7. Kapitel Das Augenmaß
Der sogenannte Feldherrnblick besteht in zweierlei. Das erste ist das Talent, auf der Stelle zu beurteilen, wieviel Truppen ein Gelände fassen kann. Das lernt sich nur durch Übung. Hat man selbst ein paar Lager abgesteckt, so bildet sich das Auge derart, daß man sich in den Maßen nur ganz wenig täuscht. Das andre weit höhere Talent besieht darin, beim ersten Blick alle Vorteile zu erkennen, die ein Gelände bieten kann. Dies Talent läßt sich erwerben und vervollkommnen, wofern man mit einer glücklichen Anlage zum Kriegführen geboren ist. Die Grundlage für diese Art Blick bildet unstreitig die Befestigungskunst. Für sie bestehen Regeln, die man auf die Stellung der Armeen anwendet. Daher wird ein geschickter Heerführer die ge<22>ringste Anhöhe, einen Hohlweg, einen Graben, einen Morast benutzen. Da nun auf einer Quadratmeile vielleicht zweihundert Stellungen möglich sind, wird sein Blick die beste sofort erfassen. Ein geschickter Heerführer wird die geringste Anhöhe zum Erkunden des Geländes und zur Wahl seiner Stellung benutzen. Ebenso wird er nach den Regeln der Befestigungskunst den schwachen Punkt der feindlichen Aufstellung wahrnehmen22-1.
Die Regeln der Befestigungskunst lehren uns, daß man sorgfältig die Höhen besetzt und solche auswählt, die nicht von andren Höhen beherrscht werden, daß man die Flügel anlehnt, um seine Flanken zu decken, daß man Stellungen einnimmt, die sich verteidigen lassen, aber keine, die ein Ehrenmann nicht behaupten kann, ohne seinen Ruf aufs Spiel zu setzen. Nach derselben Regel beurteilt man auch die schwachen Punkte des Feindes, mag die Schuld nun an dem ungünstigen Gelände oder an der verkehrten Aufstellung der Truppen oder an der Schwäche der Verteidigungseinrichtungen liegen.
Das führt mich zu dem Thema, wie man seine Truppen aufstellen muß, um das Gelände gut auszunutzen.
22-1 Zusatz von 1752: „Dazu bemerke ich, ein Heerführer wird gut daran tun, wofern er Zeit dazu hat, nach Wahl seiner Stellung das Gelände selber von einem Ende bis zum andren abzuschreiten und auszumessen.“