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Briefe an das Publikum182-1
(März 1753)

1. Brief

Ich habe stets Ihren Geschmack geliebt und Ihre Neigungen geachtet. Ich kenne Ihre unersättliche Begier nach Neuigkeiten und hege den Ehrgeiz, sie zu sättigen. Die gewöhnlichen Begebenheiten, wie sie Ihnen die kleinen Gesandten182-2, die Sie in Europa unterhalten, wöchentlich zweimal erzählen, sind Ihnen langweilig geworden. Sie wollen etwas Besonderes, Sie wollen erstaunliche Neuigkeiten. Ihre Gesandten melden Ihnen dann und wann unglaubliche Dinge. So wahr sie auch ohne Zweifel sind, sie befriedigen Sie nicht, Sie lieben in der Politik die Geheimnisse. Auch ich besitze diese Neigung nebst einer großen Geschicklichkeit, sie zu entdecken. Das setzt mich in den Stand, Sie von dem Geheimsten zu unterrichten, was jetzt an einem gewissen Hofe vorgeht. Sie begreifen auch ohne Erklärung, daß in unserer Sprache ein gewisser Hof den Hof zu Berlin bedeutet. Ich habe diese Nachrichten aus erster Hand. Es sind keine Gerüchte, sondern Tatsachen, die ihre völlige Richtigkeit haben. Ich habe erstaunliche Dinge entdeckt und vertraue sie Ihnen um so lieber an, als mir Ihre Klugheit und Verschwiegenheit bekannt ist und dies Geheimnis also unter uns beiden bleiben wird.

Zittern Sie für die Ruhe Europas! Wir stehen vor einem Ereignis, welches das Gleichgewicht der Mächte, das unsere Väter so weislich geschaffen haben, über den<183> Haufen werfen kann. Es ist um das System des Abbe St. Pierre183-1 geschehen; nun wird es niemals verwirklicht werden können! Ich habe erfahren, daß vor wenigen Tagen bei Hofe eine große Beratung stattfand, der alle Würdenträger beiwohnten. Dort wurde eine Sache von solcher Wichtigkeit erörtert, wie sie seit Menschengedenken nicht vorgekommen ist. Ein Tonkünstler aus Aix in der Provence schickt zwei Menuette, an denen er seit zehn Jahren komponiert hat, und bittet, sie beim Karneval spielen zu lassen. Das mag den oberflächlichen Geistern höchst seicht erscheinen, aber wir StaatsMänner wissen, was hinter allem steckt, und gehen den Dingen bis zu ihren letzten Konsequenzen nach. Wir sind viel zu gründlich, um so etwas für eine Kleinigkeit anzusehen.

Als man über das Ansuchen beratschlagte, bildeten sich zwei Parteien; ein Teil war für die Menuette und ein anderer dagegen. Die Fürsprecher der Menuette behaupteten, sie müßten gespielt werden, um durch diese Auszeichnung die zu ermuntern, die einer gewissen Macht wohlwollen, aber leider nicht sehr zahlreich sind. Die Gegner versetzten, es sei wider die Ehre der Nation, fremde Menuette spielen zu lassen, da im Lande selbst so viele neue gemacht würden. Hierauf antworteten jene, daß auch fremde Menuette gut sein könnten, und daß die Liebhaber der Künste mehr Achtung vor der Kunst als vor dem Vaterlande oder vor dem Ort haben müßten, woher die Menuette gekommen seien. Diese Gründe überzeugten die Gegner nicht; sie behaupteten vielmehr, daß man diese Menuette als Konterbande behandeln müßte. Gegen diese Entscheidung protestierten die Menuettisten heftig und bemühten sich zu beweisen, daß, wenn man fremde Menuette als Konterbande behandeln wollte, man dadurch allen anderen Völkern das Recht gäbe, ihrerseits alle Erzeugnisse Preußens zu verbieten, daß den Handel einschränken ihn vernichten hieße, und schließlich, daß es andere Mächte nicht kaltblütig dulden würden, wenn man es darauf anlegte, ihre MeWette von den Bällen und Festen auszuschließen. Hierüber erhitzten sich ihre Gegner und behaupteten, man müsse den Eigennutz und alle anderen Rücksichten stets dem Ruhme opfern; es sei gegen die Würde eines Hofes, nach anderen Klängen als den einheimischen zu tanzen; die Menuettisten seien Neuerer, die fremde Bräuche im Lande einführen wollten; man dürfe sich von seinen alten Gewohnheiten niemals abbringen lassen, auch wenn sie nichts taugten, und endlich, diese Menuette verdürben die Sitten. Der Streit ward so hitzig, daß alle zugleich redeten, jeder Recht haben wollte und auch die am wenigsten Aufgebrachten schon mit Grobheiten präludierten. Kurz, die Sitzung mußte aufgehoben werden.

Der Rat versammelte sich am nächsten Tage von neuem, um die Debatte wieder aufzunehmen. Der Enthusiasmus hatte mittlerweile abgenommen, und es war eine Friedenspartei entstanden. Um es jedermann recht zu machen, schlugen diese Frie<184>densstifter vor, man möge gestatten, daß das Menuett, das in Moll komponiert ist, gespielt werde, das andere aber nicht. Obwohl nun diese Vermittlung, weil sie vernünftig war, nicht angenommen wurde, ließen sie sich dadurch nicht abhalten, einen neuen Vorschlag zu wagen, nämlich die Menuette zu spielen, aber nicht zu tanzen. Das wurde mit beträchtlicher Stimmenmehrheit verworfen, und man versichert, daß jetzt eine Art von Manifest unter der Presse ist, worin die Gründe für die Nichtaufführung der Menuette dargelegt werden.

Dieser Schritt kann äußerst folgenschwer werden. Da ganz Europa und vor allem Ihre Neugier Anteil daran nehmen wird, so will ich mich eifrig danach erkundigen, was weiter vorgehen wird. Fest steht, daß der Hof sich mit dieser Angelegenheit eingehend beschäftigt, und das ist auch ganz natürlich, wenn man ihre Wichtigkeit bedenkt: ein Menuett kann eine sehr ernsthafte Sache werden. Wie viele derartige Beispiele könnte ich nicht anführen? Ein Kopfputz, den die Königin Anna von England erstehen wollte und den Lady Marlborough kaufte, zerriß die furchtbare Koalition der Mächte, die Frankreich bekriegten, und führte den Frieden herbei, den die Königin Anna im Jahre 1713 schloß184-1. Eine Verbeugung, die Cäsar den im Konkordiatempel versammelten Senatoren zu machen vergaß, bestimmte Brutus, sich gegen ihn zu verschwören. Und war nicht ein Apfel an all dem Unglück schuld, das den Nachkommen der ersten Bewohner des Paradieses widerfahren ist?

Sie werden mir zugeben, daß ein Menuett so viel wert ist wie ein Kopfputz, eine Verbeugung oder ein Apfel. Man muß nur abwarten, und wir werden schon sehen, was daraus entstehen wird. Ich halte jetzt, wo ich an Sie schreibe, noch zu sehr zurück; denn es ist das erstemal in meinem Leben, daß ich mir diese Freiheit nehme. Ich verspreche Ihnen aber, mich bei der ersten Gelegenheit nicht mit den gewöhnlichen Mutmaßungen zu begnügen, sondern die allerwunderbarsten und ausschweifendsten Vermutungen zu wagen, wenn möglich, mit noch mehr Unverschämtheit als Ihre tleinenGesandten,deren Eintönigkeit und Abgeschmacktheit Sie zu verdrießen beginnt. Wenn diese Nachrichten, die ich mit der heutigen Post sende, Ihre Neugier nicht reizen, so verspreche ich Ihnen künftig ebenso, romantische und noch weit seltsamere.

P.S. Soeben erfahre ich, daß die anderen Höft Stellung zu der Menuettfrage genommen haben und binnen kurzem an unserem Hofe die ernstlichsten Vorstellungen machen werden. Das übrige mit der nächsten Post.

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2. Brief

Die große Angelegenheit, die uns beschäftigt, wird von Tag zu Tag verwickelter. Die Zwischenfälle, die wir voraussahen, sind zum Teil eingetreten. Man sieht nichts als ankommende und abgehende Kuriere, von deren Depeschen jedoch nichts verlautet. Der Botschafter von Fez hat unserem Ministerium eine Denkschrift überreicht. Sein Hof nimmt sich der Musik von Atz eifrig an, und die Denkschrift erklärt in bündigen Worten, daß der König von Fez die Weigerung, sie spielen zu lassen, als eine Beleidigung ansehen werde, die man ihm in seinen Bundesgenossen antut.

Auch der Botschafter des Hospodars der Walachei hat in dieser Sache Vorstellungen erhoben und hinzugefügt, sein Herr sähe sich genötigt, mit der Stadt Atz gemeinsame Sache zu machen, um die Ehre ihrer Menuette zu retten, zumal er unlängst eine französische Musikakademie in Argis185-1 gegründet habe.

Bisher haben alle Vorstellungen nichts gefruchtet. Unser Hof besteht auf seinem Entschluß und scheint die Sache bis zum Äußersten treiben zu wollen. Jedermann war über diese Unbeugsamkeit erstaunt, ist es aber nicht mehr, seit man aus sicherer Quelle erfahren hat, daß der Hof in seinem Eigensinn durch das geheime Schutzund Trutzbündnis bestärkt worden ist, das er soeben mit der Republik San Marino geschlossen hat. Salomo hat wohl mit Recht gesagt, daß schließlich alles offenbar wird; denn unserem Scharfsinn bleibt nichts verborgen. Bündnisse, Verträge, geheime Konventionen, alles ergründen wir. Man errät dies, erfährt jenes, fügt seine Mutmaßungen hinzu, und schließlich kennt man die Verträge so gut, als hätte man sie selber gemacht.

Sie werden sich sehr wundern, hier den geheimen Artikel dieses neuen Bündnisses zu finden; aber hören Sie, wie er in unsere Hände fiel! Der Botschafter von San Marino speiste jüngst bei dem Botschafter der dreizehn Kantone und ließ beim Herausziehen des Schnupftuches den Geheimartikel des Vertrages aus der Tasche fallen. Der Artikel ward sogleich aufgehoben, und wir waren so glücklich, ihn uns zu verschaffen. Wie vorsichtig muß doch ein Botschafter sein, und wie gefährlich ist es für ihn, ein Schnupftuch aus der Tasche zu ziehen! Hier ist er.

Der geheime Artikel

„Ferner verpflichtet sich Seine Majestät der König von Preußen, falls die Durchlauchtigste Republik San Marino wegen des jetzt geschlossenen Bündnisses durch schlechte Serenaden oder durch unliebsame Kastagnettentänze beunruhigt werden sollte, ihr auf seine Kosten ein Kriegsschiff von hundert Kanonen und vier Fregatten<186> zu stellen, die in seinem Hafen von Halberstadt zum Dienste besagter Republik stets bereit liegen sollen. Falls sie aber wegen widriger Winde oder anderer Umstände Subsidien vorzieht, soll dies Geschwader auf 400 Limes veranschlagt werden, zahlbar in der Münze, mit der der Kölner Zeitungsschreiber vor zehn Jahren bezahlt wurde186-1, eine Summe, die der Republik von ungeheurem Nutzen wider ihre Feinde sein kann.

Dagegen verpflichtet sich die Durchlauchtigste Republik San Marino, in allem, was die Menuettfrage betrifft, mit Preußen zu gehen, und erklärt das alte Bündnis zwischen besagter Republik und der Stadt Aix, das seit den Zeiten Peters von Provence und der schönen Magelone186-2 besieht, und kraft dessen sie besagter Stadt den ungestörten Besitz ihrer Musik garantiert, für null und nichtig, behält sich aber wohlverstanden vor, ihre Worte so oder so auszulegen, gleichzeitig ganz entgegengesetzte Verpflichtungen nach ihrem Gutdünken einzugehen und die alten Verträge zu entkräften, sobald es ihr in den Sinn kommt, neue zu schließen. Sie verspricht Seiner Majestät dem König von Preußen, ihr Kontingent bereit zu halten, damit es in Tätigkeit treten kann, sobald der casus foederis es erfordert. Das Kontingent soll aus drei Bierfiedlern und drei Marketenderinnen bestehen. Falls aber Seine Majestät der König von Preußen es für angezeigt hält, diese Beihilfe in Geld zu verwandeln, so soll die Durchlauchtigste Republik vom Augenblick der Kriegserklärung an jährliche Subsidien in Höhe von anderthalb Zechinen, vier Soldi und zehn Hellern bezahlen.

„N.B. Die Hilfe soll beiderseits bereit gehalten werden, um spätestens dm Monate nach erfolgter Aufforderung abgehen zu können. Falls diese Hilfe nicht hinreichen sollte, verpflichten sich die hohen Kontrahenten, die Zahl zu verdoppeln. Dieser Sonderartikel soll ganz geheim gehalten werden und die gleiche Kraft wie der Hauptvertrag haben. Ferner verpflichten sich beide Teile, die anderen befreundeten Mächte zum Beitritt zu dieser Allianz einzuladen.“

Der Hauptvertrag ist noch nicht bekannt geworden. Da er aber dazu gemacht ist, aller Welt mitgeteilt zu werden, so versichern wir Ihnen im voraus, daß die Lektüre sich nicht lohnen wird. Die Quintessenz des Giftes, sein Zartestes und Feinstes, steckt in dem Geheimartikel, weshalb er auch eine rechte Wollust für Sie sein wird. Der Botschafter von Fez war bei dem Gastmahl zugegen, wo dieser Geheimartikel verloren ging; er hat ihn ungesäumt abschreiben lassen und ihn durch seinen Lautenspieler (der in Fez eine große Rolle spielt) unmittelbar an seinen Hof geschickt. Da alle Umstände bei einer solchen Angelegenheit von Bedeutung sind, dürfen wir nicht verschweigen, daß das linke Schulterblatt des Kuriers gekrümmt und sein Pferd ein Kroatengaul war.

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Dies große Ereignis öffnet unseren Mutmaßungen ein weites Feld. Sollte es zum Kriege kommen, so können die Stadt Aix, der König von Fez und der Hospodar der Walachei ihr Bündnis durch den Beitritt Chouli-Khans, des Gerechten, der seinen Oheim und seine Brüder blenden ließ, sowie des jetzt regierenden Schahs von Persien verstärken. Sollten diesen aber die inneren Unruhen, die sein schönes Reich aufwühlen, allzusehr in Anspruch nehmen, so bleibt ihnen immer noch das Bündnis mit dem Großmogul oder dem Kaiser von Japan, aus deren Ländern sie Kamele und wirkliche Elefanten beziehen könnten. Es ist unmöglich, daß ein gewisser Hof so vielen vereinten Mächten widersteht, und es ist zu hoffen, daß endlich der glückliche Tag kommen wird, wo er seinen Feinden unterliegt. Welche Freude werden uns diese so sehnlichst erwünschten Ereignisse bescheren! Wie zufrieden werden Ihre Neuigkeitsfabrikanten sein, ihre Prophezeiungen endlich erfüllt zu sehen, und wieviel Dank werden sie nicht den beiden Menuetten schulden, deren eines in Moll komponiert ist!

Unterdessen gehen die Feste und Bälle hier ihren gewöhnlichen Gang. Der Hof denkt an nichts als an Vergnügungen und lebt in der Sicherheit, die den großen Katastrophen vorangeht. Wir aber, die wir weiter sehen, als unsere Nasen reichen, die wir das Gras wachsen hören, wir verkündigen gleich der unglücklichen Kassandra, daß das Maß voll ist, daß die Tage der Trauer nahe sind, und daß man hier, trotz der Durchlauchtigsten Republik San Marino, ja selbst der Republik Lucca, in kurzem eine Barbarenhorde sehen wird, die für die Menuette aus Aix in der Provence Rache nimmt und die Musik des trefflichen Opernmachers verbrennt, daß wirkliche Elefanten das Orchester niedertrampeln werden, daß, um das Unglück voll zu machen, dies Barbarenvolk die Stimme der Herren, die auf unseren Bühnen den Diskant singen, in schrecklichen Baß verwandeln wird, daß die Jungfrauen, die an eben diesen Bühnen so keusch ihres Amtes walten, geschändet werden, und daß man als einzige Musik nur die beiden Menuette aus Aix hören wird, deren eins in Moll komponiert ist.

Sollte diese Prophezeiung nicht eintreffen, so werden wir diesen widrigen Zufall mit dreister Stirn ertragen und doch nicht aufhören, zu prophezeien. Unseren Herren Kollegen aber, die sich gleich uns mit Voraussagen der Zukunft beschäftigen, raten wir, wenn sie die künftigen Ereignisse nicht treffen, die der Vergangenheit zu prophezeien oder auf ein Jahrhundert voraus zu weissagen.

Soeben erfahren wir, daß der Botschafter von Fez die Kolik bekommen hat und sich an der großen Zehe elektrisieren lassen will. Wie ein berühmter Arzt versichert, kommt sein Übel daher, daß er sich im Schimpfen übernommen hat. Sein Wundarzt behauptet, es sei eine diplomatische Krankheit, und er habe es für angebracht gehab ten, sich vom Hofe zu entfernen.

P.S. Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen, daß mein Stil an Eleganz und edler Kühnheit dem Ihrer Korrespondenten nicht gleichkommt. Ich studiere unablässig in Ihren Archiven, um diesen Grad der Vollkommenheit zu erreichen. Ich fange an,<188> mir ihre Wendungen anzueignen, und werde mich demnächst gewisser kräftiger, nerviger und malerischer Beiwörter bedienen. z. B. der Hospodar ohne Treu und Glauben soll den Hospodar der Walachei bedeuten; mit dem treulosen und verräterischen Fürsten meine ich den König von Fez. Ich will alle Kräfte aufbieten, um mich durch meinen Eifer Ihrer Güte und Ihres Vertrauens würdiger zu machen. Das übrige mit der nächsten Post.

3. Brief
Schreiben des Grafen Rinochetti, ersten Senators der Republik San Marino, an Baron von Zopenbrug, Minister Seiner Majestät des Königs von Preußen

Herr Minister! Wir haben mit ebenso großem Erstaunen wie Unwillen vernommen, daß eine Art von Zeitungsschreiber Unverschämtheiten über unsere Durchlauchtigste Republik geschrieben hat, und daß diese anstößige Schrift in der Hauptstadt Ihres Herrn und Königs gedruckt und verkauft worden ist.

Bisher hat keine Schrift, keine Zeitung aus Berlin irgendwen beleidigt. Übrigens ist uns bekannt, daß Seine Majestät der König von Preußen die Schmähschriften gegen Privatpersonen streng bestraft. Es befremdet uns daher um so mehr, daß man den Druck des Werkes, das zu unseren Klagen Veranlassung gibt, erlaubt hat, und wir wagen zu hoffen, Ihr Herr und König werde es nicht dulden, daß in seinen Staaten eine Privatperson einen Souverän beschimpft. Wir schmeicheln uns, daß Höchstdieselben geruhen werden, den Elenden zu bestrafen, der uns so schwer beleidigt hat. Er druckt Verträge und Geheimartikel; es scheint sogar, daß er uns lächerlich machen will. Wahrhaftig, das ist nicht zu ertragen, und wir brauchen eine sinnfällige Genugtuung! Allerdings gibt es in Europa einige Staaten, die mächtiger sind als der unsere; muß man uns aber darum verachten, weil wir nicht die Stärksten sind? Gleichwohl weiß meine Durchlauchtigste Republik sich in Italien Ansehen zu verschaffen. Wir haben allein, ohne Bundesgenossen, den Ränken des Kardinals Alberoni188-1, den Bullen und Bannflüchen der Kurie, sowie allen Anfeindungen widerstanden. Wir haben die Ränke unserer Feinde aufgedeckt, ihreAnschläge vereitelt, für unsere Freiheit gestritten und uns aufrechterhalten. Wären diese Taten zu Bern, Venedig oder Amsterdam geschehen, würden sie deshalb rühmlicher sein als in San<189> Marino? Rom war in seinen Anfängen nicht einmal das, was wir jetzt sind. Wohlleben hat unsere strengen Sitten nicht verderbt; man sieht bei uns altväterische Tugend. Unsere Mäßigkeit und Einigkeit erhalten unseren Staat; wir haben nichts Kostbareres als unsere Freiheit und unseren guten Ruf: weder ein unseliger Zeitungsschreiber noch irgend eine Macht auf der Welt soll uns dies unschätzbare Gut rauben! Wir hoffen, Seine Majestät wird es nicht länger dulden, daß man uns verunglimpft, sondern als König sich der Sache einer souveränen Republik annehmen. Wir schmeicheln uns, Herr Minister, daß Sie durch Ihr großes Ansehen unsere gerechten Vorstellungen unterstützen und meiner Durchlauchtigsten Republik die Genugtuung verschaffen werden, die sie von der Billigkeit Ihres Herrn und Königs erwartet. Ich habe die Ehre zu sein Ihr usw.

Antwort des Barons von Zopenbrug, Staatsministers Seiner Majestät des Königs von Preußen, an den Grafen Rinochetti, ersten Senator der Republik San Marino

Herr Graf! Sofort nach Empfang des Briefes, mit dem Sie mich beehrten, habe ich Seiner Majestät Bericht darüber erstattet. Sie können versichert sein, daß hier jedermann heftig die Privatpersonen verurteilt, die durch ihre Schriften Souveräne zu beleidigen wagen. Vom Papst und vom Kaiser bis herab zum Bischof von konstanz und dem Fürsten von Zipfelzerbst müssen alle regierenden Häupter vom Publikum respektiert werden, sie mögen stark oder schwach, Bundesgenossen oder Feinde sein; das macht keinen Unterschied, und der Anstand erfordert, daß man nur in geziemenden Ausdrücken von ihnen spricht. Die großen Herrscher ehren sich in ihresgleichen. Dulden sie bei sich, daß ein Privatmann eine fremde Macht beleidigt, so vergessen sie, was sie sich selber schuldig sind. Seit einiger Zeit ist der Mißbrauch der Presse bis zum Äußersten gestiegen. Privatleute haben über die Bosheit der Schriftsteller zu klagen gehabt, und mehr als eineMacht ist von diesen Leuten beleidigt worden, die Neuigkeiten zusammenstoppeln, um ihr Leben zu fristen, die mehr Lügen als Wahrheiten verbreiten und sich zu Aretinen189-1 unseres Jahrhunderts auswerfen. Aber, Herr Graf, niemand mißt den Nachrichten, die sie verbreiten, Glauben bei, und da sie das Publikum nur allzu oft gröblich hinters Licht geführt haben, sind ihre Nachrichten unglaubhaft geworden. Man hat nicht gewartet, bis Ihre Durchlauchtigste Republik ihre gerechten Beschwerden gegen die heimlichen Nachrichten anbrachte, die hier ausgestreut wurden. Man hat die Schrift sogleich verboten und dem Verfasser ernstlich untersagt, ohne Erlaubnis zu schreiben. Ich hoffe, daß die Großmut Dero Durchlauchtigster Republik sich mitdieser Züchtigung begnügen wird. Einem Schwätzer öas Reden oder einem Hirnverbrannten das Schreiben verbieten, ist die größte<190> Strafe, die man ihm auferlegen kann. Wir halten es mit der Achtung, die man fremden Mächten schuldet, äußerst streng, und nimmermehr wird man hier zugeben, daß jemand, er sei wer er wolle, es an Ehrerbietung gegen sie fehlen läßt.

Ich bin hocherfreut, daß diese Lappalie mir Gelegenheit verschafft hat, Ihrer Durchlauchtigsten Republik einen Dienst zu leisten und die Bekanntschaft mit einer Persönlichkeit zu machen, deren Ruf so groß ist wie der Ihrige.

In dieser Gesinnung verbleibe ich usw.


182-1 Den Anlaß zu der obigen Flugschrift bildete ein geheimer Separatartikel der russisch-österreichischen Defensivallianz vom 2. Juni 1746 (vgl. Bd. III, S. 23), von dem König Friedrich im Februar 1753 auf geheimem Wege über Dresden Kenntnis erhalten hatte. In dem Geheimartikel wurde der Verzicht Maria Theresias auf Schlesien und Glatz nicht nur dann für hinfällig erklärt, wenn der König Österreich angriff, sondern auch im Falle eines preußischen Angriffs auf Rußland oder Polen. Ferner war darin die Verdopplung der im Hauptvertrage ausgemachten gegenseitigen Unterstützung festgesetzt und als Dank für die Wiedergewinnung Schlesiens eine Geldentschädigung für Rußland zugesagt. Unter dem heiteren Gewande eines Faschingsscherzes, in das Friedrich die Flugschrift kleidete, verbarg sich die Warnung an die Kaiserhöhe, daß ihr Geheimnis gelüftet sei.

182-2 Korrespondenten.

183-1 Karl Irenäus Castel St. Pierre (1658—1743) war der Verfasser der Schrift „Projet de la paix perpétuelle“ (vgl. Bd. VII, S. 248; VIII, S. 38).

184-1 Vgl. Bd. I, S. 116; VII, S. 104.

185-1 Die alte Residenz der Hospodare der Walachei.

186-1 D. h. mit einer Tracht Prügel.

186-2 Nach dem gleichnamigen Roman aus dem 12. Jahrhundert von Bernard de Treviez.

188-1 Für Alberoni vgl. Bd. l, S. 132 ff.

189-1 Pietrow Aretino (1491—1556), der berüchtigte Schriftsteller und Pamphletist.