasserlauf, die eine Viertelmeile von der zu befestigenden Stelle fließen, konnten, mit Schleusen versehen, die Umgegend unter Wasser setzen; dadurch wurde die Stellung unangreifbar. Man begann also mit dem Bau dieser wichtigen Festung. Nichts wurde gespart; der Plan befindet sich in der Plankammer. Wir wollen also nichts hinzufügen, außer daß die hohe Lage die Erbauung von drei Minensystemen übereinander gestattete, die sich bis auf 120 Schritt vor dem Glacis verzweigen. Ein Vorratsmagazin für die Truppen wurde erbaut. Obwohl das Ganze jetzt, im Jahre 1779, noch nicht ganz fertig ist und noch 800 000 Taler erforderlich sind, bis alles zur Vollendung gediehen sein wird, so ist doch wenigstens ein Anfang gemacht, und zwei Schiffrücken sind vorhanden, um den Fluß zu überschreiten, je nachdem, wie die Umstände erfordern.

Bemerkt sei nebenbei, daß die Weichsel bei ihrer Breite und ihrem reißenden Laufe auf Pontons ohne Schiffe nicht zu überschreiten ist. Um aber den Platz noch zu verstärken, müssen mit der Zeit noch zwei kleine Forts erbaut werden, das eine an der Nogat bei Marienburg und das andere bei Bromberg an der Mündung der Drewenz in die Deichsel, damit nämlich der Feind keine Schisse von Warschau oder vom Haff herbeischaffen kann, um den Fluß oberhalb oder unterhalb der Festung zu überschreiten.

Das eben dargelegte Projekt bildete die dritte Verteidigungslinie. Dank seiner Bodenbeschaffenheit bietet Preußen nämlich so vorteilhafte Abschnitte, daß man dem Feinde das Land Fuß um Fuß streitig machen kann. Die erste Verteidigungslinie liegt hinter der Memel, die bei Tilsit vorbeifließt und sich in die Ruß ergießt79-2. Dort<80> findet man fast uneinnehmbare Stellungen, die von Ingenieuren aufgenommen sind. Die Armee kann, solange sie dort sieht, ihren Unterhalt aus Königsberg beziehen und ihre Bäckerei in Tilsit anlegen. In diesem Falle ist aber zweierlei zu befürchten. Kommen die Russen hier mit überlegenen Kräften angerückt, so zwingen sie die Preußen rasch zum Verlassen der Stellung. Sie brauchen nur eine starke Abteilung durch Polen auf Grodno marschieren zu lassen, die der Armee in den Rücken fällt und sie zum schleunigen Verlassen des Memelabschnitts nötigt. Oder sie schiffen 10 000 Mann auf Kriegsschiffen ein, die geradenwegs durch das Haff fahren, bei Königsberg landen und sich der Stadt ohne Widerstand bemächtigen können. Damit fallen ihnen zugleich die Armeemagazine in die Hand.

Die zweite Verteidigungslinie liegt hinter der Inster und weiterhin hinter dem Pregel. Die günstigste Stellung hinter der Insier ist rechts von Insterburg an der Mündung der Pissa. Die Armee kann sich dann gleichfalls aus Königsberg verproviantieren, und die Magazine lassen sich im Notfall durch Transporte von Elbing nach Königsberg auf dem Weg über das Haff erneuern. Der Rückzug aus dieser Stellung ist durch Wälder gesichert, die dem schwächeren Teil Schutz bieten. Trüge in einer dieser Gegenden die Armee einen Sieg über den Feind davon, st wäre damit der Krieg sogleich an das Ost- oder Nordende der Provinz verlegt. Die Stellung bei Insierburg, deren rechte Flanke durch die Inster gedeckt wird, ist so vorzüglich, daß ein aus Polen vordringendes russisches Korps lange und mit äußerster Geschicklichkeit manövrieren müßte, bevor es ihr etwas anhaben könnte.

Angenommen jedoch, man müßte dem Feind diese Gegend überlassen, so muß die Armee durch Wälder auf Nordenburg marschieren und von da die Stellung zwischen Schippenbeil und Hartenstein erreichen. Wendet sich der Feind aber mehr nach Polen hin, so muß sie auf Lötzen rücken; und da die Entfernung von Lötzen bis Graudenz zu beträchtlich ist, um die Armee von so weither versorgen zu können, st muß unbedingt ein Zwischenfort errichtet werden, um dort ein Lebensmitteldepot unterzubringen. Der rechte Fleck dazu ist zwischen den Dörfern Borowen und Nibben, die an einem großen See liegen. Hält man ihn für geeignet, so kann man neben diesem Fort ein verschanztes Lager anlegen, durch das es vor jedem Angriff gesichert ist. In dieser von Natur starken, von Seen, Sümpfen und Flußläufen umgebenen Stellung könnte man sich lange halten, ohne eine feindliche Umgehung befürchten zu müssen. Denn angenommen selbst, der Feind wollte über die Weichsel oder Netze vordringen, so kann er die Armee doch nicht ernstlich beunruhigen, da er keinerlei Fortschritte machen könnte; auch müßte der Heerführer schon äußerst dumm sein, da er mit diesem Marsche den Preußen Gelegenheit gäbe, ihm in den Rücken zu kommen. Setzt man aber beim Feind einen anderen Plan voraus und nimmt an, er werde nur ein Detachement nach Thorn schicken, um dort über die Weichsel zu gehen, so glauben wir doch nicht, daß der Schade beträchtlich sein könnte. Dies Detachement könnte die neue Festung Graudenz weder belagern noch einnehmen, und st wäre dem Plan der <81>preußischen Defensive keinerlei Abbruch getan. Ich frage aber: wie kann das feindliche Detachement in einem so unfruchtbaren Lande wie Pomerellen seinen Unterhalt finden? Es setzt sich dem Hungertod aus; denn solange die Preußen Herren der Weichsel sind, kann kein Feind sich dort halten. Somit kann der preußische General, der in einem verschanzten Lager bei Lötzen oder Borowen sieht, dreist Detachements in den Rücken des Gegners senden, um die feindlichen Korps zu vertreiben, die die Weichsel und Netze überschritten haben.

Ziehen wir die letzte Konsequenz und nehmen wir an, die Abschnitte von Memel und Ruß, von Inster und Pregel, die Lager bei Lötzen und Borowen ließen sich auf die Dauer nicht halten und man müßte nach einigen Feldzügen notgedrungen über die Weichsel zurückgehen. Böte dann der Fluß nicht eine sehr beträchtliche Schranke?

Dieser Umstand sowie das oben Gesagte führt uns auf die Frage, was zu tun wäre, falls der Bruch mit den Russen unvermeidlich würde und man auf einen Angriff von Ostpreußen her gefaßt sein müßte. Unter solchen Umständen gilt es sofort, sich Danzigs zu bemächtigen und zugleich die Festung auf dem linken Weichselufer wieder instand zu setzen; der jenseitige Teil wird durch die Überschwemmungen hinreichend geschützt. Diese Vorsichtsmaßregeln und das Fort an der Nogat genügen zur Deckung der rechten Flanke des Lagers bei Bromberg. Anders sieht es mit Thorn. Man muß sich wohl hüten, es zu besetzen; denn seine unvorteilhafte Lage inmitten eines Höhenkranzes gestattet keine wirksame Verteidigung. Mithin bedarf das Lager bei Graudenz zum Schutze der rechten Flanke nur des Forts von Bromberg, und seine Verteidigungslinie darf sich nicht weiter ausdehnen. Beide Forts haben nur den Zweck, den Feind am Zusammenbringen von Schiffen zum Übergang über die Weichsel zu hindern, sei es flußaufwärts vom Haff her, sei es flußabwärts von Warschau her. Denn Pontons genügen für den Fluß nicht; es bedarf richtiger Schiffe, um eine Brücke zu schlagen. Um keine Möglichkeit unberührt zu lassen, ist eins zuzugeben: Sobald die Russen ihre Flotte benutzen wollen, um Truppen zu landen — sei es bei Danzig oder selbst bei Stolp in Pommern —, kann man sie nicht daran hindern. Aber das können nur schwache Korps sein, die ein Detachement des Lagers bei Graudenz leicht vertreiben kann.

Soviel von der linken Flanke. Rechterhand sind andere Maßregeln erforderlich. Zunächst ist nichts leichter, als gleich beim Ausbruch des Krieges die Weichselbrücke bei Thorn abzubrechen. Ich gestehe aber, daß das nicht hinreicht; denn der Feind kann von Warschau her beliebig viel Schiffe herbeischaffen, um dort eine Brücke zu schlagen. Hier beginnen nun die strategischen Manöver. Was hindert einen General, aus dem Lager bei Graudenz stracks auf Thorn zu marschieren, sobald der Übergang des Feindes feststeht, ihn von der Weichsel abzuschneiden und die feindliche Armee ohne Kampf in die Enge zu treiben? Aus allem hier Dargelegten schließen wir, daß ein geschickter Heerführer Preußen auch bei mäßigen Streitkräften mehrere Feldzüge hindurch halten kann. Er hat drei<82> Stellungen, die hervorragende Vorteile bieten, bevor er den Weichselabschnitt zu halten braucht: 1.die Memel, 2.die Inster, 3. Lötzen. Muß er sich ungünstigsten Falls auf Graudenz zurückziehen, so kann er durch kräftige Verteidigung der Weichsel und Netze auf die oben angegebene Art zugleich Pommern und Schlesien decken.

Der König ist bei diesem Plane nicht stehen geblieben; er hat alle Lager aufnehmen lassen. Ingenieuroffiziere haben die Pläne gezeichnet; alle Märsche sind eingetragen, die Dispositionen neben jede Marschroute gesetzt, sodaß ein General, der mit der Verteidigung Preußens betraut ist, seine Arbeit völlig zugerichtet findet; ihm bleibt nur noch der Ruhm, sie auszuführen. Von diesem Verteidigungsplan sind zwei Exemplare hergestellt. Das eine befindet sich im Gouvernementsarchiv in Königsberg, das andere in Potsdam in der Plankammer.


69-1 Die Freitruppen waren erst während des Krieges ausgehoben und wurden nach Friedensschluß wieder entlassen. Vgl. Bd. VI, S. 173 und 295.

70-1 Die in die Stammrolle Eingetragenen. Für die Einrichtung der Kantons vgl. Bd. l, S. 186; VI, S. 225 ff.; VII, S. 169 f.

70-2 Generalmajor Friedrich Wilhelm von Wartenberg leitete die Bekleidungs-, Ausrüstungs- und Ersatzangelegenheiten (vgl. Bd.VI, S.224).

70-3 Vgl. Bd. VI, S.224 und 226.

70-4 Vgl. Bb. VI, S. 234 und 239.

70-5 Die Generalmajore Bernhard Alexander von Diringshofen, Friedrich Christoph von Saldern, Friedrich Ehrentreich von Namin; die Obersten Anton Abraham von Steinkeller, Julius Treusch von Buttlar; die Generalmajore Wicharb Joachim Heinrich von Möllendorff, Joachim Friedrich von Alt-Stutterheim; Generalleutnant Bogislav Friedrich von Tauentzien.

70-6 Die Generalleutnants Christoph Karl von Bülow, Friedrich Wilhelm von Seydlitz die Generalmajore Friedrich Wilhelm von Lölhöffel, Hans Friedrich von Krusemarck.

71-1 Vgl. Bd. VII, S. 173 f.

72-1 Vgl. Bd. VI, S. 242 und 276 f.

72-2 Die „Grundsätze der Lagerkunst und der Taktik“ von 1770 (vgl. Bd. VI, S. l27 ff.).

73-1 Vgl. Bd. III, S. 13; VI, S. 118 ff. 227 ff.

74-1 Vgl. Bd. VI, S.229. -

74-2 Vgl. Bd. VI, S.242. -

74-3 Generalmajor Johann Jobst Heinrich Wilhelm von Buddenbrock. -

74-4 Für die Gründung des Kadettenkorps in Kulm vgl. S. 67.

75-1 Die Académie des Nobles. Auch sie stand unter Buddenbrocks Leitung.

75-2 Vgl. Bd. VIII, S. 251 ff.

75-3 Vgl. S. 70.

75-4 Vgl. Bd. VI, S. 222; VII, S. 180 f.

76-1 Vgl. S. 63.

76-2 Vgl. Bd. VI, S. 233.

76-3 Oberst Franz Ludwig von Rossières, Kommandant von Silberberg.

76-4 Vgl. S. 29 f.

77-1 Vgl. Bd. VI, S. 257.

77-2 Vgl. Bd. VI, S. 230.

79-1 Gemeint ist die Konvention von Kloster Zeven vom 8. September 1757 (vgl. Bd. III, S. 91).

79-2 Vielmehr teilt sich die Memel unterhalb Tilsit in die Nuß und Gilge und ergießt sich ins Kurische Haff.