<203> daß die Niederlage einer Eurer Armeen Euch zwingt, ihr Hilfe zu schicken, mithin Eure Hauptarmee zu schwächen. Mit dem Augenblick aber wird Euer ganzer Offensivplan hinfällig. Ihr werdet dort in die Defensive geworfen, wo Ihr mit Eurer Hauptmacht durchgreifen wolltet, und müßt eine geschlagene Armee in einer Provinz verstärken, in der große Anstrengungen zu machen garnicht in Eurem Interesse lag.
Man braucht nur in der „Histoire militaire de Louis XIV“ von Quincy1 die Pläne des Versailler Hofes am Anfang jedes Feldzuges nachzulesen, um sich von der Wahrheit des oben Gesagten zu überzeugen. Kein Feldzug entsprach den Plänen, die die Minister und Generale entworfen hatten. Woher kam das? frage ich; denn die Fehler der andren sollen uns stets als Warnung dienen, nicht in sie zu verfallen. Es kam daher, weil man zu sicher auf den Erfolg gerechnet, nicht genug an die Hilfsmittel des Gegners, an die Maßregeln gedacht hatte, die er in seinem Interesse ergreifen konnte, kurz, weil die gefährlichsten Schritte, die der Feind gegen Frankreichs Interesse tun konnte, nicht berücksichtigt waren. Darum dringe ich so sehr darauf, nicht oberflächlich zu verfahren, sondern alles zu prüfen und Euch vorzustellen, was der Feind möglicherweise ausführen könnte. Nehmt dem Zufall alles, was Ihr ihm durch Euren Scharfblick und Eure Vorsicht entreißen könnt: trotzdem wird er im Kriege noch immer zu viel Einfiuß behalten. Es kommt vor, daß Detachements durch die Schuld ihrer Führer oder durch die Überlegenheit des sie angreifenden Feindes geschlagen werden. Festungen können durch Überrumpelung fallen, Schlachten verloren gehen, weil dieser oder jener den Kopf verliert, weil ein General, der die Disposition der Schlacht kennt, verwundet wird oder fällt und die übrigen Generale des betreffenden Flügels, denen sie unbekannt ist, nicht im Sinne des Höchstkomman-dierenden handeln. Darum soll man nie Viktoria rufen, bevor man den Feind vom Schlachtfeld vertrieben hat.
Zieht Ihr Beispiele den Regeln vor, so will ich einen Feldzugsplan entwerfen, bei dem ich mich an die eben entwickelten Grundsätze halte.
Angenommen, Preußen, Österreich, das Deutsche Reich, England und Holland hätten ein Offensivbündnis gegen Frankreich geschlossen. Folgendermaßen müßte man verfahren, um einen verständigen und wohldurchdachten Feldzugsplan zu vereinbaren. Wie ich weiß, kann Frankreich 180 000 Mann ins Feld stellen. Seine Miliz, 60 000 Mann stark, dient zur Besetzung des dreifachen Festungsgürtels, der seine Grenzen schützt. Wie ich weiß, kann der König von Spanien, Frankreichs Verbündeter, ihm 40 000 Mann liefern, der König von Neapel 10 000, der König von Sardinien 40 000. Insgesamt 270 000 Mann außer den Festungsbesatzungen; ich zähle nur die Kombattanten.
Demgegenüber könnte Preußen aufstellen 150 000 Mann, Österreich 160 000, das Reich 40 000, England 20 000, Holland ebensoviel, außer den Flotten, die die Ope-
1 Vgl. S. 38. Anm. 4.