<211> seine Kräfte: er hatte kaum 30 000 Mann zu dessen Ausführung. Mithin mußte er darauf verzichten; denn im Kriege wie bei allem menschlichen Tun kann der Kluge zwar schwierige Dinge unternehmen, darf sich aber nie auf unausführbare Pläne einlassen.

Das ist aber nicht alles. Es ist eine Kriegsregel, daß man niemals weite Pointen oder Vorstöße von seinen Landesgrenzen machen darf. Alle in der Nähe der Grenze unternommenen Kriege verlaufen stets glücklicher als die, bei denen sich die Armeen zu weit vorwagen. Unter solchen Pointen verstehe ich, daß man sich von seinen Magazinen entfernt und zu tief in Feindesland eindringt, ohne seine rückwärtigen Verbindungen zu sichern1. Wer aber hat je gröberen Mißbrauch mit solchen weiten Vorstößen getrieben als Karl XII.? In der Ukraine war er völlig von Schweden abgeschnitten, aller Hilfsmittel aus der Heimat beraubt, ohne Magazine und ohne die Möglichkeit, welche anzulegen. Von Pultawa bis Moskau sind ungefähr 100 deutsche Meilen; dazu brauchte er 45 Marschtage. Selbst wenn ihm der Feind unterwegs nicht entgegengetreten wäre, wußte man doch, daß der Zar beschlossen hatte, alles auf seinem Wege zu verwüsten. Bei einem derartigen Zuge hätten die Schweden also mindestens für drei Monate Proviant, lebendes Vieh im Verhältnis und viel Munition mitführen müssen. Dazu waren wenigstens 3 000 Wagen nötig, jeder mit vier Pferden bespannt, insgesamt also 12000 Pferde zum Transport dieser Vorräte. Wie hätte er diese Anzahl in der Ukraine finden können? Aber auch wenn er sie hätte auftreiben können: ergibt sich daraus nicht, daß die halbe schwedische Armee zur Bedeckung der Vorräte notwendig gewesen wäre, da ihr Verlust ja den Untergang der ganzen Armee nach sich ziehen mußte? Wollte Karl XII. dem Zaren einen empfindlichen Schlag versetzen, so mußte dies durch Esthland geschehen, wo ihm seine Flotte Proviant und Munition herbeischaffen und er seine Armee sogar aus den finn-ländischen Milizen rekrutieren konnte. Die Unglücksfälle, die ihn trafen, hat er sich selbst zugezogen, da er alle Kriegsregeln mißachtet hat und allein seiner Laune gefolgt ist.

Der Türkenkrieg, den die Österreicher im Jahre 1736 unternahmen2, fiel für sie nur deshalb so unglücklich aus, well seine Anlage auf falschen Berechnungen beruhte. Prinz Eugen hatte die Donau stets als Nährmutter der in Ungarn operierenden Armeen angesehen und verließ sie sowenig wie möglich. Der Wiener Hof, der nicht einmal Ungarn kannte, entwarf Pläne, die seine Truppen vollständig von der Donau entfernten. Er veränderte die Feldzugspläne mitten im Laufe der Operationen. Der erste beste, wenn man so sagen darf, der sich Hirngespinste ausdachte, beeinflußte die Befehle, die Kaiser Karl VI. seinen Armeen gab. Dadurch wurde alles verdorben. Allerdings verhehle ich nicht, daß die falsche Führung der Generale viel zu den Fehlschlägen beitrug, die jener Krieg dem Kaiserhause bescherte.


1 Vgl. S. 8 f. 107.

2 Vgl. Bd. I. S. 158 ff.