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Der Zar war unstreitig Schwedens mächtigster und gefährlichster Feind. Gegen ihn hätte unser Held, wie es scheint, nach der Niederlage der Sachsen sofort vorgehen müssen. Die Trümmer der bei Narwa geschlagenen Armee irrten noch umher. Peter I. hatte in aller Eile 30 000 bis 40 000 Moskowiter zusammengerafft, die aber nicht viel mehr taugten als die 80 000 Barbaren, die vor den Schweden die Waffen gestreckt hatten. Er mußte den Zaren jetzt also mit aller Macht bedrängen, ihn aus Ingermanland vertreiben, ihm keine Zeit zum Erholen lassen und die Gelegenheit wahrnehmen, um ihm den Frieden zu diktieren.

August II. war vor kurzem (1697) ohne die Zustimmung des besseren Teiles der Republik, ja unter Widerspruch, zum König von Polen gewählt worden. Er saß also nicht fest auf seinem Thron und mußte, des Beistands der Russen beraubt, von selbst fallen, wenn Schweden überhaupt ein so großes Interesse an seiner Entthronung hatte. Statt aber solche verständigen Maßregeln zu treffen, schien Karl den Zaren und die in den letzten Zügen liegenden Moskowiter gänzlich zu vergessen, um irgend einem polnischen Magnaten1 nachzulaufen, der einer feindlichen Partei angehörte. Über solchen kleinen Racheakten vernachlässigte er die großen Interessen. Er unterwarf Litauen bald. Von dort ergoß sich seine Armee wie ein wütender Bergstrom nach Polen und überschwemmte das ganze Land. Der König war bald in Warschau, bald in Krakau, Lublin und Lemberg. Die Schweden breiten sich in Polnisch-Preußen aus, eilen dann wieder nach Warschau, setzen König August ab (1704), verfolgen ihn nach Sachsen und beziehen dort ruhig ihre Quartiere (1706). Man beachte wohl, daß diese Feldzüge, die ich nur summarisch wiedergebe, unsren Helden mehrere Jahre lang beschäftigten.

Ich verweile einen Augenblick, um Karls Verhalten bei der Eroberung Polens zu prüfen, und bemerke beiläufig, daß unter allen Schlachten, die er bei seinen fortwährenden Streifzügen gewann, die bei Klissow2 den Vorzug verdient; ihren Erfolg verdankte er einer geschickten Bewegung, mit der er den Sachsen in die Flanke kam. Karls Methode während des Krieges in Polen war sicherlich verkehrt. Die Republik besitzt bekanntlich keine Festungen und liegt nach allen Seiten offen, ist also leicht zu erobern, aber schwer zu halten. Sehr richtig bemerkt der Graf von Sachsen3, daß es bei leicht zu erobernden Ländern desto größerer Anstrengung bedarf, um sie zu behaupten. Die von ihm vorgeschlagene Methode scheint zwar langwierig, ist aber, wenn man sicher gehen will, die einzig richtige. In seinem Ungestüm dachte der Schwedenkönig nie gründlich über die Natur des Landes nach, in dem er Krieg führte, und über die Wendung, die er den militärischen Operationen


1 Graf Oginski. In Litauen standen sich damals die Partei des Fürsten Sapieha und die des Grafen Oginski feindlich gegenüber.

2 In der Ebene von Klissow zwischen Warschau und Krakau siegte Karl XII. am 19. Juli 1702 über die doppelt so starke polnisch-sächsische Armee unter August II.

3 „Les Rêveries, ou Mémoires sur I'art de Ia guerre, de Maurice, comte de Saxe, duc de Courlande“, Haag 1756.