Die wichtigsten Begebenheiten von 1774 bis 1778
Die sich leicht denken läßt, kamen der Neid, der Haß und die Eifersucht, die die Teilung Polens unter den europäischen Mächten erregt hatte, nicht so bald zur Ruhe. Das Ereignis war noch zu neu und der Eindruck zu frisch, als daß die Herrscher, deren Eigenliebe dadurch verletzt wurde, es ruhig hingenommen hätten.
Frankreich boste sich im stillen, daß es ihm nicht gelungen war, die Konföderation von Bar aufrechtzuerhalten. Es konnte sich nicht verhehlen, daß der Krieg gegen Rußland, zu dem es der Türkei geraten, eine schlimme Wendung genommen hatte. Es fühlte sich gewissermaßen gedemütigt, weil eine Monarchie von seiner Bedeutung auf die polnischen Wirren so wenig Einfluß gehabt hatte. Nicht geringer war seine Besorgnis über die engen Beziehungen, die sich zwischen der Kaiserin-Königin, der Zarin und dem König von Preußen anzuknüpfen begannen. Ein solcher Dreibund hätte in Europa ein zu entschiedenes Übergewicht erlangt, als daß man in Versailles ruhig zuschauen durfte. Doch das war nur trügerischer Schein: die drei Mächte waren weit entfernt von einem so engen Bundesverhältnis, wie es die Öffentlichkeit annehmen mochte.
Ludwig XVI. hatte soeben den Thron bestiegen. Ein Bischof händigte ihm das politische Testament ein, das der Dauphin, des Königs Vater, ihm anvertraut hatte83-1, um es seinem Sohne bei seiner Thronbesteigung zu übergeben. Der König machte es sich zur Pflicht, dem Willen seines Vaters in allen Dingen nachzukommen. Die Folge davon war, daß der von Ludwig XV. entlassene Maurepas unter Ludwig XVI. Premierminister wurde83-2, während Aiguillon verbannt ward, und daß Choiseul jegliche Hoffnung verlor, wieder in Gunst zu gelangen. Maurepas war Ende det Siebziger. Unter der vorhergehenden Regierung war er lange Minister gewesen. Er besaß also Geschäftskenntnis, war auch geistig bedeutend und zu großen Entwürfen fähig, aber, wie gesagt, nicht mehr in dem Alter, wo die Seele noch Feuer genug besitzt, um etwas Großes zu unternehmen. Die schlechte Finanzverwaltung der vorangehenden Regierung hatte den Staat an den Rand eines allgemeinen Bankrotts<84> gebracht. Dies Schreckbild machte Maurepas stutzig: mehr als 40 000 Familien, die ihr ganzes Vermögen in Staatspapieren angelegt hatten, standen vor dem Zusammenbruch. Pflegen die Minister auch wenig nach den Leiden des Volkes zu fragen, so sind sie doch nicht unempfindlich gegen den Tadel, der sich notgedrungen gegen sie richtet. Der Versailler Vertrag bestand noch, so wenig vorteilhaft er auch für Frankreich war. Überdies hatte Maurepas Rücksicht auf die junge Königin84-1 zu nehmen, Kaiser Josephs Schwester und Maria Theresias Tochter. Zeigte sie sich nur etwas gefällig, so konnte sie von heute auf morgen solchen Einfluß auf ihren königlichen Gatten gewinnen, daß sie ihn völlig beherrschte. Und so bot denn der alte Vormund bei seinem Mündel, dessen Charakter sich noch nicht gefestigt hatte, abwechselnd Behutsamkeit und Festigkeit auf, um zu verhindern, daß die Regierung in Weiberhände geriete.
Andrerseits freute sich Frankreich, Englands alte Rivalin, über die Unruhen, die in Amerika zwischen den englischen Kolonien und dem Mutterlande ausbrachen. Unter der Hand schürte es den Empörungsgeist und ermunterte die Amerikaner, ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Despotismus zu wahren, den König Georg III.. dort aufrichten wollte. Ja, es machte ihnen Aussichten auf Beihilfe, die sie von der Freundschaft des Allerchrisitichsten Königs erwarten könnten.
Ein ganz anderes Bild bietet der Londoner Hof. Der Schotte Bute84-2 beherrscht das Reich und den König und hüllt sich — wie die bösen Geister, von denen man immerfort redet und die man nie sieht — bei all seinen Unternehmungen in tiefstes Dunkel. Seine Sendlinge, seine Kreaturen sind die Hebel, mit denen er die Staatssmaschine nach seinem Willen treibt. Sein System ist das der alten Torys: nach ihrer Behauptung geht es England nur dann gut, wenn der König despotisch schaltet und Großbritannien sich auf keinerlei Bündnisse mit den Kontinentalmächten einläßt, sondern sich lediglich der Förderung seiner Handelsinteressen widmet. Paris ist in seinen Augen das gleiche, was Karthago für den Zensor Cato war. Dürfte Bute handeln, wie er wollte, und könnte er alle französischen Schiffe zusammentreiben, er würde sie auf einen Schlag vernichten. Er ist herrisch und hart in der Regierung, wenig wählerisch in der Wahl seiner Mittel, aber die Ungeschicklichkeit seiner Geschäftsführung ist noch größer als sein Starrsinn. Zur Ausführung seiner weitschauenden Pläne begann er mit der Bestechung des Unterhauses. Eine Million Pfund Sterling, die die Nation dem König jährlich für seine Zivilllsie zahlt, reichte kaum hin, um die feilen Parlamentsmitglieder zu befriedigen. Diese Summe, die zum Unterhalt der königlichen Familie, des Hofes und der Gesandten bestimmt ist, diente also Jahr für Jahr dazu, der Nation das Rückgrat zu brechen, und so Neb Georg III. zum Leben und zur würdigen Repräsentation in London nichts als die 500 000 Taler aus seinem Kurfürstentum Hannover. Das englische Volk, durch<85> seinen eigenen Herrscher erniedrigt und entwürdigt, kannte fortan keinen anderen als dessen Willen.
Doch alle diese Rechtswidrigkeiten schienen noch nicht hinreichend: Lord Bute plante einen noch keckeren und entscheidenderen Schlag, um das despotische Regiment, auf das er hinauswollte, desto rascher aufzurichten. Er bewog den König, den amerikanischen Kolonien willkürliche Steuern aufzuerlegen85-1, teils um seine Einkünfte zu erhöhen, teils um ein Beispiel zu geben, das mit der Zeit in Großbritannien Nachahmung finden konnte. Doch wir werden ja sehen, daß dieser Akt des Despotismus nicht die erwarteten Folgen zeitigte.
Die Amerikaner, die Bute keiner Bestechungsversuche gewürdigt hatte, lehnten sich offen gegen die Steuern auf, die gegen Recht und Brauch und namentlich gegen die seit ihrer Gründung bestehenden Freiheiten verstießen. Eine weise Regierung hätte die Unruhen im Keime erstickt, allein das Londoner Ministerium verfuhr nach ganz anderen Grundsätzen. Es kam zu neuen Händeln wegen einiger Kaufleute, die das Monopol auf gewisse ostindische Waren hatten; die Kolonien sollten gezwungen werden, diese zu kaufen85-2. Die Härte und Gewaltsamkeit des Verfahrens brachte den Aufruhr zum Ausbruch. Auf einem Kongreß in Philadelphia warfen die Amerikaner das ihnen unerträglich gewordene englische Joch ab und erklärten sich für frei und unabhängig (4. Juli 1776). Dadurch wurde Großbritannien in einen höchst kostspieligen Krieg mit seinen eigenen Kolonien verwickelt. Hatte Lord Bute diese Sache aber ungeschickt angefangen, so führte er sie noch ungeschickter fort, als der Krieg ausbrach. Er hielt 7 000 Mann regulärer Truppen tatsächlich für hinreichend, um Amerika zu unterwerfen, und da er in seinen Berechnungen kein Newton war, irrte er sich jedesmal. General Washington, oder wie man ihn in London nannte, das Haupt der Rebellen, trug schon bei den ersten Feindseligkeiten Erfolge über die bei Boston versammelten Royalisten davon. König Georg war auf Siege gefaßt; die Nachricht von dieser Niederlage überraschte ihn, und die Regierung sah sich genötigt, ihre Maßnahmen zu ändern.
Es lag auf der Hand, daß die in Amerika vorhandenen Truppen zum Erreichen des vorgesteckten Zieles nicht genügten. Es galt also, eine Armee aufzustellen, trotzdem man sich der Schwierigkeit bewußt war, so viele Leute aufzutreiben und zusammenzubringen. Die Engländer haben es jederzeit an Gewandtheit und Schmiegsamkeit in ihren Unternehmungen fehlen lassen. Nur auf ihren eigenen Vorteil erpicht, verstehen sie es nicht, die anderen bei dem ihren zu fassen. Mit ihren Guineen<86> glaubten sie alles ausrichten zu können. Sie wandten sich also zunächst an die Zarin, stießen sie aber durch ihre Anerbietungen um so mehr vor den Kopf, als die stolze Katharina es weit unter ihrer Würde fand, Subsidien von einer fremden Macht anzunehmen. Schließlich fanden sie in Deutschland geldgierige oder verschuldete Fürsten, die das englische Geld nahmen. So bekamen die Engländer 12 000 Hessen, 4000 Braunschweiger, 1200 Ansbacher, ebenso viele aus Hanau, und ein paar hundert Leute, die ihnen der Fürst von Waldeck stellte. Außerdem sandte der Hof 4 000 Hannoveraner nach Gibraltar und Port Mahon zur Ablösung der dortigen englischen Garnisonen, die nach Amerika geschickt wurden. All diese Truppen standen unter Lord Howe und seinem Bruder, dem Admiral86-1, wie wir seinerzeit berichten werden. Jedes Kriegsjahr kostete den Engländern 6 Millionen Pfund Sterling oder 36 000 Millionen Taler. Die englischen Staatsschulden wurden schon damals auf 900 Millionen Taler beziffert. Da ein Kriegsjahr zur Unterwerfung der Kolonien nicht ausreichte, ließ sich also bereits damals voraussehen, daß die Staatsschuld in Bälde eine Milliarde übersteigen würde.
Der folgende Feldzug brachte keine Entscheidung. Die Amerikaner behaupteten sich gegen Lord Howe und alle ihm nachgeschickten Verstärkungen; doch gegen Ende des Jahres 1777 wandte sich das Glück offen den Kolonien zu. Auf Befehl des Hofes rückte General Burgoyne mit 13 000 Mann aus Kanada an, um nach den ihm gegebenen Weisungen gegen Boston zu operieren, während Lord Howe, der nichts davon erfuhr, sich Philadelphias bemächtigt hatte. Dieser Mißgriff verdarb alles. Burgoyne hatte keine Pferde zum Transport der Lebensmittel und konnte seine Unternehmung ohne sie nicht durchführen. Er mußte sich mit all seinen Truppen den Amerikanern, die er unterwerfen wollte, gefangen geben86-2. Eine solche Katastrophe hätte in früheren Zeiten die ganze Nation gegen die Regierung in Harnisch gebracht, ja selbst eine Revolution herbeigeführt. Damals erregte sie nur leises Murren: so sehr überwog die Liebe zum Gelde die Vaterlandsliebe. Das englische Volk, einst so edel und hochherzig, setzte den persönlichen Vorteil über das Gemeinwohl.
König Georg III., der aus Laune oder Eigensinn an Butes System festhielt, versteifte sich auf die Überwindung der Hindernisse, die sich vor ihm türmten. Gleichgültig gegen das Unglück, das er auf sein Volk wälzte, verfolgte er seine Pläne nur um so leidenschaftlicher. Um sich die Überlegenheit über die Amerikaner zu verschaffen, ließ er an allen deutschen Höfen Unterhandlungen anknüpfen, um ihnen die letzten Hilfskräfte abzupressen, die sie noch liefern konnten. In Deutschland spürte man bereits den Ausfall an Menschen, die in jene fernen Länder verschickt worden waren, und der König von Preußen sah voller Besorgnis, daß das Reich sich all seiner Verteidiger entblößte, besonders im Hinblick auf die Möglichkeit eines neuen<87> Krieges. Hatten doch im Kriege von 1756 Niedersachsen und Westfalen allein ein Heer gestellt, das alle Invasionspläne der Franzosen zum Stocken gebracht und vereitelt hatte. Aus diesem Grunde machte er Schwierigkeiten beim Durchmarsch der Truppen, die an England verkauft waren, soweit ihr Weg durch das Magdeburgische, das Mindener Land und die niederrheinischen Provinzen führte. Das war nur eine schwache Vergeltung für die schlimmen Praktiken, die der Londoner Hof wegen der Stadt Danzig und ihres Hafens87-1 gegen ihn geübt hatte. Immerhin wollte der König die Dinge nicht auf die Spitze treiben. Lange Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß man schon Feinde genug auf Erden hat, auch wenn man sich nicht die Mühe gibt, sich leichtfertig neue auf den Hals zu laden.
Soviel von England während der kurzen Zeitspanne, deren Begebenheiten wir hier skizzieren wollen. Wir ziehen nun die Summe des Denkwürdigen, das sich zur selben Zeit in Rußland zutrug.
Die Kaiserin von Rußland hatte eben den Türkenkrieg beendet87-2. Ihre Truppen hatten ihr großen Ruhm erstritten, aber der Staat war an Menschen und Geld fast erschöpft und der Friede so wenig gesichert, daß der Großwesir selbst dem russischen Gesandten bei der Pforte, Fürst Repnin, erklärte: wenn der Krim-Khan nicht unter die türkische Herrschaft zurückkehrte und die Zarin Kertsch und Ienikala nicht zurückgäbe, so würde der der Türkei abgepreßte Friede nicht von langer Dauer sein. Auf Grund dieser Erklärung besetzten die russischen Truppen Perekop, und alsbald brachen die Feindseligkeiten in der Krim wieder aus. Es war kein förmlicher Krieg, bei dem zwei große Heere sich gegenüberstanden, sondern es kam nur zu Einfällen, zu Landungen türkischer Truppen an verschiedenen Küstenpunkten, die zu kleinen Kämpftn führten. Die Russen gingen zwar stets als Sieger daraus hervor, aber dieser Ungewisse Zustand beunruhigte die Zarin. Mußte sie doch ihr Heer an der Grenze der Tartarei versammeln und ein starkes Korps in Kiew halten, um im Notfall einer Truppenmacht von 40 000 Türken entgegenzutreten, die bei Bender lagerten und von da leicht einen Vorstoß quer durch Polen gegen die russischen Provinzen jenseits des Dnjestr machen konnten. So herrschte weder Krieg noch Friede; die Ausgaben der Zarin waren aber ebenso groß wie bei einem erklärten Kriege zwischen beiden Mächten.
Andere Vorgänge, die nicht minder zur Zeitgeschichte gehören, spielten sich am Petersburger Hofe selbst ab. Als ihr Sohn, der Thronfolger, ins heiratsfähige Alter kam, wollte die Zarin ihm eine Gattin auswählen. Es sollte eine deutsche Prinzeß sein, deren Alter und Person ihrem Sohne zusagte. Die Wahl war für den Berliner Hof nicht gleichgültig, da diese Eheschließung seinen Interessen günstig oder nachteilig werden konnte. Deutschland war damals arm an Prinzessinnen. Nur drei oder vier kamen in Frage; die meisten waren zu alt oder zu jung. Unter denen, die zur Wahl standen, war eine Schwester des Kurfürsten von Sachsen87-3, eine württem<88>bergische Prinzeß88-1 — sie war recht jung — und drei Töchter des Landgrafen von Hessen-Darmstadt, deren älteste Schwester den Prinzen von Preußen geheiratet hatte. Es war also höchst vorteilhaft, wenn eine darunter Großfürstin wurde; dann hätten die verwandtschaftlichen Bande das politische Bündnis noch gefestigt und Preußen enger denn je mit Rußland verknüpft. Der König setzte alle Hebel in Bewegung, um es dahin zu bringen, und das gelang ihm auch völlig. Die Darmstädtischen Prinzessinnen reisten über Berlin nach Petersburg; die zweite Tochter des Landgrafen trug den Apfel davon, und die Hochzeit wurde feierlich begangen (1773)88-2.
Die neue Großfürstin betrug sich nicht so, wie man von einer Prinzessin ihres Geblüts erwarten durfte. Sie war in einer Zeit der Ränke und Kabalen nach Petersburg gekommen, wo der ganze Hof durch die Umtriebe der fremden Gesandten aufgewühlt war. Der spanische und französische Vertreter88-3 setzten alles daran, um Hader zwischen Rußland, Österreich und Preußen zu stiften. Fürchteten sie doch, daß ein allzu festes Bündnis zwischen diesen drei Mächten zustandekommen könnte. Um ihr Ziel zu erreichen, glaubten sie sich eine Partei bilden zu müssen, die ihnen zu Gebote stände. So kamen sie auf den Einfall, wenn sie die Großfürstin auf ihre Seite brächten, werde ihnen das übrige nicht schwer fallen. Zu dem Zweck gewannen sie einen Fürsten Rasumowski, der im persönlichen Dienste des Großfürsten war. Als Werkzeug der Gesandten ging Nasumowski in seiner Dreistigkeit so weit, daß er zum Liebhaber der Großfürstin wurde, bei der er dank der Gunst ihres Gatten freien Zutritt hatte. Sie machte sich die Ansichten ihres Geliebten zu eigen und geriet völlig in seinen Bann. Auf diese Weise kam sie ganz in das Fahrwasser des spanischen Botschafters. Anderthalb Jahre nach der Hochzeit ward sie guter Hoffnung, aber wie man sich allgemein zuraunte, nicht von ihrem Gemahl. Der Berliner Hof bekam Wind von all diesen Umtrieben und gefährlichen Machenschaften.
Ferner waren damals neue Reibereien in Warschau wegen der polnischen Gebiete entstanden, die die Teilungsmächte besetzt hatten. Die Sarmaten erhoben lautes Gezeter und beschuldigten Österreich und Preußen, ihre Grenzen weit über das vertragsmäßig Ausbedungene erweitert zu haben88-4. Diese Klagen hatten Eindruck auf die Zarin gemacht; denn es schmeichelte ihrer Eigenliebe, an große Monarchen Provinzen verschenkt, und mehr noch ihrem Stolze, die Grenzen bestimmt zu haben.
Um den etwaigen schlimmen Folgen der Verstimmung der Zarin vorzubeugen und sie schleunigst.zu beschwichtigen, beschloß der König, Prinz Heinrich nach Petersburg zu schicken, angeblich um ihr einen Besuch abzustatten, zu dem sie ihn eingeladen hatte88-5. Hinzugefügt muß werden, daß der König sich mit dem Wiener Hofe ins Ein<89>vernehmen gesetzt hatte, sodaß beide Mächte ihre Besitzungen trotz des Geschreis der Polen unverkürzt behielten. Während sie gleichzeitig den russischen Hof zu beruhigen suchten, verfolgte Fürst Kaunitz in seiner doppelzüngigen Politik nur das Ziel, den Berliner Hof mit dem Petersburger zu entzweien. Zu dem Zweck ließ er dem letzteren erklären, die Kaiserin-Königin habe lediglich aus Gefälligkeit gegen die Zarin beschlossen, der Republik Polen einen Teil der Woiwodschaft Lublin zurückzuerstatten, alles Gebiet am rechten Ufer des Bug, die Krakauer Vorstadt Casimir und noch einige andere Stücke, die sie in Besitz hatte.
Unter diesen eigentümlichen und heiklen Umständen kam Prinz Heinrich nach Petersburg. Er hatte die Franzosen, Spanier und Österreicher gegen sich. Kaum war er von der Zarin empfangen worden, so starb die Großfürstin bei der Geburt eines toten Kindes89-1. Prinz Heinrich, der der Szene beiwohnte, stand der Zarin bei diesem Schicksalsschlage bei, soviel er vermochte. Besonders aber nahm er sich des Großfürsten an, der durch diesen ebenso ungewohnten wie düstern Vorgang tieferschüttert war. Prinz Heinrich wich nicht von seiner Seite; es gelang ihm nicht allein, zur Wiederherstellung seiner Gesundheit beizutragen; sein Meisterwerk war die völlige Wieder-aussöhnung zwischen Mutter und Sohn. Hatten doch die Zerwürfnisse und die Feindschaft zwischen beiden seit der Heirat des Großfürsten derart zugenommen, daß für einen von beiden Teilen schlimme Folgen daraus zu erwachsen drohten. Die Zarin war tiefgerührt über den Liebesdienst, den Prinz Heinrich ihr erwiesen hatte; seither wuchs sein Einfluß von Tag zu Tag. Er machte den besten Gebrauch davon. Die Zarin war willens, ihren Sohn sogleich wiederzuverheiraten. Prinz Heinrich schlug ihr die Prinzessin von Württemberg89-2 vor, die Großnichte des Königs, und dieser Vorschlag fand sofort ihren Beifall. Außerdem wurde beschlossen, daß der Großfürst den Prinzen Heinrich nach Berlin begleiten sollte, um die Prinzessin zu sehen und sich mit ihr zu verloben. Darauf sollte er sie nach Petersburg geleiten und sich dort mit ihr vermählen.
Schwieriger fiel es dem Prinzen, die Forderungen der Polen zu durchkreuzen, die von Preußen die Rückgabe einiger Landstriche verlangten. Die Österreicher waren mit dem Beispiel voraufgegangen; Rußland bestand darauf, daß der König ihrem Vorgang folgte. Die Sache wurde dem russischen Gesandten in Polen, Stackelberg, zur Vermittlung überwiesen, und nachdem man sich schlecht und recht geeinigt hatte, erstattete der Berliner Hof der Republik den Goplo-See, das linke Drewenz-Ufer und einige Dörfer in der Umgegend von Thorn zurück.
Wir wollen den Empfang des Großfürsten hier nicht ausführlich schildern: es war von der Grenze bis nach Berlin eine Kette von Festlichkeiten, bei denen sich Prunk und Geschmack um die Ehre stritten, den erlauchten Gast würdig zu feiern89-3. Nicht<90> verhehlen aber dürfen wir, wie die Menschenkenner über den Charakter des jungen Großfürsten urteilten. Er zeigte sich stolz, hochmütig und heftig, und so fürchteten alle, die die russischen Verhältnisse kennen, er werde Mühe haben, sich auf dem Thron zu behaupten, oder als Herrscher eines harten und halbwilden Volkes, das durch die milde Regierung mehrerer Kaiserinnen verwöhnt war, ein ähnliches Schicksal erleiden wie sein Vater.
In Wien glaubte man nicht, daß der Großfürst nach Berlin kommen werde. Fürst Kaunitz verließ sich auf die Wirkung seiner Ränke. Er war überzeugt, dadurch, daß sein Hof als erster einige den Polen entrissene Gebiete zurückerstattet hätte, sei der Berliner Hof mit dem Petersburger unwiderruflich verfeindet. In dem Augenblick aber, wo er zu triumphieren glaubt, erfährt er, daß der Großfürst in Berlin ist, daß er die Prinzessin von Württemberg heiratet, und daß die Beziehungen zwischen Preußen und Rußland enger denn je sind.
Verfehlte Kaunitz auch seinen Streich in Petersburg, so entschädigte er sich doch auf Kosten der Türkei; denn der Wiener Hof hatte, unter dem Vorwand einer Grenzregulierung zwischen Ungarn und der Walachei, die Bukowina besetzt90-1, die sich bis auf eine Meile von Chozim erstreckt. Die Türken waren unwissend, oder besser gesagt, töricht genug, ohne einen stichhaltigen Grund von österreichischer Seite und ohne Klage in diese Zerstücklung ihrer Staaten zu willigen. Die anderen Mächte dachten nicht so. Rußland hatte allen Grund, auf die Erwerbung des Wiener Hofes am Dnjestr eifersüchtig zu sein; denn im Besitz eines Gebietes in nächster Nähe von Chozim konnten die Österreicher den russischen Heeren den Übergang über den Dnjestr verwehren, sobald diese ihre Eroberungen auf die Moldau oder Walachei ausdehnen wollten. Ließen sie aber die russischen Truppen hinüber, so konnten sie ihnen als Herren der Bukowina die Lebensmittel abschneiden oder doch wenigstens in den Kriegen zwischen Rußland und der Türkei als Schiedsrichter auftreten, je nachdem, wie es ihnen vorteilhaft dünkte.
Andrerseits intrigierten die Österreicher unaufhörlich in Konstantinopel, um die Erbitterung wachzuhalten, die der letzte Friedensschluß zwischen Rußland und der Türkei erregt hatte, und um neue Zerwürfnisse herbeizuführen. Auch die Franzosen bliesen ins Feuer. Diese geheimen Umtriebe rüttelten endlich den Großherrn auf und führten zu der schon erwähnten Erklärung an den Fürsten Repnin90-2 und zu den Plänkeleien in der tartarischen Krim, die in der Folge beigelegt wurden.
Wien war damals Europas Pläneschmiede und der Herd der Intrigen. Der höchst anmaßliche und hochmütige österreichische Hof, der die anderen beherrschen wollte, richtete seine Blicke überallhin, um seine Grenzen zu erweitern und die Staaten, die ihm bequem lagen, seiner Monarchie einzuverleiben. Im Osten trachtete die österreichische Ländergier nach Serbien und Bosnien. Im Süden bot sich ein Teil der<91> Besitzungen der Republik Venedig als lockende Beute dar. Man wartete in Wien nur auf eine Gelegenheit zur Aufteilung dieses günstig gelegenen Gebietes, um dadurch Triest und die Lombardei mit Tirol zu verbinden. Das war aber noch nicht alles. Nach dem Tode des Herzogs von Modem, dessen Erbin ein Erzherzog geheiratet hatte91-1, gedachte man das Herzogtum Ferrara, das die Kurie besaß91-2, zurückzufordern und dem König von Sardinien91-3 das Gebiet von Tortona und Allessandria abzunehmen, da es von jeher den Herzögen von Mailand gehört hatte. Nach Westen bildete Bayern einen verlockenden Köder. Als Nachbarland Österreichs eröffnete es ihm einen Weg nach Tirol. Im Besitz Bayerns, war das Haus Österreich fast im Besitz des ganzen Donaulaufes. Außerdem hielt man es in Wien den Interessen des Kaisers für nachteilig, wenn Bayern und die Pfalz in eine Hand kämen91-4. Da der Kurfürst von der Pfalz durch die bayerische Herrschaft zu mächtig geworden wäre, war es also besser, daß der Kaiser Bayern selbst einsteckte91-5. Geht man von Bayern donauaufwärts, so kommt man nach dem Herzogtum Württemberg, auf das der Wiener Hof höchst berechtigte Ansprüche zu haben glaubte. Alle diese Eroberungen hätten eine Länderbrücke von Wien bis zum Rheine gebildet; dort konnte das einst zum Reiche gehörige Elsaß Frankreich wiederabgenommen werden. Von da endlich führte der Weg nach Lothringen, das noch vor kurzem das Erbland von Josephs Vorfahren gewesen war. Wenden wir uns nun zum Norden, so gelangen wir nach Schlesien, dessen Verlust Österreich nicht verschmerzen konnte, und das der Wiener Hof bei der ersten Gelegenheit zurückgewinnen wollte.
Der Kaiser war noch zu unreif, um seine weitschauenden Pläne zu verbergen und zu verschleiern. Seine Lebhaftigkeit verriet ihn häufig; er wußte nicht, wie nötig VerStellungskunst in der Politik ist. Ein Beispiel dafür möge genügen. Gegen Ende des Jahres 1775 litt der König von Preußen unter heftigen, andauernden Gichtanfällen. Van Swieten, der Sohn eines Arztes und kaiserlicher Gesandter in Berlin, hielt diese Gicht für eine ausgeprägte Wassersucht. Stolz darauf, seinem Hofe den Tod eines lange gefurchtsten Gegners anzeigen zu können, meldete er dem Kaiser dreist, es ginge mit dem König zu Ende, und er würde kein Jahr mehr leben. Sofort gerät Josephs Gemüt in Wallung. Alle österreichischen Truppen rücken ins Feld; Böhmen wird zum Sammelpunkt bestimmt, und der Kaiser harrt in Wien ungeduldig auf die Todesnachricht, um sofort durch Sachsen gegen die brandenburgische Grenze vorzudringen und den Nachfolger vor die Wahl zu stellen: entweder Schlesien sofort an Österreich herauszugeben, oder sich von seinen Truppen erdrückt zu sehen, bevor er sich<92> zur Verteidigung rüsten kann. Da all das ganz öffentlich geschah, wurde es überall ruchbar und trug, wie sich leicht denken läßt, nicht zur Erhöhung der Freundschaft zwischen beiden Höfen bei. Der Öffentlichkeit erschien diese Szene um so lachhafter, als der König von Preußen nur die gewöhnliche Gicht hatte und bereits geheilt war, ehe die österreichische Armee sich versammelt hatte. Nun ließ der Kaiser alle seine Truppen wieder in ihre Quartiere abrücken, und der Wiener Hof war für sein unkluges Benehmen an den Pranger gestellt.
Im folgenden Jahre, 1777, unternahm der Kaiser inkognito eine Reise nach Frankreich. Sein Aufenthalt in Paris und Versailles trug nicht dazu bei, die Bande zwischen beiden Völkern enger zu knüpfen. Er hatte weit mehr Lebensart und Schliff als Ludwig XVI. Der französische Monarch konnte seine Eifersucht auf diese Vorzüge kaum verhehlen. Nun wollte Joseph auch die französischen Provinzen bereisen. Er ließ sich dort wohl mehr gehen als in der Hauptstadt und zeigte unverhohlenen Neid auf die guten Fabriken, Handelseinrichtungen und ähnliche Schöpfungen des französischen Gewerbefleißes. Manchmal sogar, wenn er schlechter Laune war, nahm er die Ehrungen und Aufmerksamkeiten, mit denen man ihm entgegenkam, in unwirscher und hochfahrender Weise entgegen. Diese Kleinigkeiten entgingen dem französischen Scharfblick nicht. Bei Hofe hatte der Kaiser sich durch Höflichkeit hervorgetan; in der Provinz erlegte er sich weniger Zwang auf und erschien mchr als Neider denn als Freund der Nation, bei der er zu Gaste war. So verlor er alles Ansehen, das er sich durch seine Liebenswürdigkeit erworben hatte.
AufIoseph hingegen machte diese Reise einen ganz anderen Eindruck. Er hatte die Normandie bereist, die Bretagne, Provence, das Languedoc, Burgund und die Franche-Comté — lauter Provinzen, die früher von eigenen Vasallenfürsten beherrscht, allmählich aber der Monarchie einverleibt worden waren. Diese Tatsache machte ihm tiefen Eindruck und regte ihn zu dem, wie ihm schien, demütigenden Vergleich zwischen der zu einer Einheit zusammengefaßten Ländermaffe Frankreichs und dem Zustand in Deutschland an. Er war zwar das Oberhaupt des Reiches, aber unter den Reichsfürsten waren so mächtige Könige und Herrscher, daß sie ihm Widerstand leisten, ja ihn bekriegen konnten. Hätte er die Macht besessen, er hätte flugs alle deutschen Lande unter seine Herrschaft gebracht, sich selbst zum Gebieter des weiten Reiches aufgeworfen und sich dadurch mächtiger gemacht als alle Monarchen Europas. Dieser Plan beschäftigte ihn unausgesetzt. Nach seiner Meinung durfte ihn das Haus Österreich nie aus den Augen verlieren.
Diese ehrsüchtigen Pläne erweckten in ihm die Leidenschaft, sich Bayerns zu bemächtigen. Obwohl der Tod des bayrischen Kurfürsten keineswegs nahe schien, sparte der Kaiser weder Intrigen noch Bestechung, um den Kurfürsten von der Pfalz und dessen Minister auf seine Seite zu ziehen. Aber wer sollte denken, daß so abstoßende und empörende Dinge in Mannheim mit solcher Offenheit und solchem Mangel an Zurückhaltung behandelt wurden, daß nicht nur Deutschland, nein, ganz Europa Be<93>scheid wußte! Der König von Preußen, der den Wiener Hof nie aus den Äugen ver-lor, kam als einer der ersten hinter dies schändliche Treiben. Österreich war zu gefährlich und zu mächtig, um vernachlässigt zu werden, zumal man die Pläne seiner Feinde genau kennen muß, wenn man ihnen entgegentreten will.
Aus den verschiedenen angeführten Tatsachen ergibt sich, daß der Friede Europas allerorten bedroht war. Das Feuer glomm unter der Asche, und ein Nichts konnte es zur hellen Glut entfachen.
Rußland war von einem Tage zum anderen auf einen Angriff der Türken gefaßt. Der Krieg war zwar nicht erklärt, aber auf beiden Seiten kam es zu Feindseligkeiten. Der letzte Krieg hatte der Zarin ungeheure Summen gekostet. Rußland war fast erschöpft, besonders wenn man die Verheerungen Pugatschews93-1 an den Ufern des Jaik in der Provinz Kasan und den Ruin der sehr einträglichen Bergwerke in jener Gegend hinzunimmt. Diese Verhältnisse waren nicht sehr günstig. Die Armee war in schlechtem Zustande, die Artillerie vernachlässigt, wenig Geld, wenig Kredit vorhanden. Kurz, wenn die Pforte zum Kriege schritt, stand sehr zu befürchten, daß das russische Reich nicht auf so glänzende Erfolge zu rechnen hätte wie früher.
In Wien herrschte ein junger, von Ehrsucht verzehrter, ruhmbegieriger Kaiser, der nur auf eine Gelegenheit brannte, um Europas Ruhe zu stören. Er hatte zwei Feldherren, Lacy und Laudon, die sich im letzten Kriege ausgezeichnet hatten. Sein Heer war in besserem Zustande denn je. Er hatte die Zahl der Feldgeschütze auf 2 000 erhöht. Nur die Finanzen litten noch unter den ungeheuren Kosten des letzten Krieges und standen noch nicht auf ganz sicherer Basis. Die Staatsschulden wurden auf 100 Millionen Taler bewertet; der Zins war auf 4 Prozent herabgesetzt worden, aber das Volk seufzte unter der Steuerlast, die sich täglich vermehrte, und trotz der gewaltigen, den Provinzen abgepreßten Summen, die nach Wien strömten, blieben der Kaiserin-Königin nach Abzug der festen, regulären Ausgaben nur zwei Millionen zur freien Verfügung. So war also kein anderer Fonds vorhanden als die 4 Millionen Taler, die Feldmarschall Lacy durch seine Ersparnisse bei der Heeresverwaltung zurückgelegt hatte. Indes hatte die Wiener Bank durch pünktliche Verzinsung der vom Hof aufgenommenen Kapitalien ihren Kredit in Holland und Genua so befestigt, daß der Hof, wenn er neue Anleihen machen mußte, auf neue Hilfsquellen rechnen konnte. Nimmt man zu diesem gesicherten Kredit ein stehendes Heer von 170 000 Mann, so wird jeder Leser leicht zugeben, daß die österreichische Macht damals furchtgebietender war als unter den früheren Kaisern, selbst unter Karl V.
Frankreich war, so wie wir es geschildert haben, sehr heruntergekommen, wenn man seinen damaligen politischen Zustand mit dem verglich, was es in der großen Zeit Ludwigs XIV. gewesen war. Seine Fruchtbarkeit schien erschöpft; es schien<94> nicht mehr die Kraft zu haben, so große Geister wie ehemals hervorzubringen. Von ungeheuren Schulden erdrückt, sann es immerzu auf Mittel, sich aus ihnen herauszuarbeiten. Ein Generalkontrolleur der Finanzen wurde als Alchymist angesehen: er sollte Gold machen. Sobald er nicht genug herbeischaffte, jagte man ihn sogleich fort. Endlich fiel die Wahl auf Necker, obwohl er Calvinist war. Vielleicht hoffte man, ein Ketzer, der ja doch verdammt war, werde einen Pakt mit dem Teufel schließen und das für die Regierung nötige Geld herbeischaffen. Der Staat unterhielt 100 000 Mann reguläre Truppen und 60 000 Mann Milizen. In den Häfen fehlte es an Schiffen; kaum zwölf waren seetüchtig. Maurepas benutzte die Zeit, wo England seinen unangebrachten Krieg mit den Kolonien führte, zur Hebung der französischen Flotte. Von 1776 ab ward auf allen Werften gearbeitet. 36 Linienschiffe waren bereits fertig; von 1778 an belief sich ihre Zahl auf 66, ungerechnet die Fregatten und anderen Fahrzeuge. Die Inseln und die amerikanischen Kolonien hatten sämtlich hinreichende Besatzungen. Für seine ostindischen Besitzungen hatte Frankreich vielleicht weniger gesorgt. Indes hätten soviel Zurüstungen den Engländern wohl die Augen öffnen und ihnen einen baldigen Bruch mit Frankreich prophezeien können, wenn sie sich um die Zukunft gekümmert hätten94-1. Frankreichs Lage war zwar nicht glänzend, verdiente aber doch die Aufmerksamkeit der übrigen Mächte. Infolge seiner Schulden konnte es zwar keinen langen Krieg aushalten, aber es fühlte sich stark durch sein Bündnis mit Spanien und den Beistand, den es sich davon versprechen durfte, und so suchte es nur eine Gelegenheit, um wie ein Falke auf seine Beute herabzusioßen und sich an England für die Unbill zu rächen, die es ihm während des letzten Krieges zugefügt hatte. Überhaupt konnte in Deutschland und in Südeuropa nichts Wichtiges unternommen werden, ohne daß man sich mit Frankreich ins Einvernehmen setzte.
England war, wie gesagt, unter dem Joch der Torys, von Schulden erdrückt und in einen höchst kostspieligen Krieg verwickelt, der die Staatsschulden jährlich um 36 Millionen Taler erhöhte. Um sich am eigenen Leibe zu schaden, erschöpfte es all seine Hilfsquellen und ging mit Riesenschritten dem Verfall entgegen. Die Minister häuften Fehler auf Fehler. Der größte war, einen Krieg in Amerika zu führen, der keinen Nutzen bringen konnte. Dazu kam, daß England sich mit aller Welt ohne Grund verfeindete, abgesehen von Frankreich, Englands Erbfeind. Allein der Londoner Hof stand sich ebenso schlecht mit Spanien infolge der Streitigkeiten über die Falklandinsel94-2, und in Portugal hatte England seit dem Tode des letzten Königs94-3 jeden Einfluß verloren. Durch sein hochmütiges, hartes und tyrannisches Benehmen gegen den Gouverneur von St. Eustache hatte es sich die Freundschaft und das Vertrauen der Niederlande verscherzt94-4. Als Kurfürst von Hannover hatte der König<95> von England den Wiener Hof verstimmt, weil er ihm die üblichen Pässe für die Ausfuhr von Remontepferden verweigerte. Er hatte ferner die Zarin verletzt, indem er Rußland wie einen feilen Kleinstaat behandelte, dessen Hilfe er erkaufen wollte. Seit dem Abenteuer seiner Schwester, der Königin Karoline Mathilde95-1, stand er sich mit Dänemark auf Kriegsfuß. Doch am meisten über ihn zu klagen hatte der König von Preußen. Er konnte dem König von England den unwürdigen Frieden vorwerfen, den dieser mit Frankreich geschlossen hatte, um ihn im Stich zu lassen, die Treulosigkeit, womit er ihn dem Wiener Hof aufopfern wollte, die schmählichen Intrigen, die er angezettelt hatte, um ihn mit dem Zar Peter III. zu verfeinden95-2, und schließlich all die Ränke, die England gesponnen hatte, um ihn um den Besitz des Danziger Hafens zu bringen95-3. England hatte also die völlige Vereinsamung, in der es sich damals befand, lediglich seinem eigenen falschen Benehmen zu danken.
Schweden hatte zwar seine Verfassung geändert95-4, aber keine neuen Kräfte gewonnen. Seine Handelsbilanz war ungünstig. Von Frankreich erhielt es keine Subfidien, und so war das Land kaum imstande, sich zu verteidigen, geschweige denn jemanden anzugreifen. Es galt im Rate der europäischen Völker noch weniger als jene römischen Senatoren, die man pedarii nannte, weil sie nicht das Recht hatten, selbst ein Votum abzugeben, sondern nur der Meinung der anderen beitreten durften.
Dänemark besaß eine gute Flotte und ein Heer von 30000 Mann. Aber bei seiner Schwäche stand es fast auf der gleichen Stufe wie Schweden.
Der König von Sardinien war durch das Bündnis zwischen Frankreich und Österreich so gut wie geknebelt. Aus eigener Kraft vermochte er nichts; er konnte nur im Bunde mit einer Großmacht eine Rolle spielen, bedeutete unter der damaligen Konstellation also nicht mehr als Schweden und Dänemark.
Polen war voll unruhiger, leichtfertiger Köpfe. Es unterhielt nur 14 000 Mann, und seine Finanzen reichten nicht einmal aus, um dies kleine Kontingent ins Feld zu stellen. Der russische Gesandte regierte das Land im Namen der Zarin, ungefähr so, wie einst die Prokonsuln die Provinzen des römischen Reiches regierten. Für die Beurteilung Polens war es in Wirklichkeit also ganz gleichgültig, was man in Warschau dachte oder plante, wenn man nur wußte, was in Petersburg beschlossen war.
Preußen hatte sich während des Friedens einiger Ruhe erfreut. Es verfolgte aufmerksam die Pläne, die seine Nachbarn schmiedeten, mischte sich aber in nichts unmittelbar ein und war vor allem darauf bedacht, seine verheerten Provinzen wiederherzustellen. Die Bevölkerung hatte bedeutend zugenommen, die Staatseinkünfte waren um ein Viertel höher als im Jahre 1756, die Armee völlig reorganisiert. Seit 1774 unterhielt der König ein wohldiszipliniertes Heer von 186 000 Mann, das jeden Augenblick kriegsbereit war. Die Festungen waren größtenteils ausgebaut und in gutem Zustand, die Magazine für ein Kriegsjahr gefüllt und ziemlich beträcht<96>liche Summen zurückgelegt, um ohne Unterstützung mehrere Feldzüge aushalten zu können.
Rußland war Preußens einziger Bundesgenosse. Dies Bündnis hätte hingereicht, wäre nicht der Ausbruch eines neuen Krieges in der Krim zu befürchten gewesen, der die Zarin verhindert hätte, dem König die ausbedungene Hilfe zu leisten. Allerdings hatte der Berliner Hof alle Mächte rücksichtsvoll behandelt und war mit keiner entzweit, aber angesichts der ehrgeizigen Absichten des Kaisers war mit Sicherheit vorauszusehen, daß das erste unverhoffte Ereignis diesen Vulkan zum Ausbruch bringen würde. Schon waren anläßlich der Visitation des Reichskammergerichts Mißhellig-leiten im Reiche entstanden. Das rechtswidrige Verfahren dieses Gerichtshofes hatte zu allerlei Beschwerden von seilen der geschädigten Fürsten geführt. Anstatt nun aber die Schuldigen, die seine Kreaturen waren, zu bestrafen oder fortzuschicken, hielt der Wiener Hofihnen die Stange. Doch der König von Preußen und der König von England in ihrer Eigenschaft als Kurfürsten nebst einem starken Anhang zwangen die Österreicher, in mehreren Punkten nachzugeben. Der despotische Sinn des Kaisers fühlte sich dadurch verletzt und brütete Rachepläne. Kurz, wohin man auch den Blick wandte, die Ruhe Europas schien von kurzer Dauer.
Um unter so kritischen Verhältnissen nicht planlos zu handeln, mußte Preußen sich mit anderen Mächten verständigen und die wirkliche Stimmung in Frankreich ergründen. Die alten Beziehungen zwischen dem Berliner und Versailler Hofe waren seit 1756 abgebrochen. Der darauf folgende Krieg, die Begeisterung der Franzosen für Österreich, ihre Anstrengungen zur Zerschmetterung des Königs von Preußen — einer ihrer Lieblingsausdrücke — und schließlich die daraus entsprungene Animosität hatten die Geister einander nicht näher gebracht. Derartige Wunden sind zu schmerzhaft, um rasch zu heilen. Nach dem Hubertusburger Frieden verwandelte sich die Erbitterung in Kälte; danach ging der Berliner Hof ein Bündnis mit Rußland ein. Nun muß man wissen, daß die Zarin eine Art Abneigung gegen alles Französische hatte. Diese stammte aus der Zeit der Kaiserin Elisabeth, wo der Versailler und Wiener Gesandte geraten hatten, die Zarin, d. h. die damalige Großfürstin, in ein Kloster zu stecken und den Großfürsten mit Prinzessin Kunigunde von Sachsen zu vermählen96-1. Solche Züge prägen sich dem weiblichen Gemüt so tief ein, daß ihre Spur sich nie verwischt. Der König von Preußen durfte sich also damals Frankreich nicht zu sehr nähern, wenn er seine einzige Bundesgenossin behalten wollte. Aus diesem Grunde kam der französische Gesandte in Berlin, Guines, eine Kreatur Choiseuls, mit seinen Unterhandlungen nicht vorwärts96-2, zumal 1770 die polnischen Unruhen ausbrachen und der König nicht zugleich auf selten der Russen stehen konnte, die für König Stanislaus Poniatowski eintraten, und auf selten der Franzosen, die die Konföderation von Bar96-3 unterstützten. Bald darauf kam es zu den Ereignissen, die <97>die Teilung Polens herbeiführten: damit verbot sich mehr denn jemals jedes enge Verhältnis zum Versailler Hofe.
Zu all diesen Hindernissen kam noch das Bündnis zwischen Frankreich und Österreich, das jede etwaige Verbindung mit Frankreich noch unmöglicher machte. Denn solange dieser Vertrag bestand, konnte Frankreich nicht, ohne gegen ihn zu verstoßen, mit dem Berliner Hofe anknüpfen. Auf den abberufenen Guines folgte Pons97-1, der sich für seine Stellung wenig eignete. Er war ein beschränkter Geist ohne Geschäftskenntnis, der sich in allem, was er tat, auf einen Exiesuiten, seinen einstigen Erzieher, verließ. Dieser Abbé Mat stand derart unter dem Einfluß des kaiserlichen Gesandten van Swieten, daß er nur so hörte, dachte und urteilte, wieÖsterreich es ihm eingeblasen hatte. Das ging so weit, daß Pons den Spitznamen „Kammerherr van Swietens“ führte. Infolgedessen konnten die preußischen Minister kein offenes Wort mit ihm reden, wenn der Wiener Hof nicht sofort alles haarklein erfahren sollte, und von dem war vorauszusetzen, daß er diese Kenntnis gegen die Interessen des Königs benutzen werde.
Mit dem Abschluß der Dinge in Polen und dem Dekorationswechsel, der auf der politischen Bühne um 1777 eintrat, unter dem neuen König und dem neuen Minister, die in Frankreich regierten, war die Möglichkeit gegeben, den Petersburger und Versailler Hof auszusöhnen. Denn die alten Machthaber waren verschwunden, und der Groll der Zarin konnte sich unmöglich auf die Nachfolger übertragen. Die Schwierigkeit bestand also nur noch darin, wie man zu einer Aussprache gelangen konnte. Der König hielt es für das beste, seine Vorschläge durch seinen Gesandten am VersMer Hofe, Goltz, machen zu lassen. Der wandte sich unmittelbar an Maurepas und drückte ihm den Wunsch seines Gebieters aus, sich Frankreich wieder zu nähern. Zugleich bat er, wegen des geringen Vertrauens, das Pons in Berlin besaß, jemand anders dorthin zu schicken, mit dem man sich frei und sicher aussprechen könnte. Maurepas nahm dies Anerbieten mit Vergnügen auf und schickte Iaucourt, der als Offizier unverdächtig reisen konnte, unter dem Vorwand nach Berlin, den preußischen Manövern beizuwohnen. Iaucourt kam während der Magdeburger Revuen97-2 an. Der Zufall fügte es, daß auch Fürst Liechtenstein97-3 zugegen war. Infolgedessen mußten beide, der König wie der Gesandte, große Vorsicht anwenden, damit der Österreicher nicht merkte, was vorging. Das gelang auch so gut, daß der Fürst nach Wien zurückkehrte, ohne die geringste Ahnung von dem Einvernehmen zwischen Preußen und Frankreich zu haben. Nach dessen Abreise fand der König Gelegenheit, sich mit Jaucourt auszusprechen, ohne daß der mindeste Verdacht entstand. Alle Vorgänge seit dem letzten Frieden wurden durchgegangen und vieles, was die vergangenen und damaligen Konstellationen betraf, erörtert. Man machte sogar Konjekturen für die Zukunft. Auch der maßlose Ehrgeiz des Kaisers kam zur Sprache. Kurz, nachdem<98> die Interessen beider Mächte gründlich erörtert waren, mußte Jaucourt zugeben, daß ein Bündnis mit Preußen für Frankreich in jedem Sinne vorteilhafter sei als mit dem Wiener Hofe. Um sein Spiel besser zu verbergen, begab sich Jaucourt hierauf nach Prag, um den österreichischen Manövern beizuwohnen, und nach seiner Rückkehr nach Versailles erfuhr man, daß Maurepas mit seinen Besprechungen nicht unzufrieden gewesen war. Obwohl keinerlei Abmachungen zwischen beiden Höfen getroffen waren, gestaltete sich das Verhältnis zwischen Frankreich und Preußen in der Folge doch vertraulicher und harmonischer als seit langem.
Das war die Lage Europas bis zum Tode des Kurfürsten von Bayern, von dem im nächsten Kapitel die Rede sein soll.
83-1 Der Dauphin Ludwig, der Vater Ludwigs XVI., war 1765 gestorben. Er hatte sein Testament dem Bischof von Verdun, Almery de Ricolay, übergeben.
83-2 Vgl. S. 51 f.
84-1 Marie Antoinette.
84-2 Vgl. S. 7.
85-1 Zuerst war den Amerikanern 1765 eine Stempelsteuer aufgelegt worden; sie wurde 1766 zurückgenommen. Dann wurde Amerika 1767 mit indirekten Steuern auf Tee, Papier usw. belegt, die 1770 mit Ausnahme des Teezolls wiederaufgehoben wurden.
85-2 Die ostindische Kompagnie hatte die Erlaubnis, überall ihren Tee frei einzuführen; nur die Kolonien sollten einen Zoll erlegen. So kam es am l8. Dezember 1773 wegen des Teezolls zu Akten offener Gewalt; die Einwohner von Boston versenkten eine Schiffsladung Tee ins Meer.
86-1 Viscount William Howe und Viscount Richard Howe.
86-2 Bei Saratoga am 17. Oktober 1777.
87-1 Vgl. S. 32. 42.
87-2 Vgl. S. 49.
87-3 Es liegt ein Irrtum vor. Eine sächsische Prinzeß kam nicht in Frage.
88-1 Prinzessin Dorothea, Tochter des Prinzen Friedrich Eugen von Württemberg, eine Großnichte König Friedrichs.
88-2 Vgl. S. 44.
88-3 Graf Lacy und Durand.
88-4 Vgl. S. 50.
88-5 Nachdem die Zarin bereits Anfang 1774 einen zweiten Besuch des Prinzen Heinrich angeregt und ihn dann zur Teilnahme an den Festlichkeiten zur Feier des Friedens mit den Türken eingeladen hatte, wurde der Besuch auf das Frühjahr 1776 verschoben. Am 13. April 1776 traf Heinrich in Petersburg ein.
89-1 26. April 1776.
89-2 Prinzessin Dorothea (vgl. S. 88).
89-3 Der Besuch des Großfürsten Paul am Berliner Hofe währte vom 21. Juli bis 5. August 1776. Am 23. Juli erfolgte seine Verlobung mit der Prinzessin Dorothea, die bei ihrem Wertritt zum griechisch-katholischen Bekenntnis die Namen Maria Feodorowna erhielt. Die Vermählung fand am 18. Oktober statt.
90-1 Vgl. S. 53.
90-2 Vgl. S. 87.
91-1 Herzog Franz III. starb 1780. Aus der Ehe seines Sohnes und Nachfolgers Herkules Rainaldus war nur eine Tochter entsprossen, Maria Beatrix, die seit 1771 mit Erzherzog Ferdinand, dem dritten Sohn Maria Theresias, vermählt war.
91-2 Die Kurie hatte 1598 den besten Teil des Herzogtums Ferrara als Klrchenlehen eingezogen.
91-3 Viktor Amadeus III.
91-4 Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz war der Erbe des kinderlosen Kurfürsten Maximilian Joseph von Bayern.
91-5 Vgl. unten S. 99 ff.
93-1 Vgl. S. 47 f. 50.
94-1 Der Bruch erfolgte 1778.
94-2 Vgl. S. 23 f.
94-3 König Joseph l. (1750—1777).
94-4 Die Antilleninsel St. Eustache bildete einen Hauptstapelplatz der Holländer für die Versorgung der Amerikaner mit Kriegsbedarf. Im Dezember 1780 erklärte England endlich den Niederlanden den Krieg.
95-1 Vgl. S. 39 f.
95-2 Vgl. S. 4 und 7.
95-3 Vgl. S. 32. 42.
95-4 Vgl. S. 37.
96-1 Diese Angabe beruht auf Irrtum.
96-2 Vgl. S. 15.
96-3 Vgl. S. 15 f.
97-1 Pons traf Juni 1772 ein.
97-2 26.-28. Mai 1777.
97-3 Der österreichische General der Kavallerie Fürst Karl Liechtenstein.