13. Kapitel Kriegslisten
Im Kriege bedient man sich abwechselnd der Löwen- und der Fuchshaut. Oft gelingt die List, wo die Gewalt scheitern würde. Man muß also durchaus beide in Anwendung bringen. Der Gewalt kann man oft mit Gewalt begegnen, aber der List muß oft auch die Gewalt weichen. Sie ist eine Sehne mehr auf dem Bogen.
Unendlich ist die Zahl der Kriegslisten, und ich gedenke nicht, sie hier alle anzuführen. Der Zweck ist aber stets der gleiche: den Feind zu falschen Schritten zu verleiten, die man von ihm getan sehen möchte. Die List dient also dazu, die eigenen Absichten zu verhüllen und dem Feinde ganz andre vorzuspiegeln. Sind die Truppen im Begriff, sich zusammenzuziehen, so läßt man sie bisweilen Gegenmärsche machen, um den Feind zu beunruhigen und ihm den Ott zu verbergen, wo man seine Truppen wirklich versammeln und gleich darauf durchbrechen will. In einem Lande, wo Festungen vorhanden sind, lagert man an einem Otte, der zwei oder drei Plätze gleichzeitig bedroht. Wirft der Feind in alle zugleich Truppen, so schwächt er sich. Diesen Augenblick benutzt man, um über ihn herzufallen. Wirft er sich aber nach einer Seite, so wendet man sich nach der andern, wohin er keine Hilfe gesandt hat, und belagert den Platz. Wollt Ihr Euch eines wichtigen Paffes bemächtigen oder über einen Fluß gehen, so entfernt Ihr Euch von dem Otte, den Ihr passieren wollt, und lockt den Feind nach Eurer Seite. Habt Ihr dann alles im voraus disponiert<37> und seid Ihr dem Feinde um einen Marsch voraus, so wendet Ihr Euch unversehens nach dem Orte, wohin Ihr eigentlich wolltet, und bemächtigt Euch seiner.
Wollt Ihr dem Feind eine Schlacht liefern, er aber scheint ihr ausweichen zu wollen, so laßt Ihr aussprengen, Eure Armee habe sich geschwächt, oder Ihr spielt den Furchtsamen, eine Rolle, die wir vor der Schlacht bei Hohenfriedberg spielen mußten. Ich ließ nämlich Wege anlegen, als ob ich beim Anmarsch des Prinzen von Lothringen in vier Kolonnen nach Breslau marschieren wollte37-1. Seine Eigenliebe erleichterte mir die Täuschung. Er rückte in die Ebene hinab und wurde geschlagen.
Bisweilen zieht man sein Lager eng zusammen, damit es schwächer aussieht, und schickt kleine Detachements ab, die man für beträchtlich ausgibt, damit der Feind Eure Schwäche verachtet und sich seines Vorteils begibt. Hätte ich im Jahre 1745 die Absicht gehabt, Königgrätz und Pardubitz zu nehmen, so hätte ich nur zwei Märsche durch die Grafschaft Glatz gegen Mähren zu machen brauchen. Dann wäre der Prinz von Lothringen gewiß herbeigeeilt, weil diese Demonstration ihn um Mähren besorgt gemacht hätte, woher er seine Lebensmittel bezog, und er hätte Böhmen verlassen37-2. Denn der Feind wird immer besorgt sein, wenn man Festungen und Orte bedroht, die seine Verbindung mit der Hauptstadt sichern oder in denen er sein Magazin hat.
Hat man dagegen nicht die Absicht, eine Schlacht zu liefern, so gibt man sich für stärker aus, als man ist, und tut weiter nichts, als feste Haltung zu zeigen. Die Österreicher sind darin rechte Meister, und bei ihnen muß man in die Schule gehen, um dergleichen zu lernen. Eure feste Haltung erweckt den Anschein, als wolltet Ihr gern mit dem Feinde handgemein werden. Ihr laßt die verwegensten Pläne aussprengen. Oft glaubt der Feind dann, er möchte kein leichtes Spiel mit Euch haben, und hält sich gleichfalls in der Defensive.
Diese Kriegsweise besieht zum Teil in der Kunst, gute Stellungen zu wählen und sie nur im äußersten Notfall zu verlassen. Alsdann geht Euer zweites Treffen zuerst zurück, und das erste folgt ihm unvermerkt. Da Ihr Defileen vor Euch habt, so hat der Feind keine Gelegenheit, Euren Rückzug auszunutzen. Beim Rückzuge selbst wählt man zweideutige Stellungen, die dem Feinde zu denken geben. Seine Besorgnis macht ihn furchtsam, Ihr aber gelangt indirekt zu Eurem Ziele.
Eine andre Kriegslist besieht darin, daß man dem Feind mehrere Kolonnenspitzen präsentiert. Nimmt den Scheinangriff für den rechten, so ist er verloren. Durch List nötigt man den Feind auch zu Detachierungen und geht ihm zu Leibe, sobald er seine Detachements abgesandt hat. Eine der besten Kriegslisten ist die, daß man den Feind einschläfert, wenn die Zeit der Winterquartiere kommt, wo die Truppen sich auseinanderziehen. Man geht dann zurück, um nachher desto besser vorzudringen.<38> Zu dem Zwecke verteilt man die Truppen derart, daß man sie rasch wieder zusammenziehen kann. Dann fällt man über die Quartiere des Feindes her. Gelingt es, so kann man in vierzehn Tagen die Mißerfolge eines ganzen Feldzuges wettmachen. Man lese die beiden letzten Feldzüge Turennes und studiere sie oft. Es sind Meisterstücke von Kriegslisten aus neuerer Zeit.
Die Kriegslisten, deren man sich im Altertum bediente, sind jetzt den leichten Truppen zugefallen. Sie legen Hinterhalte und locken den Feind durch verstellte Flucht in Defileen, um ihn dann niederzuhauen. Heutzutage sind wohl wenige Feldherren mehr so unwissend, in so grobe Hinterhalte zu fallen. Allerdings geschah dies Karl XII. bei Pultawa durch den Verrat eines Tattarenfürsten38-1 und Peter dem Großen am Pruth durch die Schuld eines Landesfürsten (1711)38-2. Beide hatten ihnen Lebensmittel versprochen, konnten sie aber nicht beschaffen.
Über den Kleinkrieg der Streifkorps oder Detachements habe ich in meinem Militärreglement38-3 lang und breit gehandelt. Da ich nichts hinzufügen kann, verweise ich alle darauf, die sich ihr Gedächtnis in diesem Punkte auffrischen wollen38-4.
37-1 Vgl. Bd. 11, S. 212.
37-2 Vgl. Bd. 11, S. 22.
38-1 Mazeppa.
38-2 Demetrius Cantemir, Fürst der Moldau.
38-3 Reglement vor die Königl. Preußische Kavallerie-Regiment, S. 258—262: „Was die Offiziers, wann sie auf Parteien ausgeschicket werden, zu observiren haben.“
38-4 Zusatz von 1752: „Will man aus neuerer Zeit ein Beispiel dafür haben, wie man den Feind zu Detachierungen zwingt, so lest man den schönen Feldzug nach, den der Marschall von luxemburg in Flandern gegen König Wilhelm fühtte und der 1693 mit der Schlacht von landen oder Neerwinden endete.“ Gemeint ist das Wert von Charles Sevin Marquis de Quincy (1666—1736): „Histoire militaire du règne de Louis le Grand“ (Paris 1726).