<377> nach ihrer Ankunft herfallen oder ganz auf eine Schlacht verzichten. Es war ein unverbesserlicher Fehler, dem Zaren die Wahl seiner Stellung zu überlassen und ihm Zeit zu geben, sich darin gut einzurichten. Er hatte schon den Vorteil der Überzahl: das war viel; Karl überließ ihm auch noch die Vorteile des Geländes und der Kunst: das war zu viel.
Wenige Tage vor der Ankunft des Zaren war der Schwedenlönig bei der Belagerung von Pultawa verwundet worden: diese Vorwürfe treffen also nur seine Generale. Indes scheint doch, daß er mit dem Augenblick, wo er sich zur Schlacht entschloß, seine Laufgräben hätte verlassen müssen, um dem Feinde mit voller Kraft entgegenzutreten. Er konnte sicher sein, daß Pultawa von selbst fiel, wenn er die Schlacht gewann; ging sie aber verloren, so mußte die Belagerung ohnedies aufgehoben werden. Eine solche Häufung von Fehlern auf schwedischer Seite verhieß für den Kampf, zu dem sich alles rüstete, nichts Gutes. Das Schicksal scheint schon im voraus alles zum Mißgeschick der Schweden vorbereitet zu haben. Die Verwundung des Königs, die seine gewöhnliche Tatkraft lähmte, die Nachlässigkeit der Generale, deren fehlerhafte Anordnungen beweisen, daß sie die Stellung der Russen garnicht rekognosziert hatten oder sich doch eine falsche Vorstellung davon machten: das alles waren Vorspiele der Katastrophe. Auch durfte die Kavallerie in diesem Falle die Schlacht nicht eröffnen. Die Hauptaufgabe mußte hier der Infanterie und einer zahlreichen, geschickt aufgestellten Artillerie zufallen.
Die Russen hatten ein vorteilhaftes Terrain inne, das sie durch Befestigungen noch verstärkten. Vor dem einzigen zugänglichen Teil ihrer Front dehnte sich eine kleine Ebene, die vom Kreuzfeuer einer dreifachen Reihe von Redouten bestrichen wurde. Ihr einer Flügel war durch einen Baumverhau gedeckt, hinter dem sich eine Verschanzung erhob; vor dem andren zog sich ein unüberschreitbarer Sumpf hin. Der verstorbene Feldmarschall Keith, der die so berühmt gewordene Gegend untersucht hatte, war überzeugt, daß Karl XII, den Zaren auch mit 100 000 Mann nicht aus seiner Stellung hätte vertreiben können. Denn die zahlreichen Hindernisse, die die Angreifer nach und nach überwinden mußten, hätten ihnen ungeheure Opfer gekostet, und schließlich werden selbst die tapfersten Truppen abgeschreckt, wenn sie nach langen, mörderischen Kämpfen immer wieder auf neue Schwierigkeiten stoßen. Ich weiß nicht, aus welchem Grunde die Schweden sich in ihrer kritischen läge auf ein so gewagtes Unternehmen einließen. Wurden sie durch die Notwendigkeit dazu gezwungen, so war es ein schwerer Fehler von ihnen, sich in eine Lage zu bringen, wo sie wider Willen und unter den ungünstigsten Verhältnissen eine Schlacht liefern mußten.
Kurz, alles kam, wie man es vorhersehen mußte. Eine durch Strapazen und Hunger, ja selbst durch ihre Siege geschwächte Armee wurde zur Schlacht geführt1.
1 Am 27. Juni 1709 (vgl. Bd. I, S. 112).